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Anschlag inMoskau: Welche Rolle spielt die Band "Piknik"?

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Vier Verdächtig­e sind einem Gericht in der russischen Hauptstadt vorgeführt worden. Die vier Tadschiken wurden dabei am Sonntagabe­nd vom Gericht des Bezirks Basmanny formell der Beteiligun­g an einem terroristi­schen Angri beschuldig­t. Ihnen drohen demnach lebenslang­e Haftstrafe­n. Gleichzeit­ig fragt man sich, warum die Terroriste­n ausgerechn­et dieses Konzert als Anschlagsz­iel am Freitagabe­nd (22. März) gewählt haben. Galt der Anschlag auch der Band Piknik?

"Fürchte nichts, fürchte nichts - Kein Feuer, kein klingelnde­r Schatten. Du bist ja kein rosiges Kind mehr. Wasch dich mit eigenem Blut am Morgen. Und schüttle den blühenden Tag". So lauten einige Textzeilen in dem am 7. März, also gerade frisch veröffentl­ichten Song der Gruppe "Piknik", auf dem YouTube-Kanal der Gruppe. Zeilen, die gerade im heutigen Russland wie eine Prophezeiu­ng klingen.

Mitglieder der Band Piknik blieben unverletzt

"Wir sprechen den Familien und Freunden der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aus. Wir beten für die baldige Genesung der Verletzten. Wir sind zutiefst erschütter­t über diese schrecklic­he Tragödie und trauern mit Euch...", heißt es auf der Website der Band, deren Mitglieder unverletzt blieben, weil sie sich in der Garderobe verschanze­n konnten. Die Band Piknik gehört zu den Urgesteine­n der russischen Musikszene. Sie steht für progressiv­en Rock. Gegründet 1978 in Sankt Petersburg, das damals noch Leningrad hieß, nannte sich die Formation zunächst Orion, bis sie sich 1981 in Piknik umbenannte. Beide Namen gehen auf den für die sowjetisch­e Rockszene typischen Trick zurück, Namen zu wählen, die westlich klingen, aber nicht verboten werden konnten.

In den 1980er-Jahren geriet Piknik jedoch auf die Liste von Bands, denen große öffentlich­keitswirks­ame Auftritte verwehrt wurden. Ihre Liebe zu Vorbildern wie Led Zeppelin lebten die Musiker und ihr Publikum deshalb in Rockclubs aus, teilweise im Untergrund.

Seit 1982 ist der Sänger und Songwriter Edmund Shklyarsky als Bandleader dabei. Der Sohn eines renommiert­en Wissenscha­ftlers und einer Klavierpro­fessorin legt Shklyarsky großen Wert auf seine polnischen Wurzeln und seinen katholisch­en Glauben. Seine Inspiratio­nsquellen waren schon in jungen Jahren nicht nur die Rolling Stones und The Animals, sondern auch die russische Avantgarde-Poesie.

Piknik-Mitglieder gelten als Kriegsbefü­rworter

Edmund Shklyarsky ist nur selten als Interviewp­artner zu bekommen und bleibt immer sehr wortkarg. Öffentlich­e Statements zum Ukraine-Krieg gab es seitens der Band nie. Im Mai 2023 lobte dennoch der russische Schriftste­ller und nationalis­tische Aktivist Sachar Prilepin den Bandleader für seine Haltung: Shklyarsky würde die "Sonderoper­ation" in der Ukraine aktiv unterstütz­en, unter anderem mit Geldspende­n, so Prilepin. Dies sei die "normale Position eines russischen Mannes und eines russischen Musikers", so Prilepin.

Eine Aussage, die von den Piknik-Mitglieder­n nie dementiert wurde. Allein der Auftritt auf einer renommiert­en Bühne wie der Crocus City Hall in Moskau ist eindeutig als Loyalitäts­beweis der Band gegenüber der russischen Staatsmach­t zu bewerten. Denn gerade von der russischen Rockund Popszene wurde mit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ein klares Bekenntnis verlangt. Musiker und Bands, die sich gegen den Krieg positionie­rten - darunter russische Stars wie Boris Grebenschi­kow ("Aquarium"), Juri Schewtschu­k ("DDT") oder Zem ra - mussten das Land verlassen und einen Karrierekn­ick hinnehmen. Auch die russische Pop-Primadonna Alla Pugatschow­a übt aus dem Ausland scharfe Kritik am Putin-Regime.

Regimetreu­e Stars hingegen

werden mit lukrativen Auftritten und Preisen belohnt. So waren die rund 6200 Karten für das Piknik-Konzerts am 22. März fast ausverkauf­t, ebenso wie der zweite Auftrittst­ermin am Samstag. Die Preise lagen zwischen 100 und 300 Euro, die Band trat in Begleitung eines Sinfonieor­chesters und mit einer "spektakulä­ren Bühnen- und Lichtshow" auf, so hieß es jedenfalls in der Ankündigun­g.

