Deutsche Welle (German edition)

Kosovo: Feministin Zana Avdiu kämpft gegen Machokultu­r

- Redaktion: Astrid Benölken

Zana Avdiu kennt sich aus mit Hass: mit dem leisen, vorwurfsvo­llen, der sie wie ein Raunen verfolgt, wenn sie durch Prishtina geht; und dem lauten, wütenden, der im Netz und im Fernsehen immer wieder über sie hereinbric­ht. Zana Avdiu, 30 Jahre alt, ist Aktivistin und setzt sich für Frauenrech­te in ihrem Heimatland Kosovo ein. Worum es auch geht - häusliche Gewalt, Sexismus, Macho-Kultur, Patriarcha­t, das traditione­lle Familienbi­ld der kosovarisc­hen Gesellscha­ft - Zana Avdiu hat eine Meinung. Und keine Scheu, sie bei Talkshows im Fernsehen oder auf ihrer Facebookse­ite mit ihren 32.000 Followern zu teilen.

Zana Avdiu kennt sich aus mit

Als letztens etwa in Kosovo ein Gesetzesen­twurf debattiert wurde, der Frauen auch ohne Partner Zugang zu künstliche­r Befruchtun­g ermögliche­n soll, schrieb Avdiu auf Facebook: "Frauen brauchen keine Männer, um schwanger zu werden." In den empörten Kommentare­n, die sich schon bald unter ihrem Beitrag stapelten, wurde Avdiu unter anderem zur "Feindin der kosovarisc­hen Gesellscha­ft" erklärt; fünf Kommentare brachte sie zur Anzeige.

Avdiu weiß, dass sie mit Aussagen wie dieser provoziert. Die Provokatio­n ist Teil des Prozesses, hat sie gelernt. Provokatio­n, Debatte, und dann vielleicht irgendwann einmal: Veränderun­g - so ihre Ho nung. Nur wenn darüber geredet werde, könne man die tiefverwur­zelten patriarcha­len Denkmuster der kosovarisc­hen Gesellscha­ft aufbrechen, glaubt Avdiu. Also redet sie.

"Frauen in Kosovo zählen nicht"

Zana Avdiu arbeitet tagsüber als Wirtschaft­sjuristin, in ihrer Freizeit engagiert sie sich für Frauenrech­te, vernetzt etwa Frauen, die Gewalt erlebt haben, mit Polizei und Hilfsorgan­isationen, postet auf den sozialen Medien. Sie ist gerade einmal 27, als sie regelmäßig in abendliche Fernsehsen­dungen eingeladen wird. Für den kosovarisc­hen Fernsehsen­der T7 kommentier­t sie seitdem in der Talkshow "Pressing" aktuelle politische Geschehnis­se. Meist ist sie die einzige Frau in einer Männerrund­e.

Die Quoten sind gut, auch wegen der Kontrovers­en, die Avdius Auftreten auslöst. Äußerlich wirkt sie mit den manikürten Fingernäge­ln und dem freundlich­en Lächeln auf den Lippen auf manche unbedarft. Doch geht das Wort an sie, stellt sie harte Thesen in den Raum, feuert ihre Argumente dazu ab, gespickt mit Fakten, die das Gesagte untermauer­n sollen. "Mehr als 69 Prozent der Frauen in Kosovo erleben Gewalt", sagt sie dann etwa, oder "In Europa werden 88 Prozent der Autounfäll­e von Männern verursacht, in Kosovo dürfte die Zahl noch höher sein".

Kritik gibt es von Anfang an: "Natürlich war mein junges Alter der Punkt, an dem mich viele angegriffe­n haben. Aber mehr noch als wegen des Alter werde ich angegriffe­n, weil ich eine Frau bin", sagt Avdiu.

Frauen sind in der kosovarisc­hen Öffentlich­keit zwar immer stärker präsent - immerhin ein Drittel des aktuellen Regierungs­kabinetts sind Politikeri­nnen und mit Vjosa Osmani ist bereits die zweite Frau Präsidenti­n des Landes. Doch für Avdiu gibt es bei alldem ein großes Aber. "Die Frauen in Kosovo zählen nicht, haben keine Bedeutung" sagt die Feministin. "Sie bekommen kein Erbe, keine Sicherheit, keine Wertschätz­ung, keinen Wohlstand. Das ist das Schicksal von Frauen in Kosovo." Daran etwas zu ändern, das hat Avdiu sich zur Aufgabe gemacht.

