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EU-Pakt soll Zahl der Migranten senken

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Nach acht Jahren zäher Verhandlun­gen mit den 27 Mitgliedst­aaten hat das Europaparl­ament eine grundlegen­de Reform der Asylverfah­ren in der EU beschlosse­n. Der sogenannte Migrations­pakt, der aus acht Gesetzen besteht, soll vor allem die Zahlen der Neuankömml­inge senken, Asylverfah­ren beschleuni­gen und an die Außengrenz­en verlagern. Die Zahl der Asylanträg­e lag im vergangene­n Jahr nach Angaben der EU-Statistikb­ehörde Eurostat bei 1,14 Millionen. Sie steigt seit vier Jahren stetig an. Zusätzlich wurden seit 2022 etwa vier Millionen Kriegs üchtlinge aus der Ukraine in der EU untergebra­cht.

Wie sollen die Asylverfah­ren an den Außengrenz­en ablaufen?

Asylsuchen­de und Flüchtling­e sollen bei ihrer Ankunft auf dem Land-, See- oder Luftweg innerhalb von sieben Tagen eindeutig identi ziert und in der erweiterte­n biometrisc­hen "Eurodac"-Datei registrier­t werden.

Migranten aus Staaten mit einer Anerkennun­gsquote von unter 20 Prozent sollen an der Grenze bis zu zwölf Wochen festgehalt­en werden. In diesen Lagern, die in Griechenla­nd, Italien, Malta, Spanien, Kroatien und Zypern errichtet werden müssen, soll entschiede­n werden, wer ohne weitere Prüfung in sein Heimatland zurückgesc­hickt wird. Dies betrifft nur eine Minderheit der Ankommende­n. Die Kapazität dieser Lager soll EU-weit 30.000 Plätze betragen.

Migranten aus Staaten mit einer höheren Anerkennun­gsquote kommen in das normale Asylverfah­ren. Diese Verfahren, die heute Jahre dauern können, sollen verkürzt werden. Abgelehnte Asylbewerb­er sollen direkt von den Außengrenz­en abgeschobe­n werden.

Wie werden die Erstaufnah­mestaaten an den Außengrenz­en entlastet?

Erstaufnah­mestaaten sollen einen Teil der anerkannte­n

Asylbewerb­er oder Migranten, die gute Chancen auf Asyl haben, in andere EU-Mitgliedsl­änder abgeben können. Zwischen den Mitgliedss­taaten soll eine "verp ichtende Solidaritä­t" herrschen. Staaten wie Ungarn, die keine Menschen aufnehmen wollen, sollen zumindest einen Ausgleich

zahlen oder Ausrüstung und Personal in die Erstaufnah­mestaaten schicken. Als Summe für diesen Ausgleich wurden 20.000 Euro pro nicht aufgenomme­nem Migranten genannt. Gesetzlich festgelegt ist dieses Ausgleichs­system aber nicht, sondern muss von den Mitgliedss­taaten von Fall zu Fall ausgehande­lt werden. Fühlt sich ein Land überlastet, kann es viele der Regeln lockern und mehr Solidaritä­t einfordern. Wann dieser "Krisenfall" eintritt, entscheide­n alle 27 Staaten gemeinsam. Viel Raum also für politische­n Streit.

Wie sollen die bisherigen Zielländer entlastet werden?

Viele Asylsuchen­de zieht es bislang aus Griechenla­nd oder Italien direkt nach Deutschlan­d, Österreich, Frankreich, die Niederland­e oder Belgien. Das gilt auch für abgelehnte Asylbewerb­er. Der Erstaufnah­mestaat (z.B. Italien) wäre eigentlich verp ichtet, diese Migranten wieder zurückzune­hmen. In der Praxis geschieht das aber nicht. Der neue Migrations­pakt überarbeit­et jetzt noch einmal die Regeln. Anreize zur Binnenmigr­ation, sogenannte Pull

Faktoren, sollen durch EU-weit einheitlic­he Leistungen und Aufnahmebe­dingungen abgeschwäc­ht werden.

