Deutsche Welle (German edition)
Tiereweltweit von tödlicher Vogelgrippe bedroht
Es war nur eine Frage der Zeit, bis hochaggressive Vogelgrippevirenauch das antarktische Festland erreichen. Im Herbst 2023 war der Erreger bereits von der Polarforschungsorganisation British Antarctic Survey (BAS) im Südpolarmeer nachgewiesen worden. In zierte Tiere wurden jetzt vom chilenischen Antarktis-Institut (INACH) auch auf dem antarktischen Festland gefunden.
Über Wildtiere gelangen die Erreger in Gebiete, wo es bislang noch keine Vogelgrippe gab. Das Virus trifft so auf Tiere, die noch nie Kontakt mit dem Virus hatten und entsprechend auch keine Abwehrkräfte dagegen haben.
Das führt vielerorts zu einem gewaltigen Massensterben, nicht nur bei Vögeln, sondern auch bei Säugetieren. An den Pazi kküsten in Chile und Peru wurden bereits tausende tote Robben, Meeresotter und Seelöwen gefunden.
Problematische Ge ügelproduktion
Die hochansteckenden Virenstämme H5N1 und H5N8 entstanden wahrscheinlich in Ge ügelfarmen in Ostasien, so die "Wissenschaftliche Arbeitsgruppe Vogelgrippe und Wildvögel", die von den Vereinten Nationen (UN) gegründet wurde.
"Durch die enorme Expansion der Ge ügelproduktion weltweit, aber vor allem in China und Südostasien, kam es zu der dramatischen Ausbreitung des aktuellen hochpathogenen, also besonders aggressiven Erregers", so Prof. Timm Harder, vom Friedrich-Loe ler-Institut (FLI) in Greifswald. Er leitet dort das Nationale Referenzlabor für Aviäre In uenza, wie die Ge ügelpest schaftlich heißt. wissen
Zugvögel tragen das Virus in die Welt
Wenn die Vogelgrippe früher in Ge ügelbetrieben entdeckt wurde, war die Folge, dass abertausende Tiere gekeult, also getötet wurden. So wurden die hochpathogenen Viren ausgemerzt und konnten zumindest nicht in die Wildvogel-Populationen gelan
gen.
Aber das habe sich spätestens seit dem Sommer 2021 geändert, sagt Timm Harder im Gespräch mit der DW: "Durch die speziellen Haltungsformen in Asien, wenn zum Beispiel die Enten auf abgeerntete Reisfelder getrieben werden, kommt es immer wieder zu großen Schnittstellen zwischen Wildvogel-Populationen und in - zierten Nutztiervögeln. Das hat zum Übertritt des Virus auf Wildtiere geführt, das dann mit den Zugvögeln weiterverbreitet wird."
Gefährliche Vermischung
Grundsätzlich sind im Wasser lebende Wildvogel-Populationen das Reservoir für niedrig pathogene In uenza A-Viren, die eigentlich keine Krankheiten auslösen und auch bei Ge ügel keine Symptome hervorrufen.
"Aber wenn sich diese harmlosen In uenza A-Viren mit den hochpathogenen H5N1-Varianten vermischen, dann kommt es zu sehr gefährlichen Varianten, die aus dem Nichts ein erweitertes Wirtsspektrum generieren können oder eine neue Pathogenität", erklärt Harder, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am FLI. Durch Kombinationen mit niedrigpathogenen Aviären In uenza
A-Viren entwickelte sich so auch die aktuell grassierende Erregerlinie.
Die Saisonalität gibt es nicht mehr
Früher trat die Vogelgrippe meistens nur im Herbst und Winter auf. Die Vogelgrippe kam mit den Zugvögeln aus Nordosten und verschwand auch wieder, wenn die Tiere im Frühjahr zurück ogen.
Aber diese Saisonalität gibt es nicht mehr: "Dieses Virus hat es geschafft, sich sehr gut an im Wasser lebende Wildvogel-Populationen anzupassen und ist dort jetzt ganzjährig anzutreffen. Das ist mittlerweile in Nordamerika der Fall, und das wird sich auch in Südamerika dahingehend weiterentwickeln", so Harder.
Schutzlose Wildtierpopulationen
Entsprechend wütete die Vogelgrippe in sehr vielen südamerikanischen Ländern. Und es gibt laut Harder keine Ho nungen, das hochansteckende Virus doch noch ausrotten zu können. "Es ist ein bisschen wie mit dem Flaschengeist: Wenn man den Korken einmal aufgemacht hat und der Geist einmal raus ist, dann kriegen sie ihn nicht mehr in die Flasche zurück. Das Virus ist draußen, entwickelt sich eigenständig in Wildvogel-Populationen und ist von uns nicht mehr beein ussbar."
