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Wahlen in Indien: WillModi politische Gegner kaltstellen?
Eine Koalition indischer Oppositionsparteien stellt sich hinter Delhis Ministerpräsidenten Arvind Kejriwal, nachdem ein Gericht entschieden hat, dass er wegen Korruptionsvorwürfen bis zum 15. April hinter Gittern bleiben wird.
Seine Haft fällt in eine Zeit, in der der Wahlkampf vor den indischen Parlamentswahlen auf Hochtouren läuft. Der landesweite Urnengang startet am 19. April und wird sich bis Juni hinziehen.
Kejriwal, ebenfalls Vorsitzen
der der oppositionellen Aam Aadmi Party (AAP), war im März zusammen mit einem Großteil der Parteiführung wegen Vorwürfen im Zusammenhang mit Delhis Alkoholpolitik verhaftet worden.
Die AAP zeigt sich überzeugt, dass die Anklage politisch motiviert sei, um damit gegen Gegner der Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi vorzugehen.
Opposition vereint gegen die BJP
Im Februar hatte sich die AAP entschlossen, dem `Indischen Block‘ beizutreten, der von der Kongresspartei, Indiens größter Oppositionspartei, angeführt wird und damit eine ernstzunehmende Herausforderung für die regierende BJP darstellt.
Die AAP ist nun neben der Kongresspartei die stärkste Kraft in dem Bündnis, in dem sich Dutzende von weiteren Parteien zusammengeschlossen haben. Bei einer Kundgebung unter dem Motto "Rettet die Demokratie" warfen Oppositionsführer am Samstag in Delhi dem derzeitigen Regierungschef Narendra Modi vor, Indiens Bundesbehörden dazu zu nutzen, gegen die politischen Gegner der BJP vorzugehen.
Der Vorsitzende des Kongresspartei, Rahul Gandhi, beschuldigte die BJP, "bei diesen Wahlen Manipulationen vorzunehmen". Gandhi sagte: "Ohne elektronische Wahlmaschinen, Spielmanipulationen, soziale Medien und Druck auf die Presse könnte sie nicht mehr als 180 Sitze gewinnen". Die BJP hatte bei der letzten Wahl 2019 im Unterhaus des Parlaments 303 von 543 Sitzen auf sich vereinigen können.
Die Politologin Zoya Hasan meint, die Kundgebung zeige, wie Kejriwals Verhaftung die Oppositionsparteien wachgerüttelt habe. "Das Thema ist dabei nicht die Alkoholpolitik, für die Kejriwal verhaftet wurde, sondern der Zeitpunkt seiner Verhaftung mitten im Wahlkampf", sagt Hasan im Gespräch mit der DW. Das sorge für Verwerfungen in der politischen Arena vor der Wahl und schade ihrem Ablauf.
Kann die Opposition nun Wähler mobilisieren?
Die große Frage für die Opposition ist allerdings, ob der Fall Kejriwal bei Wählern landesweite Sympathie für die Opposition generieren wird. Das kosmopolitische Delhi ist einer der wenigen Teile Indiens, in denen Modis hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) nicht die Oberhand hat. Kejriwals Rolle dort ist vergleichbar mit der eines Gouverneurs in den USA oder eines Ministerpräsidenten in Deutschland. Unter seiner Regierung wurden staatliche Schulen und das Gesundheitssystem verbessert, kostenloser Strom wurde eingeführt. Die Wähler unterstützten daher die AAP bei den regionalen Wahlen in den vergangenen zehn Jahren. Bei den landesweiten Parlamentswahlen bleib dieser Erfolg aber aus.
Ein hochrangiger AAP-Führer zeigte sich gegenüber der DW aber überzeugt, dass die Verhaftung des prominenten Politikers aus Delhi der Partei auch bei den Parlamentswahlen helfen werde. "Wenn Kejriwal aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist, Wahlkampf zu machen, wird klar werden, dass die BJP ein politisches Feld haben will, aus dem die Opposition weggefegt worden ist ".
Die BJP hebt dagegen die Korruptionsvorwürfe in den Vordergrund und betont: "Es ist eine Wahl, mit der wir die Korruption ausrotten wollen". Auf der anderen politischen Seite sei es dagegen "die erste Wahl, bei der sich alle korrupten Individuen zusammenschließen, um den Kampf gegen die Korruption zu stoppen", sagte Modi am Montag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rajasthan.
"Die vorgetäuschte Einheit des indischen Blockes werde keine Zugkraft haben, besonders weil in Bundesstaaten wie Westbengalen, Kerala und Punjab diese Einheit nicht existiert. Die BJP bleibt die erste und glaubwürdige Wahl des Volkes", sagt Shazia Ilmi, Sprecherin der BJP im Gespräch mit der DW.
BJP bestreitet Fehlverhalten
Yamini Aiyar, ein in Delhi ansässiger Politikwissenschaftler, sagt der DW, dass die BJP die Ermittlungsbehörden sowie Gesetze in Bereichen wie Steuer, Volksverhetzung, Anti-Terror und der ausländischen Finanzierung von NGOs "systematisch als Waffe einsetzt", um "Oppositionspolitiker auf unverhältnismäßige Weise ins Visier zu nehmen und abweichende Meinungen zu kriminalisieren". Ein drastisches Beispiel dafür sei die "Verhaftung von Kejriwal, eines populären Oppositionellen".
Eine dieser Ermittlungsbehörden, die im Zusammenhang mit dem Fall Kejriwal in der Kritik stehen, ist das indische Enforcement Directorate (ED). Diese Bundesbehörde hat den Auftrag, bei Wirtschaftsdelikten im großen Stil zu ermitteln.
Die BJP behauptet, dass das ED und die anderen Strafverfolgungsbehörden völlig unabhängig von der Regierung lediglich ihre Arbeit bei der Ausrottung der Korruption machten.
Die Regierungspartei bestreitet, dass es im Verfahren gegen Kejriwal eine politische Agenda gebe. "Das ist eine Angelegenheit zwischen der Vollzugsdirektion und der Justiz. Die Ermittlungen werden vom Gericht überwacht und es wäre unangemessen, die Anklage der Oppositionsparteien zu kommentieren", sagte BJPSprecher Tom Vadakkan der DW.
Seit Modis Amtsantritt im Jahr 2014 hat sich das ED zu einer der gefürchtetsten Behörden Indiens entwickelt. Es hat über 3.000 Geldwäsche-Razzien durchgeführt, aber nur 54 Verurteilungen erwirkt. Die Behörde hat dabei Dutzende von Oppositionspolitikern ins Visier genommen. Allerdings sind nur wenige BJP-Politiker ins Fadenkreuz der Strafverfolgungsbehörden geraten.
Die Enthüllungen zu den umstrittenen Unternehmensspenden als Wahlanleihen, die größtenteils an die BJP gingen, haben dem Indischen Block im vergangenen Monat unerwartet ein dringend benötigtes politisches Gesprächsthema beschert, mit dem die Opposition hofft, im Wahlkampf punkten zu können.
"Die BJP hat die von ihr kontrollierten Behörden missbraucht, um die indische Demokratie und Zivilgesellschaft zu untergraben, wie es noch nie zuvor geschehen ist", sagte auch Aakar Patel, ehemaliger Chef von Amnesty International Indien, im Gespräch mit der DW.
Amnesty war 2020 gezwungen, seine Aktivitäten in Indien einzustellen, nachdem die Regierung ihre Bankkonten eingefroren hatte, was die Menschenrechtsorganisation als "kontinuierliches Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in Indien" bezeichnete.