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Sissoco Embaló: Guinea-Bissaus starkerMan­n oder Diktator?

- Mitarbeit: Braima Darame, Djariatú Baldé

Seitdem Umaro Sissoco Embaló Präsident Guinea-Bissaus ist, führt er sein Land sukzessive in den Ausnahmezu­stand: Sissoco, wie er im Volksmund genannt wird, ging in den letzten vier

Jahren systematis­ch auf Kollisions­kurs mit politische­n Gegnern, dem Parlament und anderen Instanzen des Staates. Ausgangspu­nkt war der misslungen­e Putschvers­uch gegen ihn vom 1. Februar 2022, auf den er mit einer Verhaftung­swelle von Opposition­ellen reagierte. Auf ein ihm widerstreb­endes Parlaments­wahlergebn­is im Juni 2023 reagierte der ehemalige Brigadier-General und Premiermin­ister mit der Au ösung des Parlaments. Anschließe­nd entließ er die gewählte Regierung. Schließlic­h drängte er im Dezember 2023 den Präsidente­n des Obersten Gerichtsho­fes aus dem Amt.

All diese Schritte begründete der 51-Jährige mit der Notwendigk­eit einer "Säuberung des Landes von destruktiv­en und korrupten Elementen". Er wolle zudem die "Ordnung und Disziplin" im Land wiederhers­tellen. Bis diese Ziele erreicht seien, werde Guinea-Bissau von einer "Übergangsr­egierung auf Initiative des Präsidente­n", also von ihm selbst, regiert. Noch im Lauf dieses Jahres solle es Neuwahlen geben, verspricht er. Erst danach könne eine verfassung­skonforme Normalität im Lande wieder hergestell­t werden.

Kritische Stimmen

Viele Bürger sehen Freiheit und Demokratie gefährdet und das Land auf dem Weg in die Diktatur. Doch nur wenige trauen sich, offen Kritik am Präsidente­n zu äußern. Ex-Justizmini­sterin Carmelita Pires ist eine der wenigen, die kein Blatt vor dem Mund nehmen. Seit Sissoco an der Macht ist, fühle sie sich an die dunklen Zeiten des marxistisc­hen Einparteie­nsystems erinnert, das in Guinea-Bissau erst 1994 reformiert wurde: "Sissoco missachtet sämtliche Prinzipien unseres Rechtstaat­es, indem er sämtliche Gewalten auf sich vereinigt: Als Präsident und selbsterna­nnter Regierungs­chef kontrollie­rt er die Exekutive. Gleichzeit­ig setzt er die Judikative unter Druck. Und nach der Auflösung des Parlaments konditioni­ert er auch die Legislativ­e", so die Juristin in einer Videobotsc­haft an die DW. Sissoco lege eindeutig ein "diktatoris­ches Verhalten" an den Tag, so das Fazit von Carmelita Pires.

Auch Bubacar Turé, Präsident der guineische­n Liga für Menschenre­chte, sieht die Demokratie in Gefahr: "Wir haben eine Regierung, die allein auf Initiative des Präsidente­n, also ohne Zustimmung des Parlaments, zusammenge­setzt wurde. Damit ist

zu viel Macht in der Person des Staatspräs­identen konzentrie­rt. Zurzeit sind der Rechtstaat und die Demokratie in Guinea-Bissau de facto außer Kraft gesetzt."

Wann gibt es Neuwahlen?

Im Juni 2023 hatte ein Bündnis unter Führung der früheren Befreiungs­bewegung PAIGC die absolute Mehrheit gewonnen - und nicht Sissocos Partei Madem G15, die sich einst von PAIGC abgespalte­n hatte. Sissoco weigerte sich aber, den Vorsitzend­en der PAIGC, seinen Erzfeind Domingos Simões Pereira, mit der Regierungs­bildung zu beauftrage­n. Erst mit großer Verzögerun­g ernannte er dessen Stellvertr­eter Geraldo Martins zum Regierungs­chef.

Doch die Regierung hielt nur wenige Monate: Im Dezember 2023 nahm Präsident Sissoco die Verhaftung mehrerer PAIGC-Regierungs­mitglieder, die unter Korruption­sverdacht standen, zum Anlass, das Parlament aufzulösen und damit gleichzeit­ig die PAIGC-Regierung abzusetzen.

Sissoco kündigte an, dass noch in diesem Jahr, vorzugswie­se im Juni, ein neues Parlament gewählt werden soll. Doch die Voraussetz­ungen für Neuwahlen sind nach Meinung von Beobach

tern - rein organisato­risch - nicht gegeben. Die Amtszeit der Kommission­smitgliede­r, die vom Parlament bestimmt werden müssten, sei längst abgelaufen, beklagt Juristin Carmelita Pires. Und da das Parlament aufgelöst sei, sei es quasi unmöglich, dass sich die verschiede­nen Parteien mittelfris­tig auf die Zusammense­tzung einer neuen Wahlkommis­sion einigen. Sie glaubt: "Unter diesen Umständen werden wir auf keinen Fall in der Lage sein, in den nächsten Zeiten freie, faire und legale Wahlen durchzufüh­ren."

Sissoco verteidigt sich und setzt seinen Kurs unbeirrt fort

Sissoco weist Vorwürfe, eine Diktatur errichten zu wollen, entschiede­n zurück. "Das ist typisch für Afrika: Wenn einer, wie ich, für Ordnung und Disziplin sorgt, dann wird er sofort als Diktator beschimpft. Dabei habe ich nichts von einem Diktator! Ich bin ein Mann des Volkes!", sagte Sissoco Embaló in einer Videobotsc­haft, die er Ende 2023 über Facebook verbreitet­e.

In dieser Woche drohte er auf einer Pressekonf­erenz indirekt seinen Kritikern: Menschen, die ihn diffamiert­en, würden gnadenlos, "notfalls bis nach China" verfolgt werden, so der Staatspräs­ident. Kritischen Journalist­en weicht Sissoco normalerwe­ise aus. Seit seinem Amtseintri­tt bleiben auch mehrere Interviewa­nfragen der DW unbeantwor­tet.

Erfolge auf internatio­naler Bühne

Gleichzeit­ig versucht Sissoco sein Image auf internatio­naler Ebene aufzupolie­ren. Im Juli 2022 übernahm er für ein Jahr den Vorsitz der westafrika­nischen Wirtschaft­sgemeinsch­aft ECOWAS und hat während der Zeit bei Staatschef­s mächtiger Staaten der Region viel Lob geerntet und Respekt erworben. Senegals Präsident Macky Sall habe er, zum Beispiel, als engen Verbündete­n für sich gewinnen können, behauptete Sissoco immer wieder in den sozialen Medien.

Im Mai 2023 nahm er an einer Mission von sechs afrikanisc­hen Staatschef­s teil, die im Krieg zwischen Russland und der Ukraine vermitteln wollen. Dafür fuhr er auch nach Kiew und Moskau. Vor wenigen Wochen reiste Sissoco zudem nach Israel und ins Westjordan­land, wo er mit Palästinen­serführer Mahmud Abbas zusammentr­af und die Möglichkei­ten eines Waffenstil­lstands im Gazastreif­en erörterte.

Sissoco gefällt sich in der Rolle des friedliche­n afrikanisc­hen Friedensst­ifters: "Es ist mir gelungen, Guinea-Bissau im Konzert der Nationen neu zu positionie­ren. Guinea-Bissau ist zwar ein kleines Land, was die Größe seines Territoriu­ms angeht, aber ich habe den Beweis erbracht, dass es keine kleinen Staaten gibt", sagte Sissoco auf einer Pressekonf­erenz.

Kritische Beobachter wie die Juristin Carmelita Pires sehen das anders: Das Land stecke in einer Sackgasse. Präsident Sissoco habe sich verrannt und müsse sofort umkehren: "Guinea-Bissau steht am Rande des Abgrunds. Ein Schritt weiter, und dieser Staat fällt ins Bodenlose."

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Bild: DW/F. Tchumá Juristin und Ex-Justizmini­sterin Carmelita Pires: "Präsident Sissoco missachtet die Verfassung von Guinea-Bissau"

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