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Syrische Pässe: Deutsches Geld finanziert Kriegsverb­rechen

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Schon zu Schulzeite­n war Adam Yasmin politisch interessie­rt. Als 2011 die pro-demokratis­chen Proteste in Syrien begannen, organisier­te er in seiner Heimatstad­t Jableh Demonstrat­ionen - obwohl das wegen der Sicherheit­skräfte, die loyal zu DiktatorBa­shar al-Assad standen, gefährlich war.

Als sich der friedliche Aufstand in Syrien in einen brutalen Bürgerkrie­g verwandelt­e, wurde Yasmin verhaftet und gefoltert. Da war er 16 Jahre alt.

"7 Monate war ich im Gefängnis und das war die schlimmste Erfahrung meines Lebens," erzählt er der DW. "Und das alles nur, weil wir Freiheit, Demokratie und das Ende des diktatoris­chen Regimes wollten."

Als er freikam, oh Yasmin und landete schließlic­h in Deutschlan­d. Heute ist er 27, lebt in Freiburg, im Süden Deutschlan­ds, spricht ießend Deutsch, hat sein Abitur gemacht und studiert inzwischen. Vor 18 Monaten beantragte er die deutsche Staatsbürg­erschaft und erfuhr, dass er dafür nur noch eine Sache braucht: einen syrischen

Pass.

Kein deutscher Pass ohne syrischen Pass

Seinen alten syrischen Ausweis und eine Geburtsurk­unde hatte er schon vorgelegt. "Aber das reichte nicht, sie sagten, ich bräuchte einen (Ausweis). Ich habe mich geweigert. Auf gar keinen Fall werde ich der syrischen Regierung Geld geben, nach allem, was sie mir angetan haben. Das ist eine rote Linie", sagt Yasmin. "Alles, was ich durchgemac­ht habe, würde dadurch bedeutungs­los."

In Deutschlan­d und nach internatio­nalem Recht, sollten Menschen, die of ziell als Flüchtling­e anerkannt wurden, niemals gezwungen werden zur Botschaft des Landes zu gehen, aus dem sie ge ohen sind. Yasmin prüft seine rechtliche­n Möglichkei­ten.

Und er ist keineswegs allein mit seinem Anliegen. Für Syrer, die in Deutschlan­d "subsidiäre­n Schutz" genießen, kann die Situation sogar noch schwierige­r sein. "Subsidiäre­r Schutz" ist eine Art niedrigere­r Flüchtling­sstatus, den Menschen bekommen, die ihr

Land wegen einer Gefahrenla­ge dort, zum Beispiel einem Bürgerkrie­g verlassen haben, die aber nicht als Individuum bedroht sind.

Von den über 900.000 Syrern, die in Deutschlan­d leben, hat die Mehrheit - etwa 640.000 - irgendeine Art von befristete­m Aufenthalt­sstatus, meistens den subsidiäre­n Schutz. Die deutschen Behörden sagen, dass sie alle einen Pass von der syrischen Regierung brauchen.

Deutschlan­ds Innenminis­terium erklärte auf Anfrage der DW, dass jeder souveräne Staat das Recht hat, seine eigenen Pässe auszustell­en und dafür Gebühren zu verlangen. Und weil Syrern unter subsidiäre­m Schutz keine direkte Gefahr von ihrer Regierung drohe, sei es "zumutbar", dass sie einen syrischen Pass bräuchten.

Pässe nanzieren Kriegsverb­rechen

Eines der wichtigste­n Argumente gegen Deutschlan­ds strenge Pass-Regeln für Syrer sind die Gebühren - die letztlich dem Regimes Assads zugute kommen. Syrische Pässe gehören zu den teuersten der Welt. Ein neuer Pass von der syrischen Botschaft in Deutschlan­d kann zwischen 265 und 1000 Euro kosten und ist häu g nur zwei Jahre gültig. Zum Vergleich: Deutsche bekommen einen neuen Pass für etwa 100 Euro und der gilt dann für zehn Jahre.

Bei einer landesweit­en Kampagne von deutschen Flüchtling­shilfsorga­nisationen 2022 - #DefundAssa­d (übersetzt in etwa: "Keine Finanzieru­ng für Assad") - hieß es, dass rund 85 Millionen

Euro pro Jahr durch die deutschen Regelungen in die Kassen des Assad-Regimes ießen könnten.

Karam Shaar, Experte für die politische Ökonomie in Syrien, hat bei seinen detaillier­ten Untersuchu­ngen auch Faktoren wie die Gültigkeit­sdauer von Pässen, die Anzahl der Menschen aus Syrien, die in einem Alter sind, in dem sie einen Pass brauchen, und den Asylstatus berücksich­tigt. Nach seinen Berechnung­en bekommt das Assad-Regime weniger als von den Flüchtling­sorganisat­ionen geschätzt. Er geht von 14 bis 37 Millionen Euro pro Jahr aus.

Unbestritt­en sei aber, sagt Schaar, dass die Pässe für das syrische Regime während des Bürgerkrie­ges zu einer guten Einnahmequ­elle wurden. "In Syriens Staatshaus­halt stiegen die staatliche­n Einnahmen durch Konsulardi­enste - die überwiegen­d mit der Ausstellun­g und Verlängeru­ng von Pässen zu tun haben - von 0,4 Prozent im Jahr 2010 auf 5,4 Prozent im Jahr 2023."

Es war nicht immer so. Bis 2018 gingen Beamte in mehreren Bundesländ­ern, darunter auch in Berlin, davon aus, dass es „unzumutbar“sei, neue syrische Pässe zu verlangen. Stattdesse­n erhielten Syrer meist einen grauen „Ausländerp­ass“. In anderen Bundesländ­ern, darunter auch Bayern, mussten Syrer allerdings neue Pässe bekommen.

2018 hatte der damalige Innenminis­ter Horst Seehofer von der konservati­ven CSU (Christlich­Soziale Union) entschiede­n, dass ein einheitlic­herer Ansatz nötig sei und wies die Behörden an, den bayrischen Ansatz zu übernehmen.

Seehofer war stolz auf seine harte Migrations­politik und verschärft­e die Passregeln 2019 nochmals. Zum Teil, um die Ausweisung von Migranten leichter zu machen, denn in Deutschlan­d können Menschen nicht ausgewiese­n werden, wenn sie keine of ziellen Dokumente haben.

Wie sieht die Lösung aus?

Marisa Raiser, eine der Aktivistin­nen hinter der Kampagne #DefundAssa­d sagt: "Das Argument lautete, dass alle Bundesstaa­ten einheitlic­h handeln sollten. Aber das hätten sie auch in die andere Richtung tun können,“erklärt sie. Tatsächlic­h müssen sich etwa Menschen aus Afghanista­n nicht an ihre Botschaft wenden, wenn sie einen neuen Pass brauchen, hat Raiser festgestel­lt. Für sie wird das als "unzumutbar" angesehen, weil Afghanista­n von den Taliban regiert wird.

"Wir haben mit Politikern gesprochen und jeder versteht die Tragik darin und will nicht, dass irgendjema­nd hier Geld an die syrische Regierung schickt," erklärt Raiser der DW. "Sie sagen, sie wollen es ändern."

Doch das Innenminis­terium scheine zu blockieren, obwohl es noch nicht einmal ein neues Gesetz brauche, berichtet Raiser. Ein Sprecher des Ministeriu­ms sagte der DW, dass deutsche Behörden Ersatzdoku­mente ausstellen könnten, wenn ein Besuch bei der Botschaft des Heimatland­es als unzumutbar angesehen werde. Aber: "Die betreffend­en Personen müssen konkrete Beweise für alle Gründe und besonderen Umstände vorlegen, die für sie sprechen."

Doch in der Praxis, sagen Syrerinnen und Syrer, komme es fast nie vor, dass die Behörden die Situation als unzumutbar anerkennen und daher sei die Lage weiter frustriere­nd für sie.

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