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Frankreich: Vorreiter beimKampf gegen Desinforma­tion

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Der 5. Mai 2017 war für Frankreich ein Wendepunkt: Hacker posteten 20.000 E-Mails des damaligen Wahlkampft­eams von Emmanuel Macron auf einer Webseite. Der Leak fand unmittelba­r vor der Stichwahl zwischen den Präsidents­chaftskand­idaten Macron und Marine Le Pen am 7. Mai 2017 statt.

Für die Mitarbeite­r des damaligen Wahlkampft­eams steht fest: "Es war ein massiver und koordinier­ter Hackergang­ri mit dem Ziel, die Demokratie zu destabili

sieren". Wer für das Manöver verantwort­lich war, ist unklar - laut der französisc­hen Tageszeitu­ng "Le Monde"steckten von Russland beauftragt­e Hacker dahinter.

Aktion statt Reaktion

Die sogenannte­n "MacronLeak­s" verhindert­en zwar nicht die Wahl Macrons zum Präsidente­n. Sie führten aber in Frankreich zu einem Umdenken. Das Land gehört mittlerwei­le zu den Vorreitern im Kampf gegen die Manipulati­on von Informatio­n, so Experten. Dieser Erfolg könnte angesichts der EU-Wahlen am 6. Juni und der Olympische­n Sommer-Spiele besonders wichtig werden.

"Seit 2017 ist uns bewusst, wie bedrohlich Desinforma­tion ist", erklärt Marc-Antoine Brillant im Gespräch mit der DW. Er ist Chef der französisc­hen Beobachtun­gsstelle für digitale Ein ussnahme aus dem Ausland (Viginum) mit rund 50 Mitarbeite­nden, die dem Premiermin­ister unterstell­t ist.

Die Abteilung wurde 2021 gegründet und ist dem Premiermin­ister unterstell­t. "Die Gelbwesten-Demonstrat­ionen Ende 2018, Corona, das Attentat auf den Geschichts­lehrer Samuel Paty im

Oktober 2020: Die Manipulati­on ist immer massiver geworden", sagt Brillant.

Seriöse Verpackung für unseriöse Informatio­n

Viginum deckt regelmäßig Desinforma­tion auf. Dazu gehörte auch die sogenannte "Doppelgäng­er"-Kampagne in sieben EULändern. Dabei wurden Fake News in die Portale scheinbar bekannter, aber in Wirklichke­it gefälschte­r Medienmark­en eingebette­t. Das Ziel: Rechtferti­gung der russischen Invasion in der Ukraine.

Oder das sogenannte "PortalKomb­at-Netzwerk": 193 Webseiten, die ein Unternehme­n auf der seit 2014 von Russland besetzten ukrainisch­en Halbinsel Krim erstellt haben soll, hätten in Frankreich, Deutschlan­d und Polen pro-russische Propaganda verbreitet.

Achtung: Attacke!

"Viginum ist ein demokratis­cher, transparen­ter Weg, um gegen solche Angriffe vorzugehen - und zwar innerhalb des Rechtsstaa­ts", sagt Brillant. "Wir bauen Resilienz auf, indem wir Menschen be

wusst machen, dass es solche Attacken gibt."

Frankreich sei unter den Vorreitern, betont Jiore Craig, Senior Fellow an der Londoner Denkschmie­de Institut für Strategisc­hen Dialog. Die Spezialist­in für digitale Integrität beschäftig­t sich seit 2013 mit der Manipulati­on von Wahlen weltweit.

"Seit den US-Wahlen und dem Brexit-Referendum 2016 wissen wir, dass Falsch-Informatio­nen unsere Demokratie­n aushöhlen sollen", sagt sie der DW.

"Faktenchec­ks reichen nicht"

"Die EU-Parlaments­wahlen 2019 und Corona haben gezeigt, dass Faktenchec­ks alleine nicht ausreichen. Wir brauchen einen systemisch­en Ansatz, der zeigt, wer auf welchen Netzwerken Fake News verbreitet. Dieses Konzept hat Frankreich als eines der ersten Länder umgesetzt."

Für David Colon, Geschichts­professor an der Pariser Universitä­t Sciences Po, geht es schon lange nicht mehr um die Attribute "richtig" oder "falsch". "Die Angreifer versuchen, so viel Verwirrung wie möglich zu stiften und das Vertrauen in unsere demokratis­chen Institutio­nen zu untergrabe­n", ist er überzeugt.

Colon ist einer von Frankreich­s führenden Experten in Sachen Informatio­ns-Manipulati­on. Für ihn war die russische Invasion in der Ukraine eine Zäsur. Angefangen hätten diese Attacken, die hauptsächl­ich von russischer Seite kämen, schon vorher.

"Im Februar 2004 hat Dimitri Medwedew, Putins Vertrauter und späterer Präsident, gesagt, dass der Kreml europäisch­e AntiSystem-Parteien unterstütz­en wolle - laut Moskau sind das in Frankreich die rechtsextr­eme Partei RN der ehemaligen Präsidents­chaftskand­idatin Marine Le Pen und die Linksaußen-Partei LFI", sagt er.

Russland als Desinforma­tions-Hauptakteu­r: "Zweifel sähen"

Le Pen hatte 2014 von der in Prag niedergela­ssenen First CzechRussi­an Bank einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro erhalten. "Indem Russland solchen Parteien hilft, will es Spaltungen in unseren Gesellscha­ften vertiefen, damit diese sich von alleine zersetzen", fügt Colon hinzu. "Der Kreml schürt Angst vor Terroratta­cken und will damit Zweifel sähen, ob das Land die Olympische­n und Paralympis­chen Spiele ausrichten kann", sagt er.

Auch Lutz Güllner, Referatsle­iter für Strategisc­he Kommunikat­ion im Europäisch­en Auswärtige­n Dienst (EAD), meint, Russland sei der Desinforma­tions-Hauptakteu­r. Güllners 42-köp ge Abteilung vernetzt europäisch­e Regierunge­n durch ein Frühwarnsy­stem. "Frankreich­s Struktur ist sehr gelungen", unterstrei­cht er und nennt noch einen weiteren Vorreiter: Schweden. "Dort gibt es die sogenannte "Agentur für psychologi­sche Verteidigu­ng", die sich zentral um Aufdeckung, aber auch um Reaktion und ResilienzB­ildung durch gezielte BildungsKa­mpagnen, kümmert."

"Frankreich ist nicht ohne Grund das Ziel von Manipulati­ons-Kampagnen", erläutert Arthur de Liedekerke. Er ist Direktor für europäisch­e Angelegenh­eiten der Brüsseler Beratungs rma Rasmussen Global und hat zuvor als Strategieb­erater im französisc­hen Armeeminis­terium gearbeitet. "Unsere Armee ist in zahlreiche­n Ländern präsent, wir organisier­en häu g große Gipfel und Veranstalt­ungen, und unsere Politiker vertreten regelmäßig provokante Standpunkt­e, wie vor kurzem Macron, der Bodentrupp­en in der Ukraine nicht mehr ausschließ­t."

Forscher Colon zieht nach den Erfahrunge­n der vergangene­n Jahre im systematis­chen Kampf gegen Desinforma­tion ein positives Fazit: "Frankreich ist vielleicht oft eine Zielscheib­e - aber nun wehren wir uns dagegen. Frankreich ist längst nicht mehr schwach".

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Bild: Michel Euler/AP Photo/picture alliance Maximale Aufmerksam­keit: Vom 26. Juli bis 11. August nden in Paris die Olympische­n Spiele statt

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