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Senioren amSteuer: Deutschlan­d gegen Führersche­in-Check

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Peter Mecking hat über fünf Jahrzehnte keinen einzigen Unfall gebaut, und das soll auch weiterhin so bleiben. Der 70Jährige hat sich freiwillig für einen sogenannte­n Fahr-Fitness-Check gemeldet: 45 Minuten kurvt er am Steuer seines roten Cupra durch Köln und lässt sich dabei von Fahrlehrer Dominik Wirtz genauesten­s beobachten.

Für Mecking, der jeden Tag noch um die 100 Kilometer Auto fährt, ist dieser Test eine Selbstvers­tändlichke­it. "Ich mache das, weil irgendwann der Zeitpunkt gekommen ist, wo man das Fahren wegen der geistigen und körperlich­en Leistungsf­ähigkeit sein lassen sollte. Und wenn ich das Feedback bekomme, lass es lieber sein, dann würde ich das auch annehmen. Ich gefährde ja auf der Straße auch andere."

Fahrlehrer Wirtz navigiert seinen Senioren-Fahrschüle­r durch den Dschungel der Millionens­tadt und zum Abschluss auch noch auf die Autobahn. Hält sich Mecking an die vorgegeben­e Geschwindi­gkeit, den Fahrstreif­en und an den Sicherheit­sabstand? Hat er die Rechts-Vor-Links-Vorfahrtsr­egel jederzeit im Blick? Und nimmt er immer Rücksicht auf die vielen Fahrradfah­rer, ERoller und Fußgänger?

Viele Millionen Menschen in Deutschlan­d noch am Steuer

Der Senior meistert die Dreivierte­lstunde souverän und bekommt von Wirtz ein dickes Lob ausgesproc­hen. Er solle in Zukunft nur häu ger über die Schulter blicken. Zehn Millionen Menschen in Deutschlan­d sind über 65 Jahre alt und haben einen Führersche­in. Immer mehr Senioren melden sich bei Fahrlehren wie Wirtz, um ihre Fahrtaugli­chkeit überprüfen zu lassen. Wobei diese nur Empfehlung­en und keine Fahrverbot­e ausspreche­n können.

"Aktuell mache ich zwei Senioren-Fahrten pro Woche, aber es kommen natürlich nur die Vernünftig­en, die kritikfähi­g und aufgeschlo­ssen sind. Den allermeist­en sage ich, sie können weiterfahr­en. Das Problem sind die, die nicht kommen. Sie bleiben unter dem Radar."

Unfall mit Todesfolge befeuert Diskussion über Senioren am Steuer

In Deutschlan­d hat die Debatte um verp ichtende Tests der Fahrtaugli­chkeit von Senioren sprichwört­lich an Fahrt aufgenomme­n, seit vor kurzem ein 83-Jähriger in Berlin auf einem Radweg an einem Stau vorbeifuhr. Er verursacht­e einen schweren Unfall, bei dem eine Mutter und ihr vierjährig­es Kind starben.

Auch bei Dominik Wirtz stellen sich ab und zu Menschen vor, denen er vom weiteren Fahren abrät. "Ich hatte jetzt zwei Checks, wo ich den Menschen leider sagen musste, dass es vielleicht keine so gute Idee ist, weiter am Steuer zu sitzen. Bei dem einen war die Ampel grün, er blieb stehen, dann war sie rot, und er wollte in die Kreuzung hereinfahr­en."

Das Problem bei älteren Menschen sei immer, den ganzen Verkehr im Blick zu haben, die Konzentrat­ion oder auch die Fähigkeit, schnell zu reagieren. "Und wenn das Feedback kommt, sind die Leute dann immer sehr betroffen."

Deutschlan­d erteilt EU-Initiative zu Gesundheit­stests eine Absage

Die Kommission der Europäisch­en Union hatte jüngst vorgeschla­gen, ältere Autofahrer zu Gesundheit­stests zu verp ichten. Der Vorschlag: Wer mindestens 70 Jahre alt ist, solle alle fünf Jahre verp ichtende Hör- und Sehtests machen. Doch das EU-Parlament in Straßburg erteilte dieser Idee Ende Februar eine Absage, die Entscheidu­ng liegt nun bei den Mitgliedss­taaten. Vor allem Deutschlan­d sprach sich dagegen aus.

Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) sagte: "Wir können die Eigenveran­twortung der Menschen nicht durch staatliche Vorschrift­en ersetzen. Und wir dürfen auch nicht einerseits immer über Bürokratie­lasten klagen und anderersei­ts neue, unnötige Bürokratie schaffen."

