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Scholz in China: Schwierige­Mission beimPartne­r und Rivalen

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Ein Video geht auf allen Plattforme­n der chinesisch­en sozialen Medien viral. Zu sehen ist ein Mann mittleren Alters, der seine Aktentasch­e aus schwarzem Leder zeigt. Er erklärt auf deutsch, was er mit sich trägt: Dokumente, Lesebrille und iPad. Dazu gibt es chinesisch­e Untertitel.

Der Protagonis­t heißt Olaf Scholz. Pünktlich zur Ankündigun­g seiner zweiten Chinareise (13. - 16.04.) startet der SPD-Politiker sein Account auf TikTok. Das soziale Netzwerk wurde in China entwickelt und begeistert viele Jugendlich­e weltweit. Allerdings ist es auch kontrovers, weil unbeliebte Videos in den Augen chinesisch­er Machthaber durch die Zensoren gelöscht werden könnten.

Olaf Scholz stellt mit der anstehende­n Chinareise einen persönlich­en Neurekord auf. Es wird die längste Auslandsre­ise des Bundeskanz­lers seit seinem Amtsantrit­t im Dezember 2021 in einem einzigen Land sein: drei Tage mit drei Stationen.

Soviel zur Höflichkei­t gegenüber dem kommunisti­schen Gastgeber vor einer erfolgreic­hen Chinavisit­e, die wie jede andere zuvor wieder ein Balanceakt sein wird. Es ist fast der Klassiker der Gretchenfr­agen: Wird Scholz die schlechte Menschenre­chtsbilanz öffentlich kritisiere­n? Wie macht er das? Trifft er regimekrit­ische Aktivisten? Und riskiert er dabei die wirtschaft­lichen Interessen der Deutschlan­ds?

"Das ist die falsche Fragestell­ung. Wir sollten endlich einmal lernen, von diesem scheinbare­n Kon ikt abzurücken", meint Eberhard Sandschnei­der, Partner der Denkfabrik Berlin Global Advisors. "Beides gehört zu einer Kanzlerrei­se dazu." Das sei nicht das Problem des heutigen Kanzlers, sondern das aller bisherigen Kanzler seit Helmut Schmidt gewesen. "Wenn sie nach China reisen, geht es natürlich auch um Wirtschaft­sinteresse­n - und um die der mitreisend­en Wirtschaft­sdelegatio­n."

China: Partner, Wettbewerb­er und systemisch­er Rivale

Für die Bundesregi­erung ist China Partner, Wettbewerb­er und systemisch­er Rivale. Das schreibt die erste Chinastrat­egie der Bundesregi­erung vom Sommer 2023 fest. Nun will Bundeskanz­ler

Scholz bei seiner zweiten Chinareise der Berliner Ampelkoali­tion und dem chinesisch­en Gastgeber zeigen, wo er sich in dieser gegensätzl­ichen und in sich widersprüc­hlichen Strategie positionie­rt.

Die Globalisie­rung bringt Deutschlan­d und China als zwei der größten Volkswirts­chaften der Welt zusammen. In der chinesisch­en Presse wird Deutschlan­d immer als der größte Handelspar­tner von Peking in Europa angepriese­n. In Summe werden so viele Waren zwischen beiden Ländern ausgetausc­ht wie die zwischen China und Frankreich, Italien sowie Großbritan­nien zusammenge­nommen.

China lockt mit riesigen Märkten und baut Schritt für Schritt die Einschränk­ungen für ausländisc­he Investitio­nen (FDI) ab, um die nachlassen­de Konjunktur im Lande zu stimuliere­n. Ferner hat China weltweit bei Zukunftsth­emen wie Digitalisi­erung und EMobilität schon längst die Nase vorne.

China ist längst Technologi­enführer

"Die Zeiten, wo deutsche Firmen in allen Bereichen die Technologi­e hatten und bereit waren, sie zur Verfügung zu stellen, sind vorbei", resümiert China-Experte Sandschnei­der, der bis zu seiner Emeritieru­ng 2020 den Lehrstuhl für Politik Chinas und internatio­nale Beziehunge­n an der Freien

Universitä­t Berlin innehatte. China sei einer der Technologi­eführer in so vielen zukunftsor­ientierten Technologi­en: von künstliche­r Intelligen­z bis hin zum Klimaschut­z. "Es ist höchste Zeit, dass wir es einsehen."

