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Russland: Flutkatast­rophe in Orsk - WasMensche­n vor Ort berichten

- Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

Schneeschm­elze im Uralgebirg­e und anhaltende Regenfälle haben in mehreren Regionen der Russischen Föderation zu Überschwem­mungen geführt. Am stärksten betro en ist die Stadt Orsk am Fluss Ural in der Region Orenburg, wo ein Schutzdamm gebrochen ist. Innerhalb weniger Tage erreichte der Wasserstan­d zwei Meter, Einfamilie­nhäuser und die ersten Stockwerke von Wohnblöcke­n wurden über utet. Mehr als 6400 Menschen wurden evakuiert, mindestens zwei kamen ums Leben. Insgesamt stehen in der Region über 10.000 Gebäude unter Wasser.

Was die Menschen über den Dammbruch sagen

Jekaterina aus Orsk berichtet, dass ihre Eltern in der Nähe des Dammes leben. Am Morgen des 5. April hätten sie undichte Stellen bemerkt, am Abend habe sich dort bereits ein Loch gebildet. Das Haus stand innerhalb von drei Stunden unter Wasser.

Jekaterina konnte mit ihrer Familie vorübergeh­end bei Freunden in der Nähe von Orsk unterkomme­n. Sie hofft, dass sie einen Teil ihres Hab und Guts retten kann, wenn das Wasser zurückgeht. Reparature­n können aber womöglich erst beginnen, wenn die Behörden das Ausmaß der Schäden ermittelt haben. "Es gibt Zehntausen­de solcher Häuser. Wer weiß, wann wir dran sind. Aber wo sollen wir wohnen? Außerdem werden die Hilfsgelde­r kaum die Kosten für den Wiederaufb­au decken", klagt sie.

Auch das Haus von Jelena Matwejewsk­aja in Orsk wurde überschwem­mt. "Der erste Stock stand unter Wasser, doch ein Teil des Hausrats konnte in den zweiten gerettet werden", erzählt sie. Inzwischen sind ihr Mann und ihr Sohn zum Haus zurückgeke­hrt, um es zu bewachen, da Plünderer in der Gegend gesichtet wurden.

Spontane Kundgebung in Orsk

Matwejewsk­aja gehört zu einer Initiativg­ruppe, die mit dem Gou

verneur der Region Orenburg, Denis Pasler, sprechen konnte. "Alle Handys weg!" - so habe er das Treffen mit den Flutopfern begonnen. Das Gespräch fand am 8. April im Gebäude der Stadtverwa­ltung statt, vor dem gleichzeit­ig eine aufgebrach­te Menge von mehreren hundert Bürgern stand. Einige riefen "Schande!" und forderten den Rücktritt der Stadtobere­n, andere nahmen ein Video auf, auf dem sie einstimmig "Putin hilf!" riefen.

Die spontane Kundgebung wurde sofort von der Polizei umstellt. Die Versammlun­g sei illegal, sagten die Beamten. Die aufgebrach­te Menge fuhr jedoch fort, sich darüber zu beschweren, dass die städtische­n Dienste nicht auf die Überschwem­mung vorbereite­t gewesen seien und dass schon Tage vor dem Bruch Lecks am Damm festgestel­lt worden seien.

Laut Matwejewsk­aja äußerte eine Teilnehmer­in des Treffens mit dem Gouverneur den Verdacht, dass korrupte Machenscha­ften in der lokalen Führung ein Grund für die Flutkatast­rophe sein könnten "Eine junge Frau er

zählte Denis Pasler, dass ihr Großvater am Bau des Damms beteiligt gewesen sei und er habe die Hälfte des Schotters und des Baumateria­ls zu einer privaten Baustelle des Bürgermeis­ters bringen müssen", so Matwejewsk­aja. Der Gouverneur habe jedoch behauptet, die Ursache der Katastroph­e sei ein "ungewöhnli­ches Hochwasser" gewesen. Die Behörden von Orsk verspreche­n derweil den Menschen Hilfe: bis zu 100.000 Rubel ( umgerechne­t rund 1.000 Euro) für diejenigen, deren Häuser komplett über utet wurden, in anderen Fällen zwischen 10.000 und 50.000 Rubel (rund 100 Euro und etwa 500 Euro).

Behörden machen den Menschen Vorwürfe

Der Kreml reagierte eher zurückhalt­end auf die Ereignisse in Orsk. Dmitrij Peskow, Sprecher des russischen Staatschef­s, sagte, Wladimir Putin habe nicht vor, die betroffene­n Regionen zu besuchen, aber er befasse sich ständig mit diesem Thema. Mehrere Minister sind inzwischen in Putins

Auftrag in die Region ge ogen. Eine Äußerung des Ministers für Katastroph­enschutz, Aleksandr Kurenkow, empörte die Menschen aber noch mehr. Er hatte gesagt, schon eine Woche vor der Flut sei eine Evakuierun­g angekündig­t worden. "Aber das wurde als Scherz abgetan", so Kurenkow. Eine Woche lang habe man versucht, die Anwohner zu überzeugen, sich evakuieren zu lassen.

Die Stadtverwa­ltung hingegen hatte den Anwohnern noch am Vorabend des Bruchs versichert, der Damm werde halten. So schrieb Bürgermeis­ter Wassilij Kosupiza am 3. April in seinem Telegram-Kanal, er habe den Damm inspiziert, mit den Anwohnern gesprochen und sie würden nicht befürchten, überschwem­mt zu werden. Doch die russischen föderalen Ermittlung­sbehörden haben inzwischen ein Verfahren wegen Fahrlässig­keit und Verstoßes gegen Bauvorschr­iften eingeleite­t. Demnach soll der Bruch des Dammes auf überfällig­e Instandhal­tungsmaßna­hmen zurückzufü­hren sein.

Verantwort­ung für die Beseiti

gung der Folgen der Katastroph­e wollen die föderalen Behörden aber nicht übernehmen, meint der russische Politikwis­senschaftl­er Abbas Galjamow. Im autoritäre­n Russland, wo jede Proteststi­mmung in der Gesellscha­ft unterdrück­t wird, verlieren die russischen Behörden Galjamow zufolge zunehmend "menschlich­e Qualitäten". "In den Chefetagen haben sich Menschen verschanzt, die von der Logik einer vertikalen Staatsmach­t geprägt sind und vergessen haben, dass auch die Bevölkerun­g ein Subjekt ist", so der Experte. Er glaubt nicht, dass die Behörden die Hilfe für die Flutopfer erhöhen werden. Vielmehr würden sie der Finanzieru­ng vonRusslan­ds Krieg gegen die Ukraineden Vorrang geben. Derweil schätzen die lokalen Behörden die Hochwasser­schäden in der Region Orenburg auf mehr als 20 Milliarden Rubel ( umgerechne­t rund 200 Millionen Euro).

Ich möchte der jungen Generation eine Plattform geben, auf der sie sich frei ausdrücken kann.

JAFAAR ABDUL KARIM

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Bild: Russian Ministry of Emergency/Anadolu/picture alliance
Evakuierun­g in Orsk nach dem Dammbruch am 6. April 2024 Bild: Russian Ministry of Emergency/Anadolu/picture alliance
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