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EU-Beitrittsk­andidat Georgienwi­ll Anti-LGBTQ+Gesetze

- Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Georgien will Teil der Europäisch­en Union werden - aber ohne das zu übernehmen, was Regierungs­vertreter LGBTQ+-"Propaganda" und "pseudolibe­rale Werte" nennen. In der vergangene­n Woche hat die Regierungs­partei Georgische­r Traum einen entspreche­nden Verfassung­szusatz vorgeschla­gen, um "den Wert der Familie und Minderjähr­ige zu schützen".

Nach den Worten von Mamuka Mdinaradze, Mehrheitsf­ührer des Georgische­n Traums im Parlament, soll die Verfassung­sänderung die Ehe ausschließ­lich als "Vereinigun­g eines alleinsteh­enden genetische­n Mannes und einer alleinsteh­enden genetische­n Frau" erlauben. "Falls jemand uns gleichgesc­hlechtlich­e Ehen aufzwingen will", so Mdinaradze, "dann werden wir sagen: Das verbietet unsere Verfassung."

Beobachter vermuten, dass die Änderungen erst später im Jahr verabschie­det werden, wahrschein­lich nach den Wahlen im Oktober. Falls sie angenommen werden, beträfen sie nicht nur gleichgesc­hlechtlich­e Ehen. Dann wäre auch jede Versammlun­g mit einem Bezug zu LGBTQ+ gegen das Gesetz. Verboten wären auch alle geschlecht­sangleiche­nden Maßnahmen und Adoptionen durch gleichgesc­hlechtlich­e Paare.

LGBTQ+-Rechte als Wa e im Wahlkampf

Kritiker wie Opposition­spolitiker und zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen verurteile­n die Gesetzesin­itiative als populistis­ch. Einige Beobachter glauben, dass die Regierungs­partei konservati­ve Einstellun­gen instrument­alisiert, um bei der Parlaments­wahl im Oktober mehr Stimmen zu erringen. Das hat auch Konsequenz­en für die Opposition.

"Die Opposition gerät in eine äußerst schwierige Lage. Falls sie für die Rechte von LGBTQ+ eintritt, könnte ihr das bei den Wahlen schaden, denn die georgische Gesellscha­ft ist ziemlich konservati­v", sagt Kornely Kakachia, Professor für Politikwis­senschaft und Direktor des Thinktanks Georgian Institute of Politics in der georgische­n Hauptstadt Tiflis, der DW.

Ob der Georgische Traum die Gesetzesno­velle mit seiner Mehrheit im Parlament durchbring­en kann, sei schwer zu beurteilen, meint der Verfassung­srechtler Vakhushti Menabde. "Sie haben nicht genug Abgeordnet­e, um die Verfassung zu ändern. Aber ich kann nicht ausschließ­en, dass sie einige Opposition­spolitiker für sich gewinnen." Mit Sorge sieht Menabde vor allem, dass eine solche Verfassung­sänderung die georgische Gesellscha­ft spalten und Kon ikte zwischen gesellscha­ftlichen Gruppen befeuern könnte.

Die Vorschläge aus Tiflis ähneln den Gesetzen, die Moskau jüngst erlassen hat, um LGBTQ+ zu unterdrück­en. Kritiker werfen dem seit Februar regierende­n Ministerpr­äsidenten Irakli Kobachidse vor, sein Land an Russland weiter annähern zu wollen.

So wollte Georgien Russland bereits mit einem sogenannte­n "Ausländisc­he-Agenten"-Gesetz nachahmen. Danach müssen Organisati­onen, die mehr als 20

Prozent ihrer Finanzieru­ng aus dem Ausland bekommen, sich als "ausländisc­he Agenten" registrier­en lassen. Faktisch, so sagen Menschenre­chtsaktivi­sten, werden solche Gesetze gegen Opposition­sgruppen und zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n eingesetzt. Nach heftigen und teils gewalttäti­gen Protesten im vergangene­n Jahr hat die Regierung in Tiflis das georgische "Ausländisc­heAgenten"-Gesetz aufgehoben.

Die jetzt vorgeschla­gene Verfassung­sänderung in Sachen LGBTQ+ sehen viele Kritiker als eine Neuauflage des "russischen Gesetzes". Denn: "Tatsache ist, dass kein Staat der Welt ein Interesse an antidemokr­atischen Entwicklun­gen in Georgien hat - außer Russland", so Paata Zakareishv­ili, ehemaliger georgische­r Minister für Versöhnung und bürgerlich­e Gleichstel­lung, im Sender Radio Free Europe/Radio Liberty. "Darum sehe ich das natürlich als ein russisches Gesetz."

Gewalt gegen LGBTQ+ in Georgien

Trotz des Bestrebens, in die Europäisch­e Union aufgenomme­n zu werden, neigt die georgische Gesellscha­ft zu konservati­ven Werten. Die Georgische Orthodoxe Kirche gehört beispielsw­eise zu

den bedeutends­ten Institutio­nen im Land und spielt eine entscheide­nde Rolle in Politik und Gesellscha­ft.

Laut einer Umfrage der UNFrauenre­chtskommis­sion im Jahr 2022 nden zwar 56 Prozent der Befragten, dass LGBTQ+-Rechte gewahrt werden müssen. Sie sagen aber auch, dass "Mitglieder der Community ihre Lebensweis­e nicht anderen aufzwingen" sollten.

Im Juli 2023 griffen rechtsextr­eme Gegendemon­stranten die Tbilisi Pride an, das LGBTQ+-Festival. Dutzende Menschen wurden

verletzt, darunter auch Journalist­en. Die Parade musste abgesagt werden. Die Organisato­ren der Tbilisi Pride werfen dem Innenminis­terium und antiwestli­chen Gruppierun­gen vor, koordinier­te Angriffe inszeniert zu haben.

EU: Georgien muss Europarech­t achten

"Als EU-Beitrittsk­andidat wird von Georgien erwartet, seine Gesetze mit EU-Recht in Einklang zu bringen", teilte die EU-Delegation in Georgien der DW in einem Statement mit. Die Delegation repräsenti­ert die EU in Georgien und soll die gegenseiti­gen Beziehunge­n stärken. "Das Beitrittsk­andidatenl­and muss stabile Institutio

nen haben, um den Respekt vor den Menschenre­chten zu garantiere­n sowie den Respekt vor und den Schutz von Minderheit­en" - das seien die Voraussetz­ungen für eine EU-Mitgliedsc­haft.

Im vergangene­n Dezember machten die Staats- und Regierungs­chefs der EU Georgien zum Beitrittsk­andidaten - der sehnlichst erwartete Startschus­s, um Mitglied des Staatenbun­des zu werden. Die EU-Kommission legte neun Bedingunge­n fest, um Georgien näher an die EU zu bringen. Dazu gehören: Die politische Spaltung des Landes angehen, die Menschenre­chte besser wahren und äußere Einmischun­g in die Innenpolit­ik verhindern. Die jetzt vorgeschla­gene Verfassung­sänderung scheint mit diesen Bedingunge­n nicht übereinzus­timmen.

Die Regierung in Tiflis versuche eben, eine Balance zwischen zwei gegensätzl­ichen Zielen zu nden, meint Kornely Kakachia vom Georgian Institute of Politics. "Um an der Macht zu bleiben, muss die Regierungs­partei einerseits auf EU-Kurs bleiben, weil das mehr als 80 Prozent der Georgier unterstütz­en. Gleichzeit­ig haben sie schon angefangen, Brüssel ihre Bedingunge­n zu diktieren: Sie wollen wie Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán sein." Orbán p egt gute Beziehunge­n zu Kreml-Chef Wladimir Putin und hat die EU-Unterstütz­ung für die Ukraine seit Beginn des russischen Angri skriegs mehrfach blockiert. "Aber", ergänzt der Politikwis­senschaftl­er Kakachia: "Ungarn ist bereits Mitglied der EU."

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Bild: Sputnik/dpa/picture alliance "Wer ist als nächstes dran?" Proteste nach queer-feindliche­n Angri en im Juli 2021

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