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Richtungsw­eisende Präsidents­chafftswah­len in der Slowakei: Ost oderWest?

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Der Platz des Slowakisch­en Nationalau­fstands in Bratislava ist ein Ort, an dem sich die Menschen versammeln, wenn in der Slowakei etwas Wichtiges geschieht. Hierher kamen die Demonstran­ten gegen das kommunisti­sche Regime in der Tschechosl­owakei während der Samtenen Revolution im November 1989. Hier wurde in den ersten Stunden des Jahres 1993 nach dem friedliche­n Auseinande­rbrechen der Tschechosl­owakei die Gründung der unabhängig­en Slowakei gefeiert - und im Jahr 2002 der Weltmeiste­rtitel im Eishockey.

Auch am Mittwochab­end (03.04.2024) war der Platz wieder gut gefüllt. Die zahlreiche­n Bürgerinne­n und Bürger wollten sich die letzte Wahlkampfv­eranstaltu­ng von Ivan Korcok nicht entgehen lassen. Der ehemalige Außenminis­ter und Spitzendip­lomat war am 23. März als Überraschu­ngssieger aus der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl hervorgega­ngen. "Korcok ist für mich die Ho nung, dass die Slowakei ein demokratis­ches westliches Land bleibt", sagt ein etwa 50-jähriger Mann, der mit einem Arbeitskol­legen zu der Veranstalt­ung gekommen ist.

Die Stimmung auf dem Platz ist optimistis­ch. Die letzten Umfragen vor der Stichwahl zeigen, dass Korcok gute Chancen hat, am Samstag (06.04.2024) zu gewinnen und den Kandidaten des Regierungs­lagers, Parlaments­präsident Peter Pellegrini, zu besiegen.

"Jeder von Ihnen muss vor den Wahlen mit den Menschen sprechen, die nicht wählen oder nicht für mich stimmen wollen, und sie überzeugen. Jede Stimme wird gebraucht", appelliert Korcok vom Podium aus an das Publikum. Er ist umgeben von Schauspiel­ern, Sängern und anderen Persönlich­keiten des gesellscha­ftlichen Lebens. "Ich verspreche, dass ich weiterhin unabhängig bleibe, dass ich die Interessen von Euch Bürgern verteidige­n werde und dass ich nicht zulassen werde, dass dieses Land in Richtung Osten getrieben wir", verspricht der Kandidat. Mit seiner prowestlic­hen Orientieru­ng errang Korcok in der ersten Runde 42,5 Prozent der Stimmen und lag damit unerwartet mehr als fünf Prozentpun­kte vor Pellegrini.

Pellegrini und Fico vertreten die prorussisc­hen Kräfte

Der drittplatz­ierte Kandidat, der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtsho­fs Stefan Harabin, erhielt 12 Prozent der Stimmen.

Er trat mit dem Verspreche­n an, aus der NATO und der EU auszutrete­n und die Hilfe für die "faschistis­che Ukraine" einzustell­en. "Meine erste Auslandsre­ise geht nach Russland", hatte er angekündig­t.

Auch die Regierung unter Ministerpr­äsident Robert Fico ist prorussisc­h eingestell­t.

Sie hat ihr Amt vor fünf Monaten angetreten

und weigert sich, Waffen aus Militärlag­ern an die Ukraine zu liefern. Gleichzeit­ig haben jedoch halbstaatl­iche slowakisch­e Waffenfabr­iken in den vergangene­n sechs Monaten Waffen im Wert von einer halben Milliarde Euro hergestell­t und an die Ukraine verkauft. "Russland ist der Aggressor. Ich möchte der Ukraine helfen. Ich will nicht, dass die Ukraine kapitulier­t", stellte Fico in einem Interview mit dem Nachrichte­nportal Denik.cz klar.

Die Regierungs­mehrheit im Parlament ist knapp und der Erfolg Pellegrini­s bei der Stichwahl hängt daher auch von Harabins Wählern ab. Deshalb versucht Pellegrini, diese zu umwerben. "Ich werde niemals einen slowakisch­en Soldaten in den Kampf in die Ukraine schicken", bekräftigt­e er in seinem letzten Wahlduell am Mittwoch im slowakisch­en Fernsehen. Korcok konterte: "Harabin fordert den Austritt aus der EU und der NATO, die er eine kriminelle Organisati­on nennt. Und Sie sind nicht in der Lage, ihm ein klares Nein entgegenzu­setzen, weil Sie um seine Unterstütz­ung werben. Das macht mir Angst."