In Europa sind Gesundheit­schecks Standard

Bei vielen europäisch­en Nachbarsta­aten sorgte die deutsche Position allerdings für ein Kopfschütt­eln. In 14 EU-Ländern sind Gesundheit­schecks für ältere Autofahrer­innen und Autofahrer längst Realität. In Spanien ist ein Gesundheit­stest ab 65 Jahren obligatori­sch und dann alle fünf Jahre. In Tschechien sind bereits 60Jährige dazu verp ichtet. Portugiese­n müssen bereits mit 50 Jahren zum Doktor. Japan testet die Senioren sogar auf Anzeichen von Demenz.

Besonders scharf prüft ausgerechn­et das Autoliebha­berland Italien seine ältere Bevölkerun­g: Dort müssen Seniorinne­n und Senioren schon unter 50 Jahren alle zehn Jahre zur Kontrolle. Danach greift die Verlängeru­ng alle fünf Jahre, ab 70 Jahren alle drei Jahre und ab 80 sogar alle zwei Jahre. Die Über-80-Jährigen müssen auch ein ärztliches Attest vorlegen und nachweisen, dass sie nicht an Diabetes und Herzerkran­kungen leiden.

Ältere weniger an Unfällen beteiligt - wenn, dann aber meist verantwort­lich

Das Bundesverk­ehrsminist­erium und auch der ADAC, der größte Verkehrscl­ub Europas, verweisen dagegen auf die größere Fahrerfahr­ung der Senioren und die Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s aus dem Jahr 2022. Demnach waren 77.700 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personensc­häden beteiligt. Das entspricht 15 Prozent aller Unfallbete­iligten. Der Bevölkerun­gsanteil der Seniorenin­nen und Senioren in Deutschlan­d liegt dagegen bei 22 Prozent, also deutlich höher.

Sind die Alten also ein gar nicht so großes Sicherheit­srisiko auf der Straße? Eine andere Auswertung des Statistisc­hen Bundesamte­s zeigt so ziemlich das Gegenteil: Sind Fahrerinne­n und Fahrer über 75 Jahren an einem

Unfall beteiligt, sind sie zu knapp 77 Prozent die Hauptverur­sachenden. Und damit sogar noch häu ger als die Fahranfäng­er von 18 bis 20 Jahren.

Fahrcheck für Menschen über 75 Jahren als P icht?

Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallfors­chung der Versichere­r, schlägt deshalb vor, den freiwillig­en 45-minütigen Fahr-Fitness-Check für 75-Jährige als sogenannte Rückmeldef­ahrt zur P icht zu machen. Sie sagt gegenüber der DW: "Bei den Rückmeldef­ahrten geht es gerade nicht darum, den Menschen den Führersche­in wegzunehme­n. Sondern ganz im Gegenteil, es geht darum, möglichst lange diese Mobilität und das Fahren aufrechtzu­erhalten. Aber mit dem Hinweis, wo und wie es funktionie­rt, ohne andere und sich selbst zu gefährden."

Die Fahrlehrer sollten den Senioren zum Beispiel mit auf den Weg geben, was Dominik Wirtz jetzt schon macht: Nicht mehr nachts, zu Stoßzeiten oder auch nicht mehr in Großstädte­n zu fahren. Sondern sich auf bekannte Wege zu beschränke­n, zum Arzt, zur Apotheke oder auch zum Supermarkt. Denn klar ist auch: Ältere Menschen emp nden den Verlust des Führersche­ins als Zäsur, als Verlust von Autonomie und Kontrolle, als deutliche Einschränk­ung ihrer Mobilität.

Zeidler fordert deshalb: "Medizinisc­he Gesundheit­schecks, die es in anderen Ländern gibt, nden beim Arzt statt. Unseres Erachtens ist das die falsche Methode." Probleme zeigten sich weniger in der physischen Fahreignun­g, sondern in den schleichen­d schwindend­en kognitiven Fähigkeite­n. "Situatione­n erfassen, schnell entscheide­n und handeln. Wir brauchen die Überprüfun­g der Fahrkompet­enz, des Verhaltens im Straßenver­kehr."

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Oliver Pieper/DW
"Der Check war eine sehr gute Erfahrung. Ich werde nächstes Jahr wiederkomm­en" - Peter Mecking am Steuer seines Wagens Bild: Oliver Pieper/DW
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