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Syrien: Tödliche Drohnen bedrohen Zivilisten

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Das Summen kam wie aus dem Nichts. "Ich wollte gerade das Mittagesse­n für meine Frau und meine Kinder holen, als ich bemerkte, wie mich eine bewa nete Drohne auf meinem Motorrad verfolgte", berichtet Mohammad Zakaria Junaidi der DW.

Er habe geglaubt, dass er und seine beiden Söhne in diesem Moment sterben müssten, so der Bauer aus dem Nordwesten Syriens weiter. "Auf der Straße zwischen den Feldern und dem Dorf gab es keinen Ort, an dem ich mich hätte verstecken können."

Um zu entkommen, habe er sein Motorrad beschleuni­gt und sei in einen Feldweg abgebogen. "Für ein paar Sekunden verlor die Drohne unsere Spur. Doch kaum hatte sie uns wieder entdeckt, explodiert­e sie." Er und seine beiden Kinder seien durch umher iegende Granatspli­tter verletzt worden, berichtet Junaidi.

Junaidis Felder liegen in der Ortschaft Al-Nayrab, östlich von Idlib, der letzten großen Hochburg der opposition­ellen Syrischen Nationalar­mee und vor allem der mächtigen Dschihadis­tenmiliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS).

"Im Nordwesten Syriens nehmen die Regierungs­truppen die HTS ins Visier. Sie glauben, sich dadurch taktische Vorteile verschaffe­n zu können", sagt Nanar Hawach, Syrien-Analyst beim Think Tank Internatio­nal Crisis Group, im DW-Gespräch.

Diese Drohnen könnten bis zu zwei Kilo Sprengsto tragen. Damit haben sie zwar noch kein militärisc­hes Niveau erreicht, sind aber ein preiswerte­s und leicht erhältlich­es Instrument, um kleinere Gruppen, Fahrzeuge und

Nachschubr­outen zielgenau anzugreife­n. "Einige dieser Drohnen werden in Syrien selbst hergestell­t", so Hawach.

Attacken auf Lebensgrun­dlagen

Unter den Drohnenang­riffen leiden seit einigen Monaten jedoch zunehmend auch Zivilisten. "Das syrische Regime und seine russischen und iranischen Unterstütz­er setzen verstärkt Selbstmord­drohnen in jenen Gebieten ein, die für die Landwirtsc­haft von zentraler Bedeutung sind", sagt Kelly Petillo, Nahost-Forscherin beim European Council on Foreign Relations, der DW. Zu diesen

Gebieten zählten etwa Hama, Idlib und Aleppo.

"Die Regierungs­truppen versuchen, die Lebensgrun­dlagen der Zivilbevöl­kerung in den nicht vom Regime kontrollie­rten Gebieten zu bedrohen", so Petillo. "Diese Taktik fordert einen hohen menschlich­en Tribut. Seit Anfang des Jahres haben lokale Gruppen rund 140 Angriffe dieser Art gemeldet."

Die Angriffe könnten einen Verstoß gegen das Kriegsrech­t und damit einen zentralen Bestandtei­l des Völkerrech­ts darstellen, so Hiba Zayadin, NahostExpe­rtin bei der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch.

"Die Kriegsgese­tzgebung verbietet Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte und verlangt von den Kon iktparteie­n, jederzeit zwischen zivilen Objekten und mi

litärische­n Zielen zu unterschei­den", so Zayadin zur DW.

Paulo Pinheiro, Vorsitzend­er der UN-Untersuchu­ngskommiss­ion für Syrien, berichtete im März von einer " zunehmende­n Gesetzlosi­gkeit" in der Region. Diese begünstige räuberisch­e Praktiken und Erpressung durch bewa nete Kräfte und Milizen.

Mehr als 90 Prozent der Bevölkerun­g in den sogenannte­n Rebellenge­bieten leben heute in Armut. Über 16,7 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Drohnenang­ri e markieren Wendepunkt

Trotz der katastroph­alen, durch das verheerend­e Erdbeben im Februar 2023 zusätzlich verschärft­en Lage gehen Beobachter und Menschenre­chtler davon aus, da

ss bewa nete Drohnen künftig noch häu ger gezielt gegen Zivilisten eingesetzt werden.

"Der syrische Bürgerkrie­g zeichnet sich dadurch aus, dass die meisten beteiligte­n Akteure das Leben von Zivilisten missachten", so Syrien-Experte Hawach von der Internatio­nal Crisis Group.

Die syrischen Regierungs­truppen und die vom Iran unterstütz­ten Gruppen seien nicht die einzigen Kriegspart­eien, die Drohnen von nicht-militärisc­her Qualität einsetzten - auch ihre Kriegsgegn­er täten dies zum Teil.

"Auch die HTS-Milizen haben solche Drohnen bei ihren Operatione­n eingesetzt. Generell nutzten die in Syrien aktiven Akteure diese Technologi­e ebenso zur Aufklärung wie zum Angri ."

Darüber hinaus sieht Hawach in der zunehmende­n Präsenz bewa neter Drohnen einen Wendepunkt in der aktuellen Kon iktdynamik in Syrien.

"Der Iran hat Russland während des Ukraine-Krieges mit Drohnen beliefert. Da sowohl Russland als auch der Iran die syrischen Regierungs­truppen unterstütz­en, war es nur eine Frage der Zeit, bis Drohnen auch von diesen selbst eingesetzt wurden", so Hawach. Russland sei zwar weiterhin in Syrien präsent, doch seien die russischen Luftangrif­fe seit Beginn des Ukraine-Krieges deutlich zurückgega­ngen.

Nun deute der verstärkte Einsatz von Drohnen durch die Regierungs­truppen darauf hin, dass diese versuchten, den Verlust an verbündete­n russischen Luftstreit­kräften zu kompensier­en und sich taktische Vorteile zu verschaffe­n.

Schwerwieg­ende Auswirkung­en

Die neue Kriegführu­ng dürfte für die Bauern im Nordwesten Syriens auch wirtschaft­lich schwerwieg­ende Folgen haben, befürchten Experten. "Sie bedroht nicht nur die Lebensgrun­dlage der örtlichen Bauern, die nun Drohnenang­riffe fürchten müssen, wäh

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Bild: Omar Albam/DW Wurden durch eine Drohne verwundet: Bauer Muhammad Zakaria Junaidi und sein Sohn

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