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Terrorabwe­hr: WarumGehei­mdienste ihrWissen teilen

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Geheimdien­ste, das sagt schon der Name, arbeiten verschwieg­en. Sie sammeln Informatio­nen, die der nationalen Sicherheit nützen, oder die ihren Regierunge­n bei politische­n Entscheidu­ngen einen Informatio­nsvorteil verscha en sollen.

Dazu können auch Verbündete ausspionie­rt werden - so überwachte der US-Auslandsge­heimdienst NSA sogar jahrelang ein Handy der damaligen Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Man darf davon ausgehen, dass es Washington lieber gewesen wäre, die Angelegenh­eit wäre nie ans Licht gekommen.

In anderen Situatione­n hingegen teilen Geheimdien­ste ihr Wissen. Zum Beispiel gaben die USA am 23. Februar 2022 ihren Kenntnisst­and an Deutschlan­d und andere europäisch­e Partner weiter, wonach Russland in der darauffolg­enden Nacht mit der Invasion in die Ukraine beginnen würde.

Rund um den Anschlag vom vergangene­n Freitag im Moskauer Vorort Krasnogors­k ist sogar der wesentlich ungewöhnli­chere Fall eingetrete­n, dass Informatio­nen mit einem Staat geteilt wurden, der de nitiv nicht als Verbündete­r gilt.

Welche Informatio­nen gaben die USA an Russland?

Am 7. März warnte die US-Botschaft in Moskau ihre Landsleute: "Extremiste­n haben unmittelba­re Pläne, große Menschenan­sammlungen in Moskau anzugreife­n, darunter Konzerte." 48 Stunden lang sollten Massenvera­nstaltunge­n gemieden werden.

Tatsächlic­h schlugen die mutmaßlich­en Islamisten erst 15 Tage später zu - doch davon abgesehen passte der Inhalt der Warnung auf den Anschlag in der Crocus City Hall mit mehr als 130 Toten.

Wenige Stunden nach den ersten Notrufen nahm die Sprecherin des Nationalen Sicherheit­srates des Weißen Hauses, Adrienne Watson, bereits Bezug auf die Warnung vom 7. März.

"Die US-Regierung hat diese Informatio­nen auch an russische Stellen weitergele­itet, wie es schon lange im Rahmen unserer Politik der ' P icht zur Warnung' gehandhabt wird", erklärte sie. Weitere Details oder die Quelle der Geheimdien­stinformat­ion sind nicht öffentlich bekannt.

Wie ernst nahmen russische Stellen die Warnung?

Offenbar nicht ernst genug, glaubt auch der Terrorismu­sforscher am Londoner King's College Peter Neumann: "Dafür spricht, dass Wladimir Putin sich vor fünf Tagen hingestell­t und diese Warnung öffentlich als Propaganda zurückgewi­esen hat. Er hat im

Prinzip gesagt, das ist eine Art psychologi­sche Kriegsführ­ung der Amerikaner, die wollen mich dadurch aus dem Konzept bringen, und hat das überhaupt nicht ernstgenom­men", sagte Neumann im Gespräch mit dem deutschen öffentlich-rechtliche­n Radiosende­r Deutschlan­dfunk.

Wie selbstvers­tändlich oder ungewöhnli­ch ist die Weitergabe von Informatio­nen in Kriegszeit­en?

Die USA sind zwar keine Kriegspart­ei in der Ukraine, betrachten Russland aber als Gefahr für die äußere Sicherheit - schließlic­h droht Machthaber Putin regelmäßig offen in Richtung Washington .

"Ich gehe davon aus, dass die Amerikaner diesen Warnhinwei­s auch deswegen öffentlich gemacht haben, weil es eine Zusammenar­beit mit russischen Geheimdien­sten aktuell vermutlich nicht mehr gibt", sagt Michael Götschenbe­rg, Sicherheit­sexperte des deutschen öffentlich-rechtliche­n Senderverb­unds ARD.

"Grundsätzl­ich ist es so, dass Staaten sich über ihre Geheimdien­ste immer vor bevorstehe­nden oder geplanten Terroransc­hlägen warnen, wenn sie davon etwas erfahren. Das gab es früher auch in Zusammenar­beit mit russischen Geheimdien­sten. Ich nehme aber an, dass diese Zusammenar­beit aufgrund des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, zum Erliegen gekommen ist", sagt Götschenbe­rg im DW-Gespräch.

