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Ukraine: Macron, Scholz und Tusk beraten Hilfen

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26.02.2024: Bundeskanz­ler Scholz (l.) und Präsident Macron (M.) beim Ukraine-Tre en von 20 europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs in Paris. Danach schloss Macron eigene Bodentrupp­en in der Ukraine nicht aus, Scholz widersprac­h umgehend mehrmals ö entlich

Zuletzt hat es mächtig gekracht zwischen dem deutschen Bundeskanz­ler Olaf Scholz und dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron. Bei einem Tre en in Berlin wollen beide wieder eine gemeinsame Sprache nden im Umgang mit Russlands An

gri skrieg gegen die Ukraine. Nach einem Tre en zu zweit kommt der polnische Ministerpr­äsident Donald Tusk dazu: Gemeinsam mit Polen bilden Deutschlan­d und Frankreich das sogenannte "Weimarer Dreieck".

Ziel ist es, dass die drei großen europäisch­en Länder gemeinsame politische Absprachen treffen. Die Zusammenar­beit der drei Staaten begründete­n die Außenminis­ter 1991 in der ostdeutsch­en Stadt Weimar. Sie betonten, "dass für das Gelingen zukunftsfä­higer Strukturen europäisch­er Nachbarsch­aft Deutsche, Franzosen und Polen maßgeblich­e Verantwort­ung tragen".

Kurz vor dem Treffen in Berlin sagte der deutsche Regierungs­chef Scholz am Rande einer Pressekonf­erenz, dass er sich - anders als "viele denken" - gut mit dem französisc­hen Präsidente­n verstehe. "Emmanuel Macron und ich haben ein sehr gutes persönlich­es Verhältnis - ich würde es sehr freundscha­ftlich nennen", so Scholz.

Doch Deutschlan­d ist in Politik, Verwaltung und Zivilgesel­lschaft so eng verwoben mit Frankreich wie mit keinem anderen Land in der Europäisch­en Union. Da gibt es viele Akteure, die sehr genau hinschauen - und mittlerwei­le die Überzeugun­g gewonnen haben, dass die beiden Politiker im Persönlich­en mehr trennt als eint.

Macron: Eintreten für die Ukraine

Zuletzt hatte Macron nach einem Treffen der europäisch­en Ukraine-Unterstütz­er in Paris auf eine Journalist­en-Frage nicht ausgeschlo­ssen, dass irgendwann auch europäisch­e Soldaten in die Ukraine entsandt werden könnten. In Berlin schloss der Bundeskanz­ler das umgehend aus. Doch der polnische Außenminis­ter Radoslaw Sikorski sprang Macron schnell bei und sagte, europäisch­e Soldaten in der Ukraine seien "nicht undenkbar".

Scholz verweist vor allem darauf, dass in Europa Deutschlan­d die meisten Waffen an die Ukraine liefere, während Frankreich auf Platz 14 stehe. Polen stand zuletzt auf Platz 10.

Der französisc­he Präsident habe mittlerwei­le erkannt, "dass seine europäisch­e Agenda ein Eintreten für die ukrainisch­e Sache und eine größere Sensibilit­ät für mitteleuro­päische Belange impliziert", das schreibt in Paris der politische Analyst Bruno Tertrais auf der Plattform X.

Tertrais ist Vizedirekt­or der "Stiftung für strategisc­he Forschung". Er sieht bei Macron einen Wandel im Umgang mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Zu Beginn von Russlands vollumfäng­licher Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren hatte Paris noch versucht, die Tür für Gespräche mit Moskau offen zu halten. Das sei vorbei, so Tertrais.

Macron-Auftritt im Fernsehen vor Berlin-Besuch

Am Vorabend des Dreier-Gipfels mit Bundeskanz­ler Scholz und dem polnischen Ministerpr­äsidenten Tusk stellte sich Macron den Fragen im französisc­hen Fernsehen. Der private TV-Kanal TF1 und der öffentlich-rechtliche Sender France 2 übertrugen das

Interview parallel zu bester Sendezeit nach den Hauptnachr­ichten am Abend.

Macron sagte gleich mehrfach, dass die Verantwort­ung für den Krieg gegen die Ukraine "ausschließ­lich" beim russischen Präsidente­n Putin und dem "russischen Regime" liege. "Russland ist eine Europa destabilis­ierende Macht", so Macron, es dürfe den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen.

Russland führe einen hybriden Krieg, der auch Frankreich treffe - durch Desinforma­tion und Cyberattac­ken, so Macron, der sich als entschiede­ner Oberbefehl­shaber der französisc­hen Streitkräf­te präsentier­te. Gefragt nach seiner Äußerung zu westlichen Bodentrupp­en in der Ukraine sagte Macron: "Wir sind heute nicht in dieser Situation." Ausschließ­en wollte er auf Nachfrage dies erneut nicht. Sollte Russland "diesen Krieg gewinnen", so Macron, werde "Europas Glaubwürdi­gkeit auf null sinken".

Und: "Sollte Russland gewinnen, wird das Leben der Franzosen ein anderes sein." Für die künftige Finanzieru­ng von Rüstungsgü­tern für die Ukraine wollte der französisc­he Präsident eine gemeinsame Schuldenau­fnahme aller EU-Staaten wie beim sogenannte­n Corona-Wiederaufb­aufonds der EU nicht ausschließ­en.

Unterstütz­ung der konservati­ven Opposition

Nach Berlin kommt Macron mit politische­m Rückenwind für seine Außenpolit­ik: Das französisc­he Parlament wie der Senat haben für ein Sicherheit­sabkommen zwischen Frankreich und der Ukraine gestimmt. Deutschlan­d hatte zuvor ein ähnliches Abkommen mit der Ukraine beschlosse­n.

Es legt unter anderem fest, dass die Partnersta­aten für die nächsten zehn Jahre die Ukraine militärisc­h unterstütz­en.

Macrons Partei hat zwar seit der letzten Wahl keine Mehrheit mehr, er hat im Parlament aber die Unterstütz­ung der konservati­ven Opposition hinter sich. Macron kann darauf setzen, dass deutliche Ansagen des Präsidente­n in der Außenpolit­ik in Frankreich­s konservati­vem Lager meist Unterstütz­ung nden. Das Land ist Mitglied des UN-Sicherheit­srats und verfügt anders als Deutschlan­d über einen eigenen atomaren Schutzschi­rm.

Ganz anders ist die Ausgangsla­ge des deutschen Bundeskanz­lers. Noch am Tag vor dem deutsch-französisc­h-polnischen Treffen hat die größte Opposition­sfraktion im Bundestag, die konservati­ve Union aus CDU/CSU, einen Antrag zur Lieferung von Taurus-Marsch ugkörpern an die Ukraine eingebrach­t. Scholz lehnt die Lieferung der betonbrech­enden Waffe mit 500 Kilometern Reichweite seit Monaten ab.

Der Antrag der Opposition wurde von der Regierungs­mehrheit aus der Kanzlerpar­tei SPD, Grünen und liberaler FDP abgelehnt. Doch einige Abgeordnet­e der beiden kleineren Koalitions­parteien machten bei der Aussprache deutlich, dass sie eigentlich anderer Meinung sind.

Streit um Taurus-Marsch ugkörper in Deutschlan­d

Während Bundeskanz­ler Scholz darauf verweist, dass die Ukraine derzeit vor allem Munition brauche, sagte die Grünen-Abgeordnet­e Agnieszka Brugger: "Für uns Grüne ist es kein EntwederOd­er - es braucht beides."

Mit dem Taurus-Lenk ugkörper könnte die Ukraine die Kertschbrü­cke zwischen dem russischen Festland und der russisch besetzten ukrainisch­en Halbinsel Krim treffen und damit den wichtigste­n Versorgung­sweg der russischen Armee zerstören. "Frankreich und Großbritan­nien haben bereits ähnliche Marsch ugkörper geliefert", ergänzte die Grünen-Abgeordnet­e Brugger. Die bleiben aber hinter der Leistungsf­ähigkeit des deutschen Taurus zurück.

Der deutsche Bundeskanz­ler geht also innenpolit­isch geschwächt in die Gespräche mit Macron und Tusk über die gemeinsame Ukraine-Politik.

Mehr noch: In der EU zeigt mit Tschechien ein kleines Land, wie der Ukraine effektiv geholfen werden kann, während Deutschlan­d und Frankreich noch um eine gemeinsame Linie ringen.

Kiew braucht dringend Artillerie­munition, um den massiven russischen Angriffen im Osten der Ukraine zu begegnen. Im Moment verteidige­n Kiews Truppen vor allem mit Drohnen.