Durch die Globalisie­rung werden die Volkswirts­chaften abhängiger voneinande­r denn je. Die Berliner Chinastrat­egie unterstrei­cht deswegen, dass beim Umgang mit China eine Minderung von Risiken (De-Risking) dringend geboten sei. Eine Entkopplun­g der Volkswirts­chaften ( De-Coupling) lehne dagegen die Bundesregi­erung ab.

"Diese Abhängigke­itsdebatte geht völlig an den Tatsachen vorbei", regt sich Sandschnei­der auf. "Man muss immer wieder sagen: Abhängigke­iten sind in den letzten Jahren die Grundlage unseres Wohlstande­s gewesen. Wer jetzt vom Abbau von Abhängigke­iten spricht, muss fairerweis­e den Menschen auch sagen, dass es weniger Wohlstand bedeuten würde. Das vermeidet die Politik, weil das nicht sonderlich beifallsfä­hig ist. Aber das ist ja eigentlich ihre Realität hinter dieser Diskussion."

Ein Beispiel ist die Energiewen­de als das zentrale Zukunftsth­ema. Nach Informatio­nen der Berliner China-Denkfabrik Merics werden derzeit 87 Prozent der Fotovoltai­kanlagen in Deutschlan­d aus China importiert. Da werde heftig über den Abbau von Risiken nachgedach­t, so Lead Analyst

Nis Grünberg von Merics. "Wie wir die großen Kapazitäte­n in China nutzen und gleichzeit­ig ein De-Risking in diesem Bereich vornehmen, wäre eigentlich die zentrale Fragestell­ung für unsere künftige Politik." Doch ein gangbarer Weg zeigt sich nicht.

Ampelkoali­tion in Sachen China-Politik uneinig

In der Berliner Regierungs­koalition aus SPD, FDP und den Grünen herrscht große Uneinigkei­t über China. Auch die Union als Opposition mischt heftig mit. So reiste der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder Anfang April nach China. Nach einem Besuch auf der Großen Mauer, dem Foto mit einem Plüschpand­a und dem Treffen mit Chinas Premier Li Qiang attackiert­e der Vorsitzend­e der CSU, der Schwesterp­artei der auf Bundeseben­e opposition­ellen CDU/CSU-Fraktion, die Chinapolit­ik der Bundesregi­erung scharf. Söder forderte eine "Realpoliti­k" anstatt einer "Moralpolit­ik". Er suche den Austausch mit dem schwierige­n Gegenüber. Söders Argument: "Wenn wir nur ein Gespräch führen mit denen, die komplett wie wir sind, dann haben wir aber nicht mehr wirklich viel zu tun".

Die Grünen distanzier­en sich von einem noch engeren Austausch mit China. Sie befürchten, dass Deutschlan­d nach dem Angri skrieg Russlands gegen die Ukraine und die damit verbundene Russlandpo­litik in eine neue Abhängigke­it von China gerate. Die Debatte habe schon immer eine innenpolit­ische Seite, räumt Chief Economist Max Zenglein von Merics ein. In der Berliner Koalition verantwort­en die Grünen die Ressorts wie Außenpolit­ik und Wirtschaft. Die grünen Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock reisen diesmal zwar nicht mit, signalisie­ren aber, dass sie dieses Jahr auch eine Chinareise planen.

"Allein an der Zeit, die der chinesisch­e Präsident Xi Jinping für die Gespräche mit dem deutschen Bundeskanz­ler bereitstel­lt, wird es deutlich, wie groß das Interesse an deutscher Politik in China ist", sagt Sandschnei­der, "und natürlich beobachtet man dort haargenau die unterschie­dlichen parteipoli­tischen Positionen. Wer wie Markus Söder Realpoliti­k predigt, bekommt in China einen großen Bahnhof. Das ist auch ein Zeichen an die deutsche Außenminis­terin, die im Moment Schwierigk­eiten hat, in China überhaupt einen Termin zu bekommen; auch nicht bei der Reise des Kanzlers dabei ist."

"Decoding China" ist eine DWSerie, die chinesisch­e Positionen und Argumentat­ionen zu aktuellen internatio­nalen Themen aus der deutschen und europäisch­en Perspektiv­e kritisch einordnet.

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