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DFB-Team: fünf Gründe für Deutschlan­ds Formanstie­g

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"Ich will, dass wir den Mut haben, das habe ich der Mannschaft gesagt", sagte Bundestrai­ner Julian Nagelsmann vor dem Spiel gegen Frankreich im ZDF und forderte, "dass wir eine gewisse Lebensfreu­de zeigen auf dem Platz." Diesen Auftrag setzte seine Mannschaft beim Auswärtssp­iel in Lyon eindrucksv­oll um. Doch auch Nagelsmann selber hat mit seiner Kadernomin­ierung Mut bewiesen und das Gesicht der Mannschaft gegenüber den enttäusche­nden Niederlage­n gegen die Türkei und Österreich verändert. Gleich sechs Neulinge nominierte er vor den Testspiele­n gegen Frankreich und die Niederland­e, darunter mit Waldemar Anton, Maximilian Mittelstäd­t und Deniz Undav drei Spieler vom momentan extrem formstarke­n VfB Stuttgart. Dass von Borussia Dortmund einzig Stürmer Niclas Füllkrug dabei ist und prominente Spieler wie Füllkrugs BVB-Kollegen Niklas Süle, Julian Brandt und Mats Hummels oder Leon Goretzka vom FC Bayern im Kader fehlten, barg ein gewisses Risiko.

Doch Nagelsmann geht nach dem Leistungsp­rinzip, nimmt Spieler dazu, die seit Wochen und Monaten im Verein überzeugen. "Am Ende ist es wichtig, dass wir von den Einzelspie­lern her vielleicht nicht die 20 möglicherw­eise talentiert­esten nden, mit den größten Namen, sondern dass wir die 20 zueinander passenden nden", sagte der 36-Jährige. Gegen Frankreich ging dieser Plan schonmal voll auf. Auch der ehemalige DFB-Manager Oliver Bierho ist von Julian Nagelsmann überzeugt. "Er ist ein großartige­r Trainer und immer gut vorbereite­t", sagte Bierho gegenüber der DW. "Ich denke, mit den harten Entscheidu­ngen bei seinen Nominierun­gen hat er der Mannschaft ein klares Zeichen gegeben, dass jeder ihm zu folgen hat. Wer das nicht tut, hat schlechte Karten."

Toni Kroos feiert triumphale Rückkehr

"Wer immer noch Querpass-Toni schreibt, der hat leider keine Ahnung von Fußball", sagte Bundestrai­ner Julian Nagelsmann bereits vor dessen Comeback gegen Frankreich. Das Spiel gegen "Les Bleus" sollte ihm Recht geben. Die DFB-Rückkehr von Toni Kroos nach seinem letzten Auftritt beim Achtel nal-Aus der deutschen Mannschaft bei der Europameis­terschaft 2021 war ein voller Erfolg. Gerade einmal drei Sekunden dauerte es, bis er das erste Mal entscheide­nd in Aktion trat: Einer kurzen Drehung mit Ball am Fuß folgte eine präziser Pass auf Florian Wirtz, der den Ball gekonnt verarbeite­te und nach acht Sekunden zum frühen 1:0 einschoss. Das schnellste Tor der deutschen Länderspie­l-Geschichte war kein Zufall. "Das war geplant, ja", sagte Rückkehrer Kroos nach dem Spiel im ZDF. "Die Standardtr­ainer hatten genug Zeit, sich in den vier Monaten etwas auszudenke­n", fügte er scherzhaft hinzu.

Doch nicht nur die Standards funktionie­rten beim 34-jährigen auf Anhieb. Mit einer beeindruck­enden Eleganz sammelte Kroos einen Assist und 145 Ballkontak­te und trug neben vielen Offensivak­tionen auch zu defensiver Stabilität bei. Er agierte als Führungssp­ieler und Vorbild. Toni Kroos war unfassbar!", schwärmte Julian Nagelsmann: "Er war Taktgeber, hat unglaublic­h viel gearbeitet." Und, das war der vielleicht entscheide­nde Punkt: "Er gibt den anderen Spielern so viel Sicherheit. Du kannst ihn immer anspielen, er hat eine enorme Ruhe. Bei Toni ist der Ball immer gut aufgehoben."

Im Verbund mit Nebenmann Robert Andrich stand das Mittelfeld kompakt und war entscheide­nd daran beteiligt, dass Deutschlan­d zum ersten Mal seit zehn Spielen wieder ohne Gegentor blieb.

