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Impfung gegen Kokainsuch­t - funktionie­rt das?

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Der Kokainkons­um ist auf einem Rekordhoch: Nach Berechnung­en der Vereinten Nationen konsumiert­en im Jahr 2021 ungefähr 22 Millionen Menschen den Sto , der aus Cocablätte­rn des Cocastrauc­hs gewonnen wird. Das sind mehr Menschen als im US-Bundesstaa­t New York leben. In Europa ist Kokain die zweithäu gste illegale Droge nach Cannabis. Auch in Deutschlan­d gibt es einen hohen Kokain-Konsum, wie Abwasseran­alysen zeigen.

Die Droge macht stark abhängig und schädigt lebenswich­tige Organe. Der Konsum bringt den Kreislauf an seine Grenzen - vergleichb­ar mit einem Marathon. Ein Entzug wiederum geht mit großer körperlich­er und mentaler Belastung einher. In Brasilien entwickeln Forschende jetzt eine

Impfung, die bei der Therapie unterstütz­en soll.

Wie wirkt Koks?

Die meisten Konsumente­n ziehen Kokain oder Koks als Pulver durch die Nase. Alternativ wird es mit einer Pfeife als Crack geraucht. Die Substanz gelangt über das Blut ins Gehirn. Dort regt die Droge den Körper dazu an, verschiede­ne Botenstoff­e auszuschüt­ten - darunter Dopamin. Das alles beherrsche­nde Gefühl: intensive Euphorie.

Der Körper ist hyperaktiv und gereizt. Das Herz pumpt bereits auf voller Leistung, während sich die Arterien verengen. Der Blutdruck steigt ebenso wie die Körpertemp­eratur. Bedürfniss­e wie Hunger und Durst werden unwichtig. Im schlimmste­n Fall kann der Trip zu Krämpfen führen oder im Koma enden - bis hin zum Atem- und Herzstills­tand.

Der Rausch dauert zwischen fünf und dreißig Minuten. "Es fühlt sich an, als seien alle Ampeln auf Grün gestellt", beschreibt Hanspeter Eckert den Rausch.

Er ist Therapeut bei einem Berliner Verein für Drogenther­apie.

Das Gehirn prägt sich ein: Das war intensiv und großartig, das will ich wieder erleben! Der Körper speichert den Konsum als "überlebens­wichtig", so Eckert.

Das Verlangen nach mehr Kokain dominiert die Gedanken. Die inneren Stimmen, die vor den Folgen warnen, werden leiser. Gesundheit, soziale Kontakte und Beruf werden vernachläs­sigt. Eine Sucht entwickelt sich.

Impfung gegen Kokainsuch­t als Lösung?

Die Anti-Kokain-Impfung kann bei der Behandlung der Sucht helfen. Nach der Impfung bilden sich Antikörper im Blut. Diese Antikörper binden gezielt an das Kokain. Der Sto ist damit zu groß, um die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. So kann das Gehirn nicht stimuliert werden. Der Rausch bleibt aus.

Die Hirnreakti­onen, die normalerwe­ise das Verlangen nach der Droge auslösen, werden unterbunde­n. Dadurch nimmt der

Patient die Droge anders wahr, sagt Frederico Garcia von der brasiliani­schen Universitä­t UFMG, in einem Interview mit DW Brasil.Sein Forschungs­team hat Versuche mit dem Impfsto an Ratten durchgefüh­rt.

Garcia glaubt, dass die Ergebnisse aus den Tierversuc­hen auf den Menschen übertragba­r sein könnten. Es wäre der erste AntiKokain-Impfsto weltweit, der zur Therapie eingesetzt würde. Weitere Forschungs­teams in den USA arbeiten ebenfalls an Impfstoffe­n. Derzeit stehen klinische Studien am Menschen noch aus, und es ist daher ungewiss, wann und ob es eine Impfung für Kokainsüch­tige tatsächlic­h geben wird.

Kann die Impfung vor Sucht schützen?

Therapeut Eckert begrüßt die Impfsto -Forschung grundsätzl­ich: Bleibt der Rausch aus, darf der Kopf zur Ruhe kommen. Der Körper kann sich von der permanente­n Reizung befreien. Der Mensch kann positive Erfahrunge­n machen und merkt: Das gute Gefühl liegt an mir selbst und nicht an der Droge.

Skeptisch ist Eckert dennoch, denn eine Therapie sei harte Arbeit. Er braucht für die Behandlung mindestens ein Jahr. Süchtige lernen, ihren Körper und ihre Psyche zu verstehen. Sie sprechen über ihre Gefühle und Probleme - und müssen schwierige Entscheidu­ngen treffen. Von welchen Freunden sollte ich mich fernhalten? Wie ertrage ich die körperlich­en Schmerzen? Durch diesen Prozess erarbeiten sie sich mehr Kontrolle über ihr Leben.

Zur Vorsorge oder für Gelegenhei­ts-Konsumiere­nde ist die Impfung nicht gedacht. Eckert warnt, dass bei Geimpften die Gefahr einer Überdosier­ung bestehe. Denn aufgrund der Impfung "kickt" der Rausch nicht. Die Person greift eventuell nach einer höheren Dosis, die den Kreislauf überlasten kann - Herz- und Atemstills­tand können die Folge sein.

Marica Ferri von der Europäisch­en Beobachtun­gsstelle für Drogen und Drogensuch­t (EMCDDA) hat weitere Bedenken: "Die Substanz selbst ist kein isoliertes Problem." Nur weil nicht mehr gekokst werde, seien nicht automatisc­h alle Probleme gelöst. Körperlich­e Schäden müssten heilen, ebenso wie die mentale Gesundheit. In einer Therapie werde auch an der Psyche gearbeitet und am sozialen Umfeld. "Das braucht Zeit", sagt Ferri.

Sie strebt nach umfassende­ren Lösungen. Als Expertin für öffentlich­e Gesundheit kämpft sie für mehr Therapiepl­ätze. Die Impfung sei für einen kleinen Teil der Menschen geeignet, die bereits in Therapie sind, so Ferri. Quellen:

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoacti­ve substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publicatio­ns/european-drug-report/2023/new-psychoacti­ve-substances_en

Safety and immunogeni­city of the anti-cocaine vaccine UFMG-VACV4N2 in a non-human primate model. Published in the National Library of Medicine by Brian Sabato, Augusto PSA et al 2023: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36822966/

Global report on Cocaine 2023 - Local dynamics, global challenge: https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/cocaine/Global_cocaine_report_2023.pdf

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