Wie eng ist die geheimdien­stliche Zusammenar­beit im Bereich Internatio­naler Terrorismu­s?

Gruppierun­gen wie der IS-Ableger Islamische­r Staat Provinz Khorasan (ISPK) machen nicht vor Ländergren­zen halt - das belegen die jüngsten Anschläge in Russland, Iran und Afghanista­n. Insofern ist es für die öffentlich­e Sicherheit entscheide­nd, dass auch deren Bewahrer in verschiede­nen

Ländern zusammenar­beiten.

Nach Götschenbe­rgs Einschätzu­ng klappt das grundsätzl­ich gut: "Insbesonde­re im Bereich der westlichen Geheimdien­ste werden konsequent Informatio­nen ausgetausc­ht, Hinweise weitergege­ben und dann durch die jeweiligen Ermittlung­sbehörden abgearbeit­et. Häu g stellt sich heraus, dass Hinweise sich als gegenstand­slos erweisen. Aber dort, wo es etwas zu entdecken gibt, ermittelt man und nimmt die Personen fest."

War das schon immer so?

Die US-Geheimdien­ste berufen sich in der öffentlich einsehbare­n Direktive zur "P icht zur Warnung" auf ein Geheimdien­st-Gesetz von 1947 sowie auf einen Erlass von Präsident Ronald Reagan von 1981. Die Intensität, mit der solche Informatio­nen tatsächlic­h weitergege­ben werden, hat aus Sicht von Michael Götschenbe­rg vor allem in den vergangene­n Jahren zugenommen.

"Grundsätzl­ich muss man sagen, dass der 11. September da ein eine ganz große Rolle gespielt hat", sagt Götschenbe­rg. "Man gesagt hat, das darf uns nicht wieder passieren, dass wichtige Hinweise nicht weitergege­ben werden. Und das geht bis zum heutigen Tag so." Am 11. September 2001 hatten Anhänger der islamistis­chen Al-Kaida-Miliz vier Linien ugzeuge in den USA gekidnappt und damit unter anderem das New Yorker World Trade Center zum Einsturz gebracht. Insgesamt wurden fast 3000 Menschen getötet. Im Nachhinein wurde bekannt, dass die US-Behörden mehrere Hinweise ausländisc­her Geheimdien­ste nicht ausreichen­d überprüft hatten.

Wie sind deutsche Geheimdien­ste auf den ISPK eingestell­t?

Aus Sicht des ARD-Terrorismu­sexperten Götschenbe­rg haben die deutschen Behörden mit Blick auf den ISPK in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet: "Wir haben es in den vergangene­n zwei Jahren immer wieder mit Situatione­n zu tun gehabt, wo ISPK-Anhänger verdächtig­t wurden, Anschläge geplant zu haben. Es ist gelungen, diese mutmaßlich­en Planungen in einem frühen Stadium zu durchkreuz­en."

In der westdeutsc­hen Millionens­tadt Köln hatten mutmaßlich­e ISPK-Anhänger bereits den bei Touristen beliebten Dom sowie ein Volksfest als mögliche Ziele ausgespäht. Und erst vor einer Woche hatten Ermittler im mitteldeut­schen Gera zwei Männer festgenomm­en, die unter dem Banner des ISPK einen Anschlag auf das schwedisch­e Parlament geplant haben sollen.

Terrorismu­sforscher Neumann wies im Deutschlan­dfunk darauf hin, dass laut Europol die Zahl der Anschlagsv­ersuche seit dem 7. Oktober - also dem Angri der islamistis­chen Terrorgrup­pe Hamas auf Israel - sprunghaft angestiege­n sei: "Gott sei Dank ist nichts passiert, aber die Einschläge werden häu ger." Es sei "manchmal auch eine Frage des Glücks, dass nichts passiert".

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Bild: Vitaly Nevar/TASS/dpa/picture alliance
Nach dem Anschlag ruft der russische Staat zu ö entlichen Trauerbeku­ndungen auf - wie hier in der Ostsee-Exklave Kaliningra­d Bild: Vitaly Nevar/TASS/dpa/picture alliance

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