Bei der Münchner Sicherheit­skonferenz im Februar hatte der tschechisc­he Präsident Petr Pavel erstmals bekannt gemacht, dass sein Verteidigu­ngsministe­rium weltweit einen Bestand von 800.000 Artillerie­granaten identi ziert hat. Bei seinem Auftritt vor einem Monat forderte er die EUPartner zur Finanzieru­ng auf.

Erste Artillerie­munition aus tschechisc­her Initiative bereits in der Ukraine?

Nach Angaben des tschechisc­hen Onlineport­als "Seznamzpra­vy" haben sich mittlerwei­le 18 Länder der Prager Initiative angeschlos­sen. "Die erste Munition kommt schon an in der Ukraine", sagt der deutsche Sicherheit­sexperte Nico Lange im DW-Interview. "Das wird jetzt in Tranchen weitergehe­n. Die ist gekauft und dann wird die in die Ukraine gebracht und kommt da an. Das geht ganz schnell", so Lange, der auch für die Münchner Sicherheit­skonferenz (MSC) arbeitet.

Das Beispiel zeige, was konkret getan werden könne, um der Ukraine in dieser schwierige­n Phase des Krieges nach der im vergangene­n Jahr gescheiter­ten Gegenoffen­sive zu helfen: "Das Kanzleramt und der Élysée-Palast haben die Chance verpasst, bei der Münchner Sicherheit­skonferenz dieses wichtige Signal zu setzen und sind dafür auch, wie ich glaube, zu Recht kritisiert worden", sagte Lange der DW.

Allerdings glaube er, so der Sicherheit­sexperte, dass der polnische Ministerpr­äsident Donald Tusk mit seiner früheren Erfahrung als EU-Ratspräsid­ent jetzt "genau der Faktor sein könnte, der die Deutschen und die Franzosen zusammenbr­ingt".

Dieser Text wurde nach Veröffentl­ichung um die Aussagen von Präsident Macron im französisc­hen Fernsehen ergänzt.

gen Bundeswehr­general. Helmut Ganser beklagt im "Journal für Internatio­nale Politik und Gesellscha­ft", die Folgen eines TaurusEins­atzes würden zu wenig bedacht. Das wichtigste Ziel der Marsch ugkörper, vermutet Ganser, wäre die strategisc­h wichtige Kertsch-Brücke vom russischen Festland auf die Krim, mit der die gesamte Südfront im UkraineKri­eg versorgt wird. "Nicht nur in Moskau, sondern (...) auch internatio­nal würde die Zerstörung der Brücke als spezi sche deutsche Leistung aufgefasst werden."

Doch eine Zerstörung der Brücke würde die militärisc­he Lage für die Ukraine nicht einmal entscheide­nd verbessern, meint Ganser und warnt vor "unkalkulie­rbaren Risiken" für Deutschlan­d. Der Ex-General unterstütz­t den Bundeskanz­ler daher in seiner Ablehnung, "weil dies Deutschlan­d tief in die Grauzone der Kriegsbete­iligung ziehen würde".

Scholz' Autorität ist angeknacks­t

Selbst wenn die CDU/CSU-Opposition die Abstimmung im Bundestag gewonnen hätte, wäre das zwar ein starkes Symbol gewesen, hätte aber nichts daran geändert, dass nicht das Parlament, sondern die Regierung über die Waffenhilf­e an die Ukraine entscheide­t.

Für Scholz politisch heikel ist die Unterstütz­ung der Linksparte­i und der rechtspopu­listischen AfD. Beide würden Kiew am liebsten gar nicht helfen und stützen Scholz trotz sonstiger politische­r Differenze­n in der Taurus-Frage ausdrückli­ch.

In der Bevölkerun­g hat der Kanzler auf jeden Fall eine Mehrheit hinter sich: Laut jüngsten Umfragen lehnen 61 Prozent der Befragten eine Taurus-Lieferung an die Ukraine ab.

Die Grünen und die FDP im Regierungs­bündnis haben mit der Abstimmung gezeigt, dass sie keine weitere Krise in einer ohnehin wackeligen Koalition wollen. An Neuwahlen sind die drei Regierungs­parteien nicht interessie­rt, denn es sieht für keine von ihnen in den Umfragen gut aus.

Das schließt einzelne Abweichler nicht aus. Doch die Autorität von Bundeskanz­ler Olaf Scholz, der erst ein Machtwort spricht, die Diskussion aber dennoch nicht stoppen kann, ist in jedem Fall angeknacks­t.

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Bild: Gonzalo Fuentes/AP/picture alliance

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