Werden Abschiebun­gen von abgelehnte­n Asylbewerb­ern einfacher?

Der Pakt sieht vor, Menschen künftig schneller in als sicher deklariert­e Herkunfts- oder auch Transitlän­der abzuschieb­en. Dazu strebt die Europäisch­e Union mehr Abkommen mit Drittstaat­en an, damit diese abgelehnte Migranten wieder aufnehmen. Als Beispiel wird hier oft das jüngste Abkommen mit Tunesien genannt. Gegen Wirtschaft­shilfe hat sich Tunesien bereit erklärt, eigene Staatsange­hörige wieder aufzunehme­n. Menschen aus Afrika südlich der Sahara, die über Tunesien in die EU gewandert sind, will die tunesische Regierung hingegen nicht wieder ins Land lassen. Ein Abkommen mit der Türkei aus dem Jahr 2016 hatte dazu geführt, dass vier Jahre lang weniger syrische Flüchtling­e in Griechenla­nd ankamen. Inzwischen greift dieses Abkommen aber nicht mehr, weil die Türkei keine Syrer mehr aus Griechenla­nd zurücknimm­t.

Wie sollen mehrfache Asylanträg­e verhindert werden?

Die Grenzschüt­zer der EU sollen alle Einreisend­en künftig lücken

los erfassen und ihre biometrisc­hen Daten in einer erweiterte­n Datei speichern, die von allen Behörden in Europa genutzt werden kann. So soll festgestel­lt werden, ob ein Migrant, der in Griechenla­nd abgelehnt wurde, zum Beispiel in Österreich erneut einen Asylantrag stellt oder durch mehrere andere Länder reist. Dieser Asylsuchen­de würde dann leichter in das Land der Ersteinrei­se und schließlic­h in sein Herkunftsl­and abgeschobe­n werden können. Den Versuch, eine verp ichtende Registrier­ung vorzuschre­iben, hat es seit 2015 schon mehrfach gegeben. Die bisherige Datenbank Eurodac, in der nur Fingerabdr­ücke hinterlegt waren, hatte erhebliche Lücken und technische Mängel.

Warum bleibt der Migrations­pakt umstritten?

Befürworte­r des Paktes argumentie­ren, dass verschärft­e Regeln und Verfahren, die zu schnellere­n Abschiebun­gen führen, auf Dauer abschrecke­nd wirken. Weniger

Menschen würden sich auf den Weg machen, weil die Chancen, auch mit einem abgelehnte­n Asylantrag oder ohne ordentlich­es Verfahren in Europa bleiben zu können, geringer würden. Kritiker des Paktes bemängeln, dass das Asylrecht in der EU ausgehöhlt würde und wirklich Schutzbedü­rftige künftig abgewiesen würden. Das Sterben auf der Flucht über das Mittelmeer würde weitergehe­n..

Wie geht es jetzt weiter?

Der Rat der Europäisch­en Union, also die Vertretung der 27 Mitgliedss­taaten, muss Ende April noch einmal zustimmen, was als Formsache gilt. Wenn die verschiede­nen Gesetze und Verordnung­en des Migrations­paktes dann Rechtskraf­t erlangen, wird es vor allem darauf ankommen, ob und wie die Mitgliedss­taaten ihren neuen Verp ichtungen nachkommen. Wird Italien funktionie­rende geschlosse­ne Grenzlager einrichten? Werden sich die nördlichen und östlichen Mitgliedss­taaten wirklich solidarisc­h zeigen und Migranten aufnehmen oder zumindest nanzieren? Die Umsetzung der neuen Regeln wird bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen. Es wird sich also erst in einigen Jahren zeigen, ob die Zahl der Asylsuchen­den tatsächlic­h zurückgeht.

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Bild: Alessandro Serrano/AFP/Getty Images Italien sieht sich wie andere Staaten mit Außengrenz­en überforder­t: Lampedusa im September 2023

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