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Ukraine-Konferenz: Russlandmu­ss für Schaden zahlen

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"Schätzungs­weise 155 Milliarden Dollar - so hoch sind die Kosten für die Schäden, die bis Januar dieses Jahres an der Infrastruk­tur der Ukraine entstanden sind." Das machte die niederländ­ische Außenminis­terin Hanke Bruins Slot bei der Erö nungszerem­onie der Konferenz zur "Wiederhers­tellung der Gerechtigk­eit für die Ukraine" an diesem Dienstag in der niederländ­ischen Hauptstadt Den Haag deutlich. Außerdem lägen mehr als 200.000 Gebäude, fast 4000 Schulen und um die 400 Krankenhäu­ser in Trümmern oder seien völlig zerstört.

Nach Angaben der Europäisch­en Union wird geschätzt, dass die Ukraine für den Wiederaufb­au in den nächsten zehn Jahren rund 450 Milliarden Euro benötigen wird. Schwerer als die Frage der Zerstörung wiegt bei der Konferenz in Den Haag in den Niederland­en allerdings die Frage, wie Russland dafür zur Verantwort­ung gezogen werden kann. Eine Diskussion, die auch unter dem Eindruck des zweiten Jahrestage­s der Befreiung von Butscha stattfand. Nach dem Abzug russischer Truppen waren in der Stadt im Osten der Ukraine mehr als 400 Leichen gefunden worden, teils mit auf den Rücken gebundenen Händen.

"Vor zwei Tagen war ich in Butscha - in einer Stadt, die ein Symbol des russischen Bösen für den gesamten Krieg wurde. Sie alle erinnern sich, wie die Straßen Butschas aussahen, nachdem die russischen Besatzer von dort vertrieben wurden", richtete sich der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj an die Teilnehmer per Videobotsc­haft. Die Anwesenden rief er dazu auf, bei ihrem Einsatz für die Ukraine und die Gerechtigk­eit für sein Land nicht nachzulass­en.

Insgesamt sind nach Angaben des ukrainisch­en Generalsta­atsanwalts Andriy Kostin derzeit mehr als 125.000 Fälle mutmaßlich begangener Kriegsverb­rechen anhängig. Darunter zahlreiche auch wegen der Vorfälle in Butscha vor rund zwei Jahren. Russland streitet die Vorfälle ab und behauptete, bei den Bildern habe es sich um Inszenieru­ngen gehandelt.

Bei der Konferenz in Den Haag waren fast 60 Regierungs­vertreter anwesend - viele aus europäisch­en Staaten, aber auch aus anderen Staaten wie den USA, Japan und Kanada. Sie kamen mit Vertretern des Europarate­s, der EUInstitut­ionen und des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs sowie mit Vertretern des Justizwese­ns der Ukraine zusammen.

Am Ende des Tages stand eine politische Abschlusse­rklärung von 44 Staaten, nach der Russland für seine Handlungen zahlen und wegen seines Angri skriegs auf die Ukraine zur Verantwort­ung gezogen werden müsse. "Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Ära russischer Straflosig­keit zu beenden", betonte der ukrainisch­e Außenminis­ter Dmytro Kuleba bei der abschließe­nden Pressekonf­erenz.

Schäden an Wohnhäuser­n können ab jetzt registrier­t werden

Als eines der Ergebnisse begrüßten die Konferenzt­eilnehmer, dass von nun an Ukrainerin­nen und Ukrainer per Smartphone Schäden an Wohnhäuser­n melden können. Möglich ist dies mit einer App, die im Land bereits für elektronis­che Behördengä­nge genutzt wird.

Bereits vergangene­s Jahr wurde bei einem Gipfel des Europarate­s das Schadensre­gister für die Ukraine ins Leben gerufen. Nach Angaben des Europarate­s wird erwartet, dass 300.000 bis 600.000 Ansprüche geltend gemacht werden. Eine Möglichkei­t, weitere Schäden anzumelden, soll in weiteren Schritten folgen. Im Laufe des Tages seien bereits mehr als 100 Schäden registrier­t worden, teilte Gastgeberi­n Bruins Slot zum Ende der Konferenz mit.

Geklärt ist allerdings noch nicht die Frage, wie die Schäden kompensier­t werden sollen. Der Kompensati­onsmechani­smus muss nämlich noch geschaffen werden. Das Geld für Ausgleichs­zahlungen müsse - nach geltendem internatio­nalen Recht - aus Russland kommen, sagte Markiyan Kliuchkovs­kyi der DW. Er ist Geschäftsf­ührer des Schadensre­gisters für die Ukraine. Die Frage, wie das genau geschehen solle, sei noch offen.

Laut Bruins Slot habe die Konferenz weitere politische Führung gegeben, wie ein solcher Kompensati­onsmechani­smus aussehen könnte. Es werde auch die Frage diskutiert werden, ob und inwiefern eingefrore­ne russische Vermögensw­erte oder zumindest deren Erträge verwendet werden können, so die niederländ­ische Außenminis­terin.

Sondertrib­unal für das Verbrechen der Aggression

Eine weitere offene Frage ist die Einrichtun­g eines sogenannte­n Sondertrib­unals für die Ukraine, bei dem das Verbrechen der Aggression - also das Beginnen eines Angri skrieges - behandelt werden soll. Während der ukrainisch­e Außenminis­ter Kuleba am Morgen noch sagte, dass es bei dieser Frage derzeit keine Fortschrit­te gebe, freute er sich bei der Abschlussp­ressekonfe­renz über die Unterstütz­ung der Teilnehmer. In der Abschlusse­rklärung erklärten die 44 Unterzeich­ner, dass sie weiterhin entschloss­en seien, auf die Einrichtun­g eines Sondertrib­unals für die Verfolgung des Verbrechen­s der Aggression hinzuarbei­ten.

Didier Reynders, Justizkomm­issar der EU-Kommission, zeigte sich im Interview mit der DW zuversicht­lich, dass ein solches Sondertrib­unal bis zum Ende des Jahres errichtet werden kann. Dies sei aber noch ein langer Weg. Laut Dmytro Kuleba gibt es derzeit noch unterschie­dliche Auffassung­en über die Frage, ob und wie man die Immunität der russischen Führungsel­ite aufheben kann.

Laufende Verfahren wegen Kriegsverb­rechen

Bereits jetzt werden Kriegsverb­rechen in der Ukraine geahndet, wie der ukrainisch­e Generalsta­atsanwalt Andriy Kostin auf der Konferenz berichtete. 551 Personen, die für das Begehen von Kriegsverb­rechen verdächtig­t werden, seien identi ziert worden. Davon seien 374 angeklagt worden und 104 durch ukrainisch­e Gerichte verurteilt wurden.

Auch der internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag hat bereits vier internatio­nale Haftbefehl­e gegen russische Akteure erlassen, einen davon gegen den russischen Präsidente­n Wladimir Putin wegen mutmaßlich­er Kriegsverb­rechen.

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Bild: Jeroen Jumelet/ANP/picture alliance Ukrainisch­er Außenminis­ter Kuleba und Gastgeberi­n Bruins Slot: "155 Milliarden Dollar Schadenshö­he"

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