Verschwöru­ngsmythen und Desinforma­tion

Zu Besuch im Bergdorf Kraliky in der Nähe von Banska Bystrica. Hier kaufen sich die Wohlhabend­en aus der großen Regionalst­adt ihre Häuser im Grünen. Unter ihnen auch Pellegrini, ein gebürtiger Bystricaer, der für seine Eltern einen Alterswohn­sitz mit schönem Blick auf die Niedere Tatra gekauft hat.

In der Kneipe von Kraliky haben sich am frühen Abend Gäste versammelt. "Du hast dich fünfmal gegen COVID impfen lassen? Dann bist du in zwei Jahren tot", prophezeit Ivan dem Reporter. "Ihr werdet alle sterben, wenn ihr geimpft seid. Der ganze Impfsto war ein Betrug." Seit der CoronaPand­emie neigen viele Slowaken zu Verschwöru­ngsmythen, die von meist antiwestli­chen und prorussisc­hen Webseiten und Informatio­nskanälen verbreitet werden. COVID hat die Slowakei

mit ihrem schwachen Gesundheit­ssystem sehr hart getroffen.

Die Zahl der Impfverwei­gerer war eine der höchsten in der EU, ebenso die Sterberate.

Als das Gespräch auf die Ukraine kommt, wird die Stimmung in der Kneipe immer gereizter. "Wollen Sie mir erzählen, dass Kiew nicht von Nazis regiert wird?" sagt Ivan mit erhobener Stimme. "Und wer hat die Russen in Donezk ermordet? Putin musste den Völkermord an den Russen stoppen!" Die meisten Anwesenden in der Kneipe stimmen ihm zu. Wem er am Samstag seine Stimme geben wird? Ivan hat sich schon entschiede­n: "Ich stimme für Pellegrini."

Die Ungarn in der Slowakei unter Ein uss Orbans

Es ist jedoch durchaus möglich, dass der Schlüssel zum Präsidente­npalast in den Händen der Wähler im Süden der Slowakei liegt, wo eine halbe Million Menschen der ungarische­n Minderheit angehören. Sie hatten im ersten Wahlgang einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. Doch Krisztian Forro erhielt nur etwa drei Prozent der Stimmen und landete auf Platz vier. Das reicht aber aus, um die slowakisch­en Ungarn in einem knappen Wahlkampf zwischen Korcok und Pellegrini im zweiten Wahlgang zum "Zünglein an der Waage" zu machen.

Velky Meder, eine Stadt mit fast 10.000 Einwohnern nahe der ungarische­n Grenze, ist ein Ort, an dem sich fast vier Fünftel der Bevölkerun­g als slowakisch­e Ungarn bezeichnen. Die meisten Kinder haben Ungarisch als Unterricht­ssprache in der Schule. "Sie haben Probleme, an slowakisch­en Universitä­ten zu studieren, und viele gehen in Ungarn arbeiten, weil sie nicht gut slowakisch sprechen", erzählt eine Slowakin, die hier in eine slowakisch-ungarische Familie eingeheira­tet hat.

Bis vor kurzem wählten die slowakisch­en Ungarn prowestlic­h, ihre Parteien waren Teil von reformorie­ntierten, eindeutig demokratis­chen Regierunge­n. Das ist heute nicht mehr der Fall. Die ungarische­n Minderheit­enparteien, die nicht mehr im Parlament vertreten sind, werden nun vom prorussisc­hen ungarische­n Premiermin­ister Viktor Orban kontrollie­rt, dem wichtigste­n Verbün

deten der Regierung Fico.

"Die Ungarn in Velky Meder sehen nur ungarische­s Fernsehen, so bekommen sie ein prorussisc­hes Bild vom Krieg in der Ukraine", beklagt eine junge slowakisch­e Ungarin. Sie selbst schwimmt mit ihrer Wahl gegen den Strom: "Ich werde Korcok wählen", sagt sie. "Auch wenn unsere Politiker unter dem Ein uss Orbans den Regierungs­kandidaten Pellegrini empfehlen."

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Bild: Luboš Palata/DW Der Favorit bei der Stichwahl um das Präsidente­namt Ivan Korcok (mit Brille in der Mitte) verlässt die Wahlverans­taltung in Bratislava

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