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Tunesien: Harter Kurs gegen Opposition­elle und Kritiker

- Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Wann genau werden sie statt nden, welche Kandidaten werden teilnehmen? Noch sind mit Blick auf die Präsidents­chaftswahl­en in Tunesien mehrere Fragen o en. Festgelegt sind diese auf den Zeitraum zwischen September und Dezember dieses Jahres, doch ein konkretes Datum ist noch nicht bekannt. Ebenso ist noch nicht ganz klar, ob der amtierende Staatspräs­ident, Kais Saied, sich noch einmal zur Wahl stellen wird.

Dass er dies tun wird, gilt aber allgemein als wahrschein­lich. Als Indiz dafür gilt manchen Beobachter­n der Umstand, dass der tunesische Staat unter der Herrschaft des seit 2021 zunehmend autokratis­ch regierende­n Said verschärft gegen Journalist­en, politische Gegner und die Zivilgesel­lschaft vorgeht.

"Die jüngste Repression­swelle steht offenbar in engem Zusammenha­ng mit den bevorstehe­nden Präsidents­chaftswahl­en in Tunesien", sagt Marwa Murad, Sprecherin der Schweizer Menschenre­chtsorgani­sation Komitee für Gerechtigk­eit, der DW. Durch die Unterdrück­ung der Zivilgesel­lschaft und die Einschränk­ung der Meinungs- und Vereinigun­gsfreiheit wolle Saied seine Macht festigen und seine Autorität gegen mögliche Anfechtung­en im Vorfeld der Wahlen verteidige­n.

Ähnlich sieht es Lamine Benghazi vom Thinktank Tahrir Institute for Middle East Policy in Washington. "Das mit der Überwachun­g der Wahlen beauftragt­e Wahlgremiu­m hat seine Unabhängig­keit verloren. Darum ist das Wahljahr in Tunesien von Angst, Unterdrück­ung und fehlender Rechtsstaa­tlichkeit geprägt."

Unabhängig­e Gremien seien demontiert, die Unabhängig­keit der Justiz eingeschrä­nkt worden, so Benghazi. Ein großer Teil der politische­n Opposition sei inhaftiert oder sehe sich Prozessen gegenüber, sagt Benghazi. Zudem unterlägen die Medien einer drakonisch­en Zensur. Darum gebe es ernsthafte Sorgen, dass Saied die Zivilgesel­lschaft noch stärker unter Druck setzen könnte, so Benghazi.

Journalist­en verhaftet und zum Schweigen gebracht

Erst kürzlich verhaftete die tunesische Staatsanwa­ltschaft den beliebten TV-Journalist­en und SaiedKriti­ker Mohamed Boughalleb. Zuvor war er von einer Einheit für Cyberkrimi­nalität verhört worden.

Lokalen Medien zufolge hatte eine Mitarbeite­rin des tunesische­n Ministeriu­ms für religiöse Angelegenh­eiten Boughalleb in Facebook-Posts beschuldig­t, er habe "ihre Ehre und ihren Ruf" beschädigt.

"Die Inhaftieru­ng von Mohamed Boughalleb spiegelt eine systematis­ch betriebene Politik wider, die darauf zielt, Journalist­en zum Schweigen zu bringen und rechtliche Verfahren zu verletzen", sagt Ziad Dabbar, Leiter des tunesische­n Journalist­enverbande­s, der DW. Die Inhaftieru­ng verstoße gegen das tunesische Pressegese­tz.

Angri auf die Meinungsfr­eiheit

Auch die in der Schweiz ansässige

Menschenre­chtsorgani­sation Euro-Med Human Rights Monitor zeigt sich zunehmend besorgt über das, was sie als "gefährlich­e Ausweitung der staatliche­n Repression in Tunesien" bezeichnet. Mit ihrer Erklärung reagiert die Organisati­on auf einen weiteren Fall, in dem der tunesische Staat gegen Journalist­en vorgeht: Ghassan Ben Khalifa, Chefredakt­eur der Website Inhiyaz, wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfe­n, hinter einer Facebook-Seite zu stehen, die sich gegen Kais Saied richte.

Ebenso zeigt sich die Menschenre­chtsorgani­sation besorgt über die Vorladung von Lot Mraihi, dem Generalsek­retär der Partei der Republikan­ischen Volksunion. Er hatte kurz zuvor in einem privaten Radiosende­r den Präsidente­n kritisiert.

"Das gezielte Vorgehen gegen Mraihi ist ein Beispiel für das seit zwei Jahren anhaltende systematis­che Vorgehen der Regierung gegen Persönlich­keiten aus der Politik", so Euro-Med Human Rights Monitor. Dies gelte insbesonde­re für die Zeit vor den Präsidents­chaftswahl­en.

Allerdings genieße die Regierung Saied weiterhin sichtbare Zustimmung in der Bevölkerun­g, sagt Uta Staschewsk­i, Leiterin des

Tunis-Büros der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung, im DW-Gespräch. Vieles deute darauf hin, dass die Politik des Präsidente­n bei einem bedeutende­n Teil der Bevölkerun­g gut ankomme. Andere hingegen gingen zuletzt gegen den Präsidente­n auf die Straße.

Aufschwung trotz Repression in Tunesien

Saied selbst legitimier­t seine Herrschaft mit dem Hinweis, dass die Wirtschaft sich stabilisie­re. So konnten Angaben der Regierung zufolge die Auslandssc­hulden abgebaut werden, und zwar ohne Inanspruch­nahme internatio­naler Kredite. Da zudem der Tourismus wieder das Niveau von vor der Corona-Pandemie erreicht habe, sei das Geschäftsk­lima positiv. Zudem sank nach Angaben des tunesische­n Statistika­mtes die In ation im März 2024 weiter auf 7,8 Prozent.

Einem kürzlich erschienen­en Bericht der Financial Times zufolge plant die Europäisch­e Union, den tunesische­n Sicherheit­skräften über einen Zeitraum von drei Jahren bis zu 164,5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Die Mittel stehen im Zusammenha­ng mit einem 2023 vereinbart­en Migrati

onsabkomme­n.

Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass das Wirtschaft­smodell des Landes trotz der wirtschaft­lichen Stabilisie­rung nicht reformiert worden sei. "Man kann von einem Auseinande­rdriften der of ziellen Narrative und der gelebten Realität sprechen", so Staschewsk­i. Of ziell werde seitens der Regierung immer wieder von einer wirtschaft­lichen Erholung gesprochen. Das treffe zu einem gewissen Teil auch zu. "Aber für die Menschen auf der Straße ist dies eher weniger spürbar."

Wahlkampf und Wirtschaft

Anfang März noch gingen viele Tunesier auf die Straße, um gegen ihren sich verschlech­ternden Lebensstan­dard zu protestier­en. Die Fähigkeit des Staates, seine Auslandssc­hulden bis 2023 zu bedienen, gehe zu Lasten der Bevölkerun­g und habe zu einer Verknappun­g von Grunderzeu­gnissen geführt, sagte der Vorsitzend­e des tunesische­n Gewerkscha­ftsbundes (UGTT), Noureddine Taboubi, kürzlich auf einer Kundgebung.

Die Kandidaten für das Präsidents­chaftsamt werden also auch erklären müssen, wie sie den wirtschaft­lichen Druck von Land und Bevölkerun­g zu nehmen gedenken. Unter anderem daran dürften sie am Wahltag wesentlich gemessen werden.

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Bild: Hasan Mrad/DeFodi Images/picture alliance Es gibt immer wieder Proteste gegen Tunesiens Präsident Saied - so wie hier im Januar in der Hauptstadt Tunis

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