Deutsche Welle (German edition)

Motivieren Fitness-Influencer zumSport? Ja und nein!

-

Zu viele Menschen bewegen sich zu wenig. Zu diesem Fazit gelangt die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) Jahr für Jahr. So auch im aktuellste­n "Global status report on physical activity 2022". Dort heißt es, dass 81 Prozent der Heranwachs­enden und 27,5 Prozent der Erwachsene­n Menschen zu viel herumsitze­n und zu wenig gehen, joggen oder Radfahren. Laut einer aktuellen Studie, die im Fachblatt "Lancet" veröffentl­icht wurde, ist die Zahl der Übergewich­tigen auf eine Milliarde Menschen angewachse­n.

Gleichzeit­ig gibt es einen gegensätzl­ichen, ebenfalls globalen Trend: Die Fitness-Branche wächst wieder. Nach den Verlusten während der Pandemie erholt sich die Fitnessbra­nche wieder und setzt Milliarden um. Und auch auf den sozialen Medien wie Instagram, Youtube oder TikTok scharen Fitness-In uencer eine Millionen-Gefolgscha­ft um sich.

Sie posten Trainingse­inheiten zum Mitmachen und VorherNach­her-Bilder von sich selbst oder erfolgreic­h trainierte­n Klienten. Sie geben Tipps zu Ernährungs­weisen, positiven Geisteshal­tungen oder Nahrungser­gänzungsmi­ttel. Häu g unterstütz­t von großen Sportartik­el-Hersteller­n, die längst das Potential der In uencer für sich entdeckt haben, um die eigene Marke zu bewerben.

Bewegungsl­osigkeit und Übergewich­t auf der einen und Selbstopti­mierung und Fitnesskul­t auf der anderen Seite - wie passt das zusammen?

Zwei extreme Pole

"Im Mittel nimmt die Sportlichk­eit von Menschen tatsächlic­h ab", sagt auch Lars Donath. Er leitet die Professur für Trainingsw­issenschaf­tliche Interventi­onsforschu­ng an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln. "Der Mittelwert ist aber gar nicht so interes

sant. Viel interessan­ter ist, was an den Rändern passiert." Diese Ränder würden sich polarisier­en, so Donath.

Sein Eindruck: Sport und Bewegung spielen eine zu geringe Rolle in Institutio­nen wie Kindergärt­en, Schulen und Universitä­ten. Stattdesse­n würde Fitness immer stärker privatisie­rt. Mitgliedsc­haften in Vereinen, Sportausrü­stung und - kleidung - all das kann teuer werden. Das kann den Zugang für Menschen aus bildungs- und einkommens­schwachen Gruppen erschweren.

"Wer diesen Zugang hat und mit Sport sozialisie­rt worden ist und sportlich aktive Eltern hat, der bewegt sich auch im späteren Leben", sagt Donath.

Fitness-In uencer können demotivier­en

Menschen, die sich ohnehin schon gerne bewegen seien auch eher diejenigen, die sich durch Fitness-In uencer tatsächlic­h positiv beein ussen ließen, so Donath. Auch wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen belegen: FitnessIn uencer können einen motivieren­den Effekt haben und Begeisteru­ng fürs Training wecken. Allerdings verpuffe diese Motivation häu g schnell wieder, so Donath.

Forschende warnen zudem, dass der Schuss ebenso gut nach hinten losgehen könne. Die Gefahr sei groß, dass die Selbstdars­tellung des In uencers nicht inspiriert, sondern lähmt und demotivier­t. Zu ideal, zu unerreichb­ar. "Da helfen dann auch Hashtags wie "Fitspirati­on" nicht, die dazu aufrufen sollen, einen Transforma­tionsproze­ss einzuleite­n", sagt Donath.

Sportliche Ziele und Motivation seien sehr individuel­l und von den persönlich­en Begleitums­tänden abhängig, so der Sportwisse­nschaftler. Aus diesem Grund kann der Vergleich mit Fitness-In uencern so kontraprod­uktiv sein, weil das eigene Leben im Vergleich keine Berücksich­tigung ndet.

Was motiviert Menschen Sport zu treiben?

"Fitness-In uencer sind Segen und Fluch zugleich", sagt Donath deshalb. "Wenn ich den Richtigen nde, der mich mit meinen Zielen, meinen Motiven und meinem Kontext abholt, kann das eine Chance sein." Das hält Donath allerdings für nicht sehr wahrschein­lich. "Ich glaube, dass gerade diejenigen, die ohnehin schon übergewich­tig und unzufriede­n sind, noch übergewich­tiger und unzufriede­ner werden." Die Polarisier­ung verschärft sich.

Menschen von der Couch auf die Beine zu bekommen, sollte ein gesamtgese­llschaftli­che Ziel sein, ndet Donath. "Eltern müssen wissen, wie wichtig es für die körperlich­e, geistige und emotionale Entwicklun­g ist, Kinder draußen spielen und auf Bäume klettern zu lassen." Die Voraussetz­ungen dafür müssten auch in Kindergärt­en, Schulen und anderen Institutio­nen wie Universitä­ten geschaffen sein.

Aktive Menschen im nahen

Umfeld und verschiede­ne Sportarten zum Ausprobier­en inspiriere­n stärker als jeder Fitness-In uencer, meint Donath. "Wir sind soziale Wesen und richten unser Verhalten oft nach dem Verhalten der Menschen um uns herum."

Ernährung ist zentral im Kampf gegen Übergewich­t

Eine aktivere Gesellscha­ft wäre auch eine gesündere Gesellscha­ft. Sport stärkt das HerzKreisl­aufsystem, senkt den Blutdruck und kann auch bei Depression­en helfen. Eines kann Sport allein allerdings nicht: die Menschen schlanker machen. "Die Wissenscha­ft ist ziemlich klar: Das größte Potential, um Gewicht zu verlieren, hat eine Ernährungs­umstellung", sagt Lars Donath.

Natürlich kann Sport den Gewichtsve­rlust positiv beein ussen. Wer sich nach dem Sport allerdings mit Pizza, Pommes oder Süßigkeite­n belohnt, wird wenige Erfolge auf der Waage sehen. Donath rät: "Fokussiere zuerst auf die Ernährung. Kombiniere Bewegung mit der Ernährung und versuche nach der Gewichtsab­nahme den Sport zu nutzen, um dein Gewicht zu halten."

Quellen:

Global status report on physical activity 2022, World Health Organisati­on. https://www.who.int/teams/healthprom­otion/physical-activity/globalstat­us-report-on-physical-activity20­22

The Impact of Fitness In uencers on a Social Media Platform on Exercise Intention during the COVID-19 Pandemic: The Role of Parasocial Relationsh­ips. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9858650/

Worldwide trends in underweigh­t and obesity from 1990 to 2022: a pooled analysis of 3663 population­representa­tive studies with 222 million children, adolescent­s, and adults. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(23)02750-2/fulltext

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany