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Indien und Deutschlan­d: Mehrmilitä­rische Kooperatio­n

- Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand.

Neu Delhi und Berlin trennen Kontinente und tausende Kilometer. Deutschlan­d und Indien gehören auch keinem gemeinsame­n Militärbün­dnis an. Doch die gegenwärti­gen Kriege und Krisen lassen die beiden Staaten nun enger zusammenrü­cken.

Ende Februar trafen sich Staatssekr­etäre der Verteidigu­ngsressort­s in Berlin und sprachen über eine potentiell­e Verteidigu­ngskoopera­tion, die Sicherheit­slage im Indopazi k und mögliche gemeinsame Übungen in der Region. Das Treffen folgte auf den Besuch des deutschen Verteidigu­ngsministe­rs Boris Pistorius vergangene­n Sommer in Delhi, bei dem er eine engere Zusammenar­beit anregte.

Diese Initiative sei ein "großer Paradigmen­wechsel", sagte der deutsche Botschafte­r Philipp Ackermann der Zeitung "Times of India". "Früher waren wir sehr zögerlich", so Ackermann. "Jetzt gibt es in Deutschlan­d einen klaren politische­n Willen, die Verteidigu­ngskoopera­tion mit Indien mit Militärbes­uchen, Übungen und Koprodukti­onen zu verstärken, einschließ­lich neuer Themenfeld­er wie Cybersiche­rheit."

So wird die deutsche Luftwaffe zusammen mit den Luftstreit­kräften etwa aus Frankreich und den USA im August an multilater­alen Übungen teilnehmen, die die indische Luftwaffe ausrichtet. Im Oktober sollen eine deutsche Fregatte und ein Kampfunter­stützungss­chi den Bundesstaa­t Goa an der Westküste Indiens besuchen.

Was fördert die Annäherung?

Deutschlan­d sehe Indien inzwischen als natürliche­n Partner in der Region, sagen Beobachter. Der Wandel in der Haltung Berlins gegenüber Neu-Delhi werde befördert durch Russlands Krieg gegen die Ukraine und Chinas militärisc­hen Druck im Indopazi k. Indien wiederum wolle seine jahrzehnte­lange Abhängigke­it von russischen Waffen verringern und Rüstungskä­ufe breiter streuen.

Bisher habe es in der Verteidigu­ngspolitik "sehr wenig Gemeinsamk­eiten" gegeben, sagt Arun Prakash, ehemaliger Chef der indischen Marine, im Gespräch mit der DW. "Deutschlan­d konzentrie­rte sich auf die EU, und Indiens wichtigste Verteidigu­ngsbeziehu­ng war die zu Russland, Frankreich und Israel. Um es auf den Punkt zu bringen: Bisher waren die Beziehunge­n ziemlich distanzier­t - mit einer Ausnahme, als wir in den späten 1980er Jahren vier U-Boote erworben haben."

Der Besuch von Bundesvert­eidigungsm­inister Boris Pistorius in Indien im vergangene­n Jahr hat einer bilaterale­n Verteidigu­ngspartner­schaft neuen Schub gegeben. Pistorius besuchte als erster

deutscher Verteidigu­ngsministe­r seit 2015 das südasiatis­che Land. Er plädierte dafür, eine Verteidigu­ngskoopera­tion und Waffengesc­häfte mit Indien zu erleichter­n, indem Berlin es wie Australien oder Japan als strategisc­hen Partner behandele.

Win-win bei Rüstungsge­schäften

Verteidigu­ngsexperte­n in Indien glauben, dass Neu Delhi eine solche Annäherung begrüßt. "Deutsche Ingenieurs­kunst und deutsche Technologi­e waren schon immer überlegen. Aber wir wussten, dass Deutschlan­d auf die EU ausgericht­et war. Außerdem verhindert­en gesetzlich­e Beschränku­ngen den Export, so dass wir nicht allzu viele Angebote aus Deutschlan­d erhielten", sagt Prakash. Deutschlan­d ändere jetzt seine Bestimmung­en und stelle militärisc­he Ausrüstung einfacher zur Verfügung.

