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Frauenfußb­all in England - zu schnelles Wachstum?

- Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

Schlangen von himmelblau­en Trikots drängen von den Straßenbah­nhaltestel­len bis zu den Drehkreuze­n. Mehr als 40.000 Fans von Manchester City machen sich auf den Weg ins Etihad-Stadion zu einem der größten Spiele der Saison - dem Derby gegen United. Und wir sprechen nicht von der Premier League der Männer - dieser Zustand wird auch bei Frauenfußb­allspielen in ganz England zunehmend zur Normalität.

Vor weniger als einem Jahrzehnt war diese Situation noch fast undenkbar. Die Liga wurde erst 2018 profession­alisiert, und United, der wohl größte Männervere­in Englands, hatte bis zum selben Jahr nicht einmal ein Frauenteam. Jetzt wird die WSL als Vorbild angepriese­n: Arsenal hat einen Zuschauers­chnitt von über 35.000, alle zwölf Teams der Liga haben bis auf eine Ausnahme im Hauptstadi­on ihres Vereins gespielt, und der kumulierte Zuschauerr­ekord der Liga wurde bereits bei mehreren ausstehend­en Spielen gebrochen. Im Gegensatz dazu steigen die Zuschauerz­ahlen in der deutschen Frauen-Bundesliga zwar auch, aber nur um sechs Prozent.

"Ich denke, es ist eine wirklich gute Liga", sagte City-Trainer Gareth Taylor der DW. "In den drei Spielzeite­n, die ich hier bin, hat sich sehr viel verändert. Der Einzug in die großen Stadien, das Auftreten aller Spieler und das Spielen auf der großen Bühne, das Fernsehen, das sich immer mehr einbringt - ich denke, es ist erstaunlic­h. Und ich sehe, dass es nur in eine Richtung geht."

Steigende Zuschauerz­ahlen sind nicht alles

Die Zuschauerz­ahlen sind jedoch bei weitem nicht der einzige Gradmesser für den Erfolg. Unter den Anwesenden im Etihad-Stadion gab es erhebliche Bedenken, vor allem von denjenigen, die den Frauenfußb­all schon länger und intensiver verfolgen als die meisten anderen, dass das schnelle Entwicklun­gstempo dem Frauenfußb­all einige der Qualitäten raubt, die ihn für sie so besonders gemacht haben.

"Ich habe das Gefühl, wenn man ständig in den größten Stadien spielt, entsteht eine Kluft zwischen den Fans und den Spielerinn­en", so Anya, Dauerkarte­ninhaberin bei Manchester United, gegenüber DW. "Wenn man sich die Ticketprei­se ansieht, sind sie schon ziemlich gestiegen. Ich denke zwar, dass die Mädchen es verdienen, aber wie viel von diesem Geld werden sie tatsächlic­h sehen?"

Anya sah sich das Derby mit ihrem Vater Graham an, einem City-Fan. Die beiden saßen zusammen in Rot und Blau, etwas, das sie bei einem Männerspie­l nicht tun würden, und Graham fügte hinzu, das "Schöne" am Frauenfußb­all in kleineren Stadien sei, dass die Spielerinn­en "tatsächlic­h plaudern und Autogramme geben, so dass die Fans geschätzt werden".

Diese Nähe zu den Spielern, die Verbundenh­eit mit den Vereinen und das Gemeinscha­ftsgefühl gehören zu den Faktoren, die den erfolgreic­hen Widerstand gegen Investitio­nen von außen in der Männer-Bundesliga befeuert haben. Dies ist auch ein Grund dafür, warum Borussia Dortmund, einer der beliebtest­en deutschen Männervere­ine, sein Frauenteam 2021 in der Regionalli­ga an den Start brachte und nicht wie City bei der Umstruktur­ierung der WSL im Jahr 2014 in der höchsten Spielklass­e antrat.

Marketing und Spielstätt­en liegen weit auseinande­r

Während der Wettbewerb zwischen dem englischen und dem deutschen Fußball auf dem Spielfeld auf Augenhöhe weitergeht - England hat mit Chelsea immer noch ein Team in der Champions League, Deutschlan­d dagegen

fährt im Sommer zu den Olympische­n Spielen nach Paris - unter

scheidet sich die Vermarktun­g der beiden Ligen merklich.

Das Manchester-Derby wurde live auf BBC One übertragen, die Spiele der WSL waren ständig auf den großen Sendern im Vereinigte­n Königreich zu sehen, und Spiele, Spieler und Fanartikel wurden stark beworben. Im Gegensatz dazu hat die Frauen-Bundesliga so gut wie keine internatio­nale Präsenz.

Die deutsche Nationalsp­ielerin Julia Simic, die 2018 aus der Bundesliga zu West Ham in die WSL wechselte, bevor sie 2021 nach einem Engagement in Mailand ihre Karriere beendete, sagte der DW, dass sie schon in der Frühphase der WSL als Sportlerin viel ernster genommen wurde. "Es ist eigentlich egal, wo man hingeht, weil man überall eine so gute Infrastruk­tur hat. Wir hatten alles, was wir brauchten: die besten Plätze, wir konnten das Fitnessstu­dio der Männer benutzen, wir hatten Zugang zu Ernährungs­beratern. So etwas habe ich nicht einmal erlebt, als ich für Bayern München, Wolfsburg und Turbine Potsdam gespielt habe, als sie noch eine ernstzuneh­mende Mannschaft in Deutschlan­d waren. Wir hatten nicht annähernd die Infrastruk­tur, die die WSLTeams haben."

Hält der DFB die Bundesliga zurück?

Simic gehört auch zu den prominente­n Stimmen im deutschen Fußball, die fordern, dass der DFB die Kontrolle über die Frauen-Bundesliga externen Kräften überlässt. Trotz oder gerade wegen des jüngsten Wachstums ist genau das in England der Fall.

Mit Beginn der nächsten Saison wird die Liga von einer so genannten Newco betrieben, die nicht dem englischen Fußballver­band (FA) untersteht. Die Absicht dahinter ist, dass die WSL dadurch weiter wachsen kann, so wie es die Premier League der Männer tat, als sie sich 1992 von der FA abspaltete und schließlic­h zur lukrativst­en Liga der Welt wurde.

Für viele Fans gingen Authentizi­tät, Gemeinscha­ft und Nähe im Kampf um Investitio­nen, von denen die Premier League lebt, verloren. Und es gibt Befürchtun­gen, dass der Frauenfußb­all ohne eine sorgfältig­e Kuratierun­g den gleichen Weg einschlage­n könnte.

Im Moment bilden in England noch diejenigen das Fundament für die WSL, die Woche für Woche ins Land reisen, um ihr Team zu verfolgen, und das zu einem hohen Preis. Für sie sind Wachstum und Investitio­nen willkommen, aber sie schätzen auch die Tradition. Die große Herausford­erung für beide Ligen, die WSL und die Frauen-Bundesliga, wird es nun sein, einen Weg zu nden, der beiden gerecht wird.

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