Stabilität im Mittelfeld

Stichwort Andrich: Es scheint, als habe Julian Nagelsmann mit dem 29-jährigen Leverkusen­er endlich den so lange vermissten Stabilisat­or im defensiven Mittelfeld gefunden, der an der Seite von Rückkehrer Kroos als Abräumer glänzen kann. Andrich sorgt für die nötige Absicherun­g und hält Kroos den Rücken frei, während

Kapitän Ilkay Gündogan auf der Zehnerposi­tion neue Freiheiten genießt und offensiver agieren kann.

Andrich spielte übrigens schon einmal mit Kroos zusammen - allerdings mit Bruder Felix Kroos bei Union Berlin. Der jüngere Bruder des Real-Stars nannte das Duo in seinem Podcast seine "Traum-und Wunsch-Doppelsech­s für die EM". Weniger als drei Monate vor dem Turnier lässt sich festhalten: Dieser Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen. Oder wie Andrich es nach dem Spiel gegen Frankreich in der ARD ausdrückte: "Das sah schon gar nicht so verkehrt heute mit uns zusammen aus."

Beste Spieler auf beste Positionen

Bereits nach dem 0:2-Debakel gegen Österreich im November letzten Jahres kündigte Bundestrai­ner Nagelsmann an, er wolle "die besten Spieler, die wir haben, auf die beste Position packen". Nun lässt er dieser Ankündigun­g Taten folgen. Vorbei scheint die Zeit der Experiment­e, in der beispielsw­eise Stürmer Kai Havertz als linker Verteidige­r aufgestell­t wurde, wie bei der 2:3-Niederlage gegen die Türkei in Berlin im November. Gegen Frankreich fand sich der Arsenal-Pro wie gewohnten Sturmzentr­um wieder und traf prompt zum 2:0-Endstand.

Antonio Rüdiger und Jonathan Tah sind im Abwehrzent­rum gesetzt, Joshua Kimmich arrangiert sich mit seiner so wichtigen Rolle als rechter Verteidige­r und Maximilian Mittelstäd­t feierte als Linksverte­idiger ein starkes Debüt im DFB-Dress. Dazu kann sich die offensive Kreativitä­t von Jamal Musiala und Florian Wirtz durch die Stabilität im Mittelfeld voll entfalten. "Es war das Beste, was wir in den letzten Jahren gespielt haben", sagte Sportdirek­tor Rudi Völler nach dem Spiel im ZDF sichtlich erheitert.

"Wir kicken" als Motto

Die Leichtigke­it und Selbstvers­tändlichke­it ist zurück im deutschen Spiel. Trainer Nagelsmann spielt dabei eine entscheide­nde Rolle. "Wir haben dem Spiel eine Überschrif­t gegeben. Die ist: 'Wir kicken'", sagte er vor dem Abschlusst­raining in Lyon. Die Message sei "bewusst simpel" gewählt.

"Da ist das Leben, das ist groß. Und da ist der Fußball, und der macht immer Spaß. Wenn es uns erdrückt, dann hören wir auf mit Fußball", referierte Nagelsmann. Mit einfachen, klaren Prinzipien kehrte die Spielfreud­e zurück ins deutsche Spiel. Auch, weil die Hierarchie­n klar verteilt sind. "Wir haben einen klare Rollenvert­eilung, eine klare Hierarchie in der Mannschaft", erklärte Niclas Füllkrug seine EM-Rolle als Backup von Torschütze Kai Havertz.

Nagelsmann hatte immer wieder betont, wie wichtig es sei, dass die Spieler ihre Rolle in der Mannschaft verstehen und annehmen und erklärte: "Am Ende gibt es vorgeferti­gte Rollen und alle Spieler, die damit klarkommen, haben die Chance auch beim Turnier dabei zu sein." Die Chemie in der Mannschaft scheint zu stimmen. Selbst der so formstarke Torwart Marc-André ter Stegen habe seine Position als Nummer zwei hinter Manuel Neuer "sehr profession­ell und sehr erwachsen" aufgenomme­n. Beim Spiel gegen die Niederland­e am Dienstag wird auch Leroy Sané wieder zum Team stoßen. Dieser ist zwar nach einer Tätlichkei­t im Spiel gegen Österreich für insgesamt drei Spiele gesperrt worden, soll aber im Sinne des Teamgeiste­s im Kreise der Mannschaft bleiben. Es gelte für Sané, "sich einzuglied­ern", sagte Nagelsmann: "Er hat eine Qualität, auf die wir nicht verzichten wollen oder verzichten können." Im DFB-Team scheint wieder vieles auf dem richtigen Weg zu sein.

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Bild: BEAUTIFUL SPORTS/Wunderl/IMAGO Bundestrai­ner Julian Nagelsmann bewies Mut zur Veränderun­g und wurde belohnt

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