Bisher galt die Antarktis neben Australien und Ozeanien als letzte vom aktuellen VogelgrippeAusbruch verschonte Region der Erde. “Die Vogelgrippe könnte in der Antarktis eine Umweltkatastrophe ersten Grades auslösen“, sagte der Meeresbiologe Ralf Sonntag von der Umweltschutzorganisation Pro Wildlife.
Bis zu 100 Millionen Seevögel haben in der Antarktis ihre Brutgebiete Fünf Pinguin-Arten wie Kaiser- und Adelie-Pinguine kommen nur dort vor. Zudem lebten in der Region Robbenarten wie Weddellrobbe und Seeleopard. Vor allem für einige bedrohten Tierarten wie Albatrosse könnte dies den Todesstoß bedeuten, so Professor Harder.
Kaum noch Ein ussmöglichkeiten
Es gibt so gut wie keine Möglichkeiten, um Wildtiere wirksam zu schützen. Zwar können verendete Tiere eingesammelt werden, um die Ausbreitung zu verlangsamen, aber Impfungen kommen für Milliarden von Wildtieren so gut wie nicht in Frage.
"Das Einzige, was wir noch tun können ist, die Ge ügelproduktion so gut es geht zu schützen und zu verhindern, dass sich das Virus aus den Wildvögeln dann wieder in Ge ügel zurückziehen kann, sich dort weiter vermehrt und dann wieder zurück an die Wildvögel übertragen wird." Aber das funktioniere selbst in Europa nur unzureichend, immer wieder komme es zu Infektionen.
Das hänge auch mit der vermehrten Freilandhaltung in der Ge ügelproduktion zusammen, wo es häu g Kontakt mit Wildtieren gibt. Auch deswegen habe die Europäische Kommission seit 2023 die Impfung von Ge ügel gegen das hochpathogene In uenza A-Virus erlaubt.
Auch Säugetiere sind gefährdet
Wenn in zierte oder verendete
Wildvögel von Säugetieren gefressen werden, dann können sich auch Säugetiere mit dem Virus in zieren.
"Gerade wenn es so ein Massensterben bei koloniebrütenden Seevögeln gibt, dann zieht das immer Fleischfresser an, wie Füchse, Marder oder auch Robben und Otter. Für die sind diese Vögel natürlich leichte Beute und bedeuten gutes Futter. Diese Tiere nehmen eine sehr hohe Dosis des Virus auf, und das nutzt das Virus aus, um sich dann auch in diesen Säugetieren weiter zu vermehren."
Weitergabe des Virus unter Säugetieren?
Bislang gibt es keine klaren Hinweise, ob das Virus von Säugetier zu Säugetier übertragen werden kann. In Lateinamerika allerdings seinen viele zehntausend Seelöwen am Virus verendet und "es besteht der Verdacht, dass es dort zu Übertragungen von Seelöwe zu Seelöwe gekommen sein könnte."
Sollte sich das Virus tatsächlich entsprechend angepasst haben, dann wäre dies auch eine große Gefahr für den Menschen. Bislang haben sich Menschen nur in sehr seltenen Fällen angesteckt. "Das könnte sich bald ändern", so Timm Harder.
Besorgniserregende Mutationen
Durch die Vielzahl der Infektionen wachse auch die Gefahr eines säugetieradaptierten Virus mit einer erhöhten Infektiosität für den Menschen", erläutert Harder.
Es gebe bereits einige Varianten, die zahlreiche Mutationen aufwiesen, die eine Infektion zwischen Menschen wahrscheinlicher machten. So könne die in China entdeckte H3N8-Variante laut einer chinesisch-britischen Studie per Tröpfcheninfektion zwischen Säugetieren übertragen werden und sie vermehre sich erfolgreich in menschlichen Zellen aus Bronchien und Lunge, schreiben die Forschenden im Fachblatt Cell.
Die vielen Subtypen wie H3N8, H6N1, H10N8 müssten sehr genau beobachtet werden. Das gilt auch für den Subtyp H5N6, der auf einer südchinesischen Farm für Hunde, die für den Verzehr gedacht sind, aufgetreten ist.
Sollten sich tatsächlich in Zukunft Infektionen mit Vogelgrippe beim Menschen häufen, werden schnell geeignete Impfstoffe benötigt. Sicherheitshalber hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits für das aktuelle H5N1-Virus geeignete Impfsto - kandidaten entwickelt. Im Bedarfsfall könnte die Impfsto produktion mit den entsprechenden Impfsto kandidaten sofort beginnen.