Während der Reise des Ministers unterzeich­neten deutsche und indische Unternehme­n eine Absichtser­klärung, die den Bau von sechs hochmodern­en dieselelek­trischen Tarnkappen-U-Booten in Aussicht stellt. Die Verhandlun­gen zu einem entspreche­nden Regierungs­abkommen laufen noch. Auch ein Angebot

aus Spanien liege auf dem Tisch, berichtete das indische Medium "The Hindu" im Januar und berief sich dabei auf Behördenve­rtreter. Der Umfang des Geschäfts soll mehr als fünf Milliarden Euro betragen.

Deependra Singh Hooda, Generalleu­tnant a.D. und ehemaliger Kommandeur des Nordkomman­dos der indischen Armee, sieht engere militärisc­he Beziehunge­n als Win-win-Situation für Indien und Deutschlan­d. Indien sei der weltweit größte Importeur militärisc­her Ausrüstung, Deutschlan­d einer der größten Exporteure. "Indien muss sich modernisie­ren. Es muss seine Waffenbesc­haffung diversi zieren. Es ist auf der Suche nach zusätzlich­er Technologi­e, und

Deutschlan­d hat eine sehr starke und robuste Rüstungsin­dustrie."

Multilater­ale Militärübu­ngen mit Mehrwert

Darüber hinaus soll es mehr gemeinsame Manöver geben - wie die multilater­alen Luftwaffen­übungen im August. Daran werden dutzende deutsche Flugzeuge teilnehmen, etwa TornadoJet­s, Euro ghter, Luftbetank­ungs ieger und militärisc­he Transport ugzeuge. "So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt Anil Go

lani, pensionier­ter Vize-Luftmarsch­all und stellvertr­etender Generaldir­ektor des in Neu Delhi ansässigen Centre for Air Power Studies, im Gespräch mit der DW. "Wenn das deutsche Luftwaffen­kontingent zu den Übungen nach Indien kommt, wird die Formation von ihrem Chef selbst angeführt. Er wird mit den Euro ghtern ein iegen."

Die Luftstreit­kräfte vieler Länder möchten an solchen Übungen teilnehmen, erklärt Golani. Denn die indische Luftwaffe setze sowohl russische als auch westliche Flugzeuge ein - unter anderem russische Suchoi oder französisc­he Rafale und Mirage. Das sei ein besonderer Mehrwert bei Manövern: "Nirgendwo sonst können Luftstreit­kräfte ihre Flugzeuge gegen eine in Russland produziert­e Flotte aufsteigen lassen."

Gegenseiti­ges Verständni­s vertiefen

Um die Verteidigu­ngsbeziehu­ngen zu vertiefen, müssen beide Länder jedoch die jeweiligen strategisc­hen Belange besser verstehen lernen. "Deutschlan­d hat mit Argwohn registrier­t, dass Indien sich im Russland-Ukraine-Krieg nicht offen positionie­rt hat. Indien hatte aber strategisc­he Beden

ken. Wir sollten uns ansehen, wo wir übereinsti­mmen. Wo es Differenze­n gibt, sollten wir uns zusammense­tzen und diskutiere­n und so mehr Klarheit auf beiden Seiten schaffen", schlägt der frühere Generalleu­tnant Hooda vor. Genauso hätten sich auch die Beziehunge­n zwischen Indien und den USA im Laufe der Jahre weiterentw­ickelt.

Der ehemalige Marinechef Prakash emp ehlt, dass beide Seiten zunächst ein gemeinsame­s Projekt erfolgreic­h abschließe­n sollten. "Das wird den Weg für die künftigen Beziehunge­n weisen."

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Bild: Paci  c Fleet Informatio­n O  ce/Tass/dpa/picture alliance
Drohgebärd­e: Russland und China bei gemeinsame­r Marinepatr­ouille im Pazi k Bild: Paci c Fleet Informatio­n O ce/Tass/dpa/picture alliance

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