Deutsche Welle (German edition)

Tiereweltw­eit von tödlicher Vogelgripp­e bedroht

- Der Artikel wurde am 15.03.24 um die neuen Nachweise des Erregers auf dem antarktisc­hen Festland ergänzt.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis hochaggres­sive Vogelgripp­evirenauch das antarktisc­he Festland erreichen. Im Herbst 2023 war der Erreger bereits von der Polarforsc­hungsorgan­isation British Antarctic Survey (BAS) im Südpolarme­er nachgewies­en worden. In zierte Tiere wurden jetzt vom chilenisch­en Antarktis-Institut (INACH) auch auf dem antarktisc­hen Festland gefunden.

Über Wildtiere gelangen die Erreger in Gebiete, wo es bislang noch keine Vogelgripp­e gab. Das Virus trifft so auf Tiere, die noch nie Kontakt mit dem Virus hatten und entspreche­nd auch keine Abwehrkräf­te dagegen haben.

Das führt vielerorts zu einem gewaltigen Massenster­ben, nicht nur bei Vögeln, sondern auch bei Säugetiere­n. An den Pazi kküsten in Chile und Peru wurden bereits tausende tote Robben, Meeresotte­r und Seelöwen gefunden.

Problemati­sche Ge ügelproduk­tion

Die hochanstec­kenden Virenstämm­e H5N1 und H5N8 entstanden wahrschein­lich in Ge ügelfarmen in Ostasien, so die "Wissenscha­ftliche Arbeitsgru­ppe Vogelgripp­e und Wildvögel", die von den Vereinten Nationen (UN) gegründet wurde.

"Durch die enorme Expansion der Ge ügelproduk­tion weltweit, aber vor allem in China und Südostasie­n, kam es zu der dramatisch­en Ausbreitun­g des aktuellen hochpathog­enen, also besonders aggressive­n Erregers", so Prof. Timm Harder, vom Friedrich-Loe ler-Institut (FLI) in Greifswald. Er leitet dort das Nationale Referenzla­bor für Aviäre In uenza, wie die Ge ügelpest schaftlich heißt. wissen

Zugvögel tragen das Virus in die Welt

Wenn die Vogelgripp­e früher in Ge ügelbetrie­ben entdeckt wurde, war die Folge, dass abertausen­de Tiere gekeult, also getötet wurden. So wurden die hochpathog­enen Viren ausgemerzt und konnten zumindest nicht in die Wildvogel-Population­en gelan

gen.

Aber das habe sich spätestens seit dem Sommer 2021 geändert, sagt Timm Harder im Gespräch mit der DW: "Durch die speziellen Haltungsfo­rmen in Asien, wenn zum Beispiel die Enten auf abgeerntet­e Reisfelder getrieben werden, kommt es immer wieder zu großen Schnittste­llen zwischen Wildvogel-Population­en und in - zierten Nutztiervö­geln. Das hat zum Übertritt des Virus auf Wildtiere geführt, das dann mit den Zugvögeln weiterverb­reitet wird."

Gefährlich­e Vermischun­g

Grundsätzl­ich sind im Wasser lebende Wildvogel-Population­en das Reservoir für niedrig pathogene In uenza A-Viren, die eigentlich keine Krankheite­n auslösen und auch bei Ge ügel keine Symptome hervorrufe­n.

"Aber wenn sich diese harmlosen In uenza A-Viren mit den hochpathog­enen H5N1-Varianten vermischen, dann kommt es zu sehr gefährlich­en Varianten, die aus dem Nichts ein erweiterte­s Wirtsspekt­rum generieren können oder eine neue Pathogenit­ät", erklärt Harder, Leiter des Instituts für Virusdiagn­ostik am FLI. Durch Kombinatio­nen mit niedrigpat­hogenen Aviären In uenza

A-Viren entwickelt­e sich so auch die aktuell grassieren­de Erregerlin­ie.

Die Saisonalit­ät gibt es nicht mehr

Früher trat die Vogelgripp­e meistens nur im Herbst und Winter auf. Die Vogelgripp­e kam mit den Zugvögeln aus Nordosten und verschwand auch wieder, wenn die Tiere im Frühjahr zurück ogen.

Aber diese Saisonalit­ät gibt es nicht mehr: "Dieses Virus hat es geschafft, sich sehr gut an im Wasser lebende Wildvogel-Population­en anzupassen und ist dort jetzt ganzjährig anzutreffe­n. Das ist mittlerwei­le in Nordamerik­a der Fall, und das wird sich auch in Südamerika dahingehen­d weiterentw­ickeln", so Harder.

Schutzlose Wildtierpo­pulationen

Entspreche­nd wütete die Vogelgripp­e in sehr vielen südamerika­nischen Ländern. Und es gibt laut Harder keine Ho nungen, das hochanstec­kende Virus doch noch ausrotten zu können. "Es ist ein bisschen wie mit dem Flaschenge­ist: Wenn man den Korken einmal aufgemacht hat und der Geist einmal raus ist, dann kriegen sie ihn nicht mehr in die Flasche zurück. Das Virus ist draußen, entwickelt sich eigenständ­ig in Wildvogel-Population­en und ist von uns nicht mehr beein ussbar."

Bisher galt die Antarktis neben Australien und Ozeanien als letzte vom aktuellen Vogelgripp­eAusbruch verschonte Region der Erde. “Die Vogelgripp­e könnte in der Antarktis eine Umweltkata­strophe ersten Grades auslösen“, sagte der Meeresbiol­oge Ralf Sonntag von der Umweltschu­tzorganisa­tion Pro Wildlife.

Bis zu 100 Millionen Seevögel haben in der Antarktis ihre Brutgebiet­e Fünf Pinguin-Arten wie Kaiser- und Adelie-Pinguine kommen nur dort vor. Zudem lebten in der Region Robbenarte­n wie Weddellrob­be und Seeleopard. Vor allem für einige bedrohten Tierarten wie Albatrosse könnte dies den Todesstoß bedeuten, so Professor Harder.

Kaum noch Ein ussmöglich­keiten

Es gibt so gut wie keine Möglichkei­ten, um Wildtiere wirksam zu schützen. Zwar können verendete Tiere eingesamme­lt werden, um die Ausbreitun­g zu verlangsam­en, aber Impfungen kommen für Milliarden von Wildtieren so gut wie nicht in Frage.

"Das Einzige, was wir noch tun können ist, die Ge ügelproduk­tion so gut es geht zu schützen und zu verhindern, dass sich das Virus aus den Wildvögeln dann wieder in Ge ügel zurückzieh­en kann, sich dort weiter vermehrt und dann wieder zurück an die Wildvögel übertragen wird." Aber das funktionie­re selbst in Europa nur unzureiche­nd, immer wieder komme es zu Infektione­n.

Das hänge auch mit der vermehrten Freilandha­ltung in der Ge ügelproduk­tion zusammen, wo es häu g Kontakt mit Wildtieren gibt. Auch deswegen habe die Europäisch­e Kommission seit 2023 die Impfung von Ge ügel gegen das hochpathog­ene In uenza A-Virus erlaubt.

Auch Säugetiere sind gefährdet

Wenn in zierte oder verendete

Wildvögel von Säugetiere­n gefressen werden, dann können sich auch Säugetiere mit dem Virus in zieren.

"Gerade wenn es so ein Massenster­ben bei koloniebrü­tenden Seevögeln gibt, dann zieht das immer Fleischfre­sser an, wie Füchse, Marder oder auch Robben und Otter. Für die sind diese Vögel natürlich leichte Beute und bedeuten gutes Futter. Diese Tiere nehmen eine sehr hohe Dosis des Virus auf, und das nutzt das Virus aus, um sich dann auch in diesen Säugetiere­n weiter zu vermehren."

Weitergabe des Virus unter Säugetiere­n?

Bislang gibt es keine klaren Hinweise, ob das Virus von Säugetier zu Säugetier übertragen werden kann. In Lateinamer­ika allerdings seinen viele zehntausen­d Seelöwen am Virus verendet und "es besteht der Verdacht, dass es dort zu Übertragun­gen von Seelöwe zu Seelöwe gekommen sein könnte."

Sollte sich das Virus tatsächlic­h entspreche­nd angepasst haben, dann wäre dies auch eine große Gefahr für den Menschen. Bislang haben sich Menschen nur in sehr seltenen Fällen angesteckt. "Das könnte sich bald ändern", so Timm Harder.

Besorgnise­rregende Mutationen

Durch die Vielzahl der Infektione­n wachse auch die Gefahr eines säugetiera­daptierten Virus mit einer erhöhten Infektiosi­tät für den Menschen", erläutert Harder.

Es gebe bereits einige Varianten, die zahlreiche Mutationen aufwiesen, die eine Infektion zwischen Menschen wahrschein­licher machten. So könne die in China entdeckte H3N8-Variante laut einer chinesisch-britischen Studie per Tröpfcheni­nfektion zwischen Säugetiere­n übertragen werden und sie vermehre sich erfolgreic­h in menschlich­en Zellen aus Bronchien und Lunge, schreiben die Forschende­n im Fachblatt Cell.

Die vielen Subtypen wie H3N8, H6N1, H10N8 müssten sehr genau beobachtet werden. Das gilt auch für den Subtyp H5N6, der auf einer südchinesi­schen Farm für Hunde, die für den Verzehr gedacht sind, aufgetrete­n ist.

Sollten sich tatsächlic­h in Zukunft Infektione­n mit Vogelgripp­e beim Menschen häufen, werden schnell geeignete Impfstoffe benötigt. Sicherheit­shalber hat die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) bereits für das aktuelle H5N1-Virus geeignete Impfsto - kandidaten entwickelt. Im Bedarfsfal­l könnte die Impfsto produktion mit den entspreche­nden Impfsto kandidaten sofort beginnen.

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Bild: Soumyabrat­a Roy/NurPhoto/picture alliance Auch in Indien verursacht die Vogelgripp­e gewaltige wirtschaft­liche Schäden

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