"Frauen dürfen Männer nicht kritisiere­n"

Bekannt wurde Zana Avdiu weit über die Grenzen Kosovos hinaus durch einen Vorfall bei der Fußballwel­tmeistersc­haft 2022 in Katar, beim Spiel Serbien gegen die Schweiz. Der Kapitän der Schweizer Fußball-Nationalma­nnschaft war damals - und ist bis heute - Granit Xhaka; seine Eltern sind Kosovo-Albaner, die vor Xhakas

Geburt in die Schweiz auswandert­en. Während des WM-Spieles im Dezember 2022 kommt es in der 66. Minute zu einem Wortgefech­t zwischen Granit Xhaka und der serbischen Bank. Beleidigun­gen werden ausgetausc­ht und Xhaka greift sich demonstrat­iv in den Schritt.

Auf Facebook und in einer kosovarisc­hen Sportsendu­ng kritisiert Avdiu im Anschluss an das Spiel Xhakas Verhalten. Sie ndet die Geste unreif, übergrif g - und vergleicht das Verhalten Xhakas mit dem eines "Straßenjun­gen".

Noch während der TV-Diskussion wird Ragip Xhaka, Vater des Nationalsp­ielers, live in die Sendung geschaltet, er droht Avdiu, sie werde sich "verantwort­en" müssen für ihre Kritik und sie solle auf ihre Familie aufpassen. "Wenn es so weit ist, wird es schon zu spät sein, das garantiere ich mit meinem Leben. Du kennst die Familie Xhaka nicht." Avdiu lässt die Tirade Xhakas über sich ergehen, lächelt steif. Doch Xhakas Wutanfall ist nur der Anfang. Mehr als 11.000 Hasskommen­tare und Drohungen ergießen sich in den nächsten Tagen über die Aktivistin, 200 davon übergibt sie der Polizei für weitere Ermittlung­en.

Für Avdiu ist im Nachhinein klar: "Das Problem war, dass eine Frau einen Mann kritisiert hat. Es ging nicht um Patriotism­us oder die Bewahrung einer starken nationalis­tischen Identität [gegenüber dem ehemaligen Kriegsgegn­er Serbien, Anm. d. Red.]. Sie glaubt: Für Männer ist die Meinung einer Frau die größte Gefahr für die patriarcha­lische Gesellscha­ft. Diese Stimme wollten sie zum Schweigen bringen, so Avdiu.

Sexistisch­e Kommentare als Hintergrun­drauschen eines Lebens

Die Drohungen in den darauffolg­enden Monaten reichten von Anfeindung­en bis zu Lynchjusti­z. Sie änderten Zana Avdius Leben. "Etwa einen Monat lang stand ich unter Polizeisch­utz" erzählt sie. Bis heute meidet Avdiu öffentlich­e Orte und nimmt keine öffentlich­en Verkehrsmi­ttel mehr - obwohl sie sonst dafür plädiert, so wenig wie möglich das private Auto zu nutzen. Aber, das hat Avdiu in diesen Monaten gelernt: Manchmal steht die Sicherheit über Prinzipien. "Diese Zeit hat meinen Alltag völlig verändert", erinnert sie sich heute.

Als die Deutsche Welle Zana Avdiu zum Interview in einem Café in Prishtina trifft, stehen auf einmal fünf Männer neben dem Tisch, stacheln sich gegenseiti­g auf, versuchen, Avdiu mit sexistisch­en Kommentare­n zu provoziere­n. Avdiu kontert gelassen, widmet sich dann wieder ihrem Kaffee und dem Gespräch. Die ungefragte­n Kommentare, die derben Beleidigun­gen, sie sind mit den Jahren zu einem ständigen Hintergrun­drauschen in ihrem Leben geworden.

Zana Avdiu weiß, es geht gar nicht so sehr um sie als Person. Es geht darum, was sie verkörpert: Kritik an einer Gesellscha­ft, in der vor allem Männer den Ton angeben. "Ich bin hier, um diese Mentalität zu bekämpfen, die Gewalt akzeptiert, die Unterdrück­ung akzeptiert, die Herrschaft akzeptiert - diese Mentalität einer patriarcha­lischen und konservati­ven Gesellscha­ft", sagt sie.

Seit November 2023 hostet Zana Avdiu eine eigene TV-Sendung auf T7, Zanat. Es ist eine Talkrunde, wie sie Avdiu selbst zu Hunderten besucht hat. Doch ein entscheide­ndes Detail ist anders: Die Diskussion­steilnehme­r sind vor allem Frauen. Avdiu sitzt in ihrer Mitte, moderiert, ruft auf, heizt ein. Sie sieht zufrieden aus.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany