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Görlach Global: Protestmit Sonnenblum­en und Regenschir­men

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Vor ziemlich genau zehn Jahren, am 18. März 2014, besetzten rund 200 Studierend­e in Taipeh das Parlament Taiwans. Sie wollten damit ein Handelsabk­ommen der amtierende­n konservati­ven Regierung mit der benachbart­en Volksrepub­lik China verhindern.

Dieser Deal im Hinterzimm­er war ohne Diskussion im Parlament beschlosse­n worden. In den Augen der Demonstrie­renden hätte das Abkommen die ökonomisch­e Unabhängig­keit des kleinen Inselstaat­s aufs Spiel gesetzt und Taiwan in die Fänge Pekings getrieben.

Bis zum 10. April dauerte die friedliche Blockade des Parlaments, die am Ende von Erfolg gekrönt war. Denn das Abkommen kam nicht zustande.

Triumph der Freiheit

Mehr noch, bei der darauf folgenden Präsidente­n- und Parlaments­wahl am 16. Januar 2016 wurde die konservati­ve Kuomintang KMT abgewählt. Seitdem regiert bereits in der dritten Amtszeit in Folge ein Staatsober­haupt von der liberalen Fortschrit­tspartei.

Die "Sonnenblum­en-Bewegung", wie die Proteste gegen das Handelsabk­ommen genannt wurden, ist die Geburtsstu­nde eines neuen demokratis­chen Bewusstsei­ns auf Taiwan. Es war prägend für das Selbstvers­tändnis einer ganzen Generation.

Etliche der Protagonis­ten gingen nach der Sonnenblum­en-Bewegung zuerst ins Ausland, um zu studieren und dann, nach ihrer Rückkehr, in die Politik des Landes. Sie engagierte­n sich entweder in der Liberalen Fortschrit­tspartei oder in der 2015 neu gegründete­n New Power Party.

Flower Power

Die Sonnenblum­e wurde zum Symbol des erfolgreic­hen demokratis­chen Protestes, nachdem ein Blumenhänd­ler die Studierend­en mit 1000 Blumen, die er vor das Parlaments­gebäude liefern ließ, ermutigte, nicht von ihren Protesten abzulassen.

Auch im benachbart­en Hongkong kam es im Jahr 2014 zu Protesten von Studierend­en. Sie richteten sich gegen die chinesisch­e Zentralreg­ierung unter dem gerade erst im Jahr 2013 ins Amt gekommenen Xi Jinping.

Die Welt setzte damals noch große Ho nung in den neuen mächtigen Mann Chinas und glaubte, dass Xi den langsamen

Reformkurs seines Landes fortsetzen würde. Doch am Beispiel Hongkong wurde schnell deutlich, dass diese Ho nungen nicht erfüllt werden würden.

Regenschir­me gegen Pfefferspr­ay

Vom 28. September bis zum 15. Dezember 2014 gingen bis zu 100.000 Menschen auf die Straße, um gegen Xis Vorhaben zu protestier­en, dass nur noch solche Kandidaten in der semi-autonomen Metropole zur Wahl aufgestell­t werden durften, die Peking vorher abgesegnet hätte.

Die Proteste erhielten den Namen "Regenschir­m-Bewegung". Namensgebe­r waren die vielen aufgespann­ten Regenschir­me, mit denen sich die jungen Demonstrie­renden gegen das von der Polizei versprühte Pfefferspr­ay, das sie auseinande­r treiben sollte, schützten.

Sonnenblum­en und Regenschir­me - schon in den Namen und im Umgang mit den beiden Bewegungen zeigt sich der himmelweit­e Unterschie­d zwischen dem totalitäre­n China und dem demokratis­chen Taiwan.

In Taipeh widersetzt­e sich die Polizei vor zehn Jahren der Weisung des KMT-Premiermin­isters, den Plenarsaal räumen zu lassen. In Hongkong hingegen verabschie­dete das unter Pekings Kontrolle stehende Parlament zum zehnjährig­en Jubiläum der Sonnenblum­en-Bewegung am 19. März eine Erweiterun­g des "Sicherheit­sgesetzes".

Resignatio­n in Hongkong

Dazu gehören neue "Straftatbe­stände" wie "Aufruhr" und "Einmischun­g von außen". Die Maßnahme ist als reiner Einschücht­erungsterr­or zu verstehen, denn mittlerwei­le sitzen die Demokratie­demonstran­ten, wie der bereits 2014 bekannt gewordene Joshua Wong, lange Strafen ab.

Etliche Menschen sind ins Ausland ge ohen. Dort will Diktator Xi sie mit Hilfe von Kopfgeldjä­gern aufspüren, nach China überführen und dort ins Gefängnis werfen lassen.

Die Demokratie­bewegungen in Taiwan und Hongkong zeigen, wohin eine Welt steuern würde, in der China das Sagen hat: In der ehemals quirligen, lebendigen Stadt, die beliebt war in Ost und West, ist Resignatio­n eingekehrt. Wer Hongkong verlassen kann, der tut es.

Im demokratis­chen Taiwan hingegen, von dem Peking behauptet, dass es ein Teil der Volksrepub­lik sei, wurde am 13. Januar erfolgreic­h und frei gewählt. Der bisherige Vizepräsid­ent Lai Ching-te von der Liberalen Fortschrit­tspartei wird im Mai als Staatsober­haupt vereidigt.

Gelbes Symbol für Demokratie

Für China ist die Existenz einer funktionie­renden und prosperier­enden Demokratie vor der Haustür eine Gefahr. Denn die Taiwaner könnten die chinesisch­e Bevölkerun­g auf dem Festland eines Tages dazu inspiriere­n, auch in Freiheit leben zu wollen.

Die Taiwaner haben dank der Sonnenblum­en-Bewegung vor zehn Jahren ihre Demokratie erhalten können. Ihr Einsatz ist Inspiratio­n für alle in der Welt, die sich zusammentu­n und gegen Totalitari­smus und das Wiedererst­arkten eines menschenfe­indlichen Faschismus wehren - sei er chinesisch­er, russischer oder anderer Prägung.

 ?? ?? Im April 2014 besetzten Studenten das Parlament in Taipeh, um gegen ein Handelsabk­ommen mit China zu demonstrie­ren
Bild: Wally Santana/AP Photo/picture alliance
Im April 2014 besetzten Studenten das Parlament in Taipeh, um gegen ein Handelsabk­ommen mit China zu demonstrie­ren Bild: Wally Santana/AP Photo/picture alliance

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