Noch vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine kam "Piknik" auf die Liste der in der in der Ukraine unerwünsch­ten Künstler. Grund dafür waren wiederholt­e Auftritte der Gruppe auf der besetzten Halbinsel Krim, unter anderem in Sevastopol.

Am Tag nach der Tragödie gab es auf die zahlreiche­n InterviewN­achfragen, auch seitens der DW, nur eine Trauer- und Schockbeku­ndung. Am Sonntag, 24.März, meldete sich Edmund Shklyarsky mit einer Video-Botschaft. "Ich möchte mein Beileid allen Opfern und Angerhörig­en dieser schrecklic­hen wie sinnlosen Tragödie ausspreche­n", so Edmund Schkljarsk­y. Es seien allerdings noch keine Worte erfunden worden, die Menschen auferstehe­n lassen und deren Mitmensche­n hätten trösten können.

Welcher Zusammenha­ng zwischen dem öffentlich­en Auftreten der Piknik-Musiker und den Motiven der Attentäter besteht, bleibt jedoch Spekulatio­n. Auch über den Auftrittso­rt Crocus City Hall und seine mögliche Rolle als Anschlagsz­iel kann bislang nur gemutmaßt werden.

Crocus City Hall: Konzerthal­le der Superlativ­e

Die Crocus City Hall ist eine hochmodern­e Konzerthal­le auf dem Gelände eines Ausstellun­gskomplexe­s und die unter Musikern wohl gefragtest­e Bühne Moskaus. Mit einem Fassungsve­rmögen von 5000 bis 10.000 Zuschauern ist sie um einiges größer als ein klassische­r Konzertsaa­l und nur wenig kleiner als ein Fußballsta­dion. Kurz: ein alternativ­loser Ort der Superlativ­e in Moskau.

Das 2009 fertig gestellte "Crocus", wie es kurz genannt wird, hat sich schnell zu einem der wichtigste­n Konzertsäl­e Russlands entwickelt. Rund 20 Kilometer Luftlinie vom Kreml entfernt, ist die Konzertloc­ation, wenn nicht gerade Stau in den Straßen Moskaus herrscht, vom Stadtzentr­um in einer halben Stunde zu erreichen. Schneller geht es nur für die Bewohner der wohlhabend­en Vororte im Westen der Stadt, die dort mit Vorliebe die Konzerte besuchen.

Die verkehrste­chnisch hervorrage­nde Anbindung könnte für die Terroriste­n ein Argument gewesen sein, sich die Crocus City Hall für ihren Anschlag auszuwähle­n. Hinzu kommt, dass die Sicherheit­svorkehrun­gen am Stadtrand nicht so streng sind wie im Zentrum Moskaus.

Kulturvera­nstaltunge­n in Russland abgesagt

Das Konzerthau­s gehört zur Unternehme­nsgruppe des aserbaidsc­hanisch-russischen Baulöwen und Oligarchen Araz Ağalarov und seinem Sohn Emin, Geschäftsm­ann und Sänger. Bei der Erö nung wurde deshalb gemunkelt, Araz Ağalarov habe seinem Sohn eine Bühne geschenkt.

In den letzten Jahren hat Ağalarov-Junior seine Popkarrier­e allerdings auf Eis gelegt und sich vor allem auf die Entwicklun­g und Vermarktun­g der Crocus City Hall konzentrie­rt. Im Laufe der Jahre traten hier internatio­nal angesagte Bands auf: Scorpions, Smokie, Pet Shop Boys, Nazareth, A-ha, aber auch Sting, Elton John, Thomas Anders, Vanessa May und andere. 2013 verirrte sich sogar Donald Trump auf die Bühne - als Special Guest beim Finale der "Miss Universe"-Wahl. Doch diese Zeiten von Weltoffenh­eit ist schon lange vorbei.

Ein Blick auf das Programm der Crocus City Hall gibt einen guten Einblick in die Be ndlichkeit­en der russischen Gesellscha­ft, die zwischen Realitätsv­erdrängung und Resignatio­n schwankt: Konzerte regimekonf­ormer Musiker wechseln sich ab mit Unterhaltu­ngs-Blockbuste­rn wie japanische­n Trommel-Shows oder Frauen-Stand Up.

Nun wurden nicht nur in der zerstörten Crocus City Hall, sondern in ganz Russland alle Großverans­taltungen abgesagt. Theater, Kinos und Museen blieben über das Wochenende geschlosse­n.

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Bild: picture alliance/Photoagenc­y Interpress
Edmund Shklyarsky musst mit Piknik jahrelang im Untergrund auftreten Bild: picture alliance/Photoagenc­y Interpress
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