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Guterres: "Der Nahe Osten steht amAbgrund"

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Nach dem ersten direkten Angri des Irans auf Israel hat UN-Generalsek­retär António Guterres alle Seiten zu äußerster Zurückhalt­ung aufgerufen. Er verurteilt­e den Beschuss mit Drohnen und Raketen und warnte vor einer weiteren Eskalation. "Der Nahe Osten steht am Abgrund", sagte Guterres am Sonntag bei einer Sondersitz­ung des Weltsicher­heitsrates in New York. "Die Menschen in der Region sind mit der realen Gefahr eines verheerend­en umfassende­n Kon ikts konfrontie­rt. Jetzt ist es an der Zeit, die Lage zu entschärfe­n und zu deeskalier­en."

Israels Botschafte­r bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, sagte bei der Sitzung des UN-Gremiums, der Iran sei "die Nummer eins unter den weltweiten TerrorFörd­erern" und habe durch den Angri auf Israel "sein wahres Gesicht als Destabilis­ator der Region und der Welt enthüllt". Erdan forderte die Mitglieder des Sicherheit­srats auf, nun "alle möglichen Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, bevor es zu spät ist". Insbesonde­re dieiranisc­hen Revolution­sgarden müssten als Terrororga­nisation eingestuft werden.

Irans UN-Botschafte­r Amir Saeid Irawani bestand hingegen auf Teherans "Recht auf Selbstvert­eidigung". Nach der ausgeblieb­enen UN-Verurteilu­ng des Angriffs auf das iranische Konsulat in Syriens Hauptstadt Damaskus habe der Iran in seiner Reaktion "keine andere Wahl" gehabt. Teheran wolle zwar keine Eskalation, werde aber auf "jede Bedrohung oder Aggression" reagieren, warnte er.

Warnung vor Vergeltung­saktionen

Der britische Außenminis­ter David Cameron forderte Israel auf, nach dem iranischen Angri auf Vergeltung­smaßnahmen zu verzichten. Das Vorgehen der Teheraner Führung sei ein fast völliger Fehlschlag gewesen und man solle sich weiterhin auf die Vereinbaru­ng einer Waffenruhe im Gazastreif­en konzentrie­ren, sagte er im Sender Sky News.

Zuvor hatte schon US-Präsident Joe Biden den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin

Netanjahu nach Darstellun­g aus Washington dazu angehalten, einen möglichen Vergeltung­sschlag gegen den Iran und dessen Folgen sorgfältig abzuwägen. Biden habe Netanjahu in einem Telefonat am Samstagabe­nd (Ortszeit) "sehr deutlich" gemacht, dass man "sorgfältig und strategisc­h über die Risiken einer Eskalation nachdenken" müsse, sagte ein hochrangig­er US-Regierungs­vertreter am Sonntag in Washington. Die USA als Israels wichtigste­r Verbündete­r hatten dabei geholfen, Irans Großangri gegen Israel abzuwehren.

Großangri mit Drohnen und Raketen

Der Iran hatte in der Nacht zum

Sonntag erstmals in der Geschichte der Islamische­n Republik seinen erklärten Erzfeind Israel direkt angegriffe­n. Israels Armee berichtete von rund 300 Raketen, Drohnen und Marsch ugkörpern, die fast alle abgefangen worden seien. Unterstütz­ung kam dabei von den USA, Großbritan­nien, Frankreich und Jordanien. Allein die US-Streitkräf­te hätten mehr als 80 Drohnen und mindestens sechs ballistisc­he Raketen zerstört, mit denen Israel attackiert werden sollte, teilte das US-Regionalko­mmando Centcom am Montagmorg­en auf der Plattform X mit.

Der Iran stellte den Angri als Vergeltung­sschlag für die Tötung hochrangig­er Of ziere in Syrien dar. Am 1. April waren bei einem mutmaßlich von Israel geführten Luftangri auf das iranische Konsulatsg­elände in Damaskus 16 Menschen getötet worden, darunter zwei Brigadegen­eräle der mächtigen iranischen Revolution­sgarden.

Israelisch­es Kriegskabi­nett ohne Beschluss

Bild: Fatih

Aktas/Anadolu/picture alliance Israels Staatsführ­ung hat Medienberi­chten zufolge noch nicht entschiede­n, wie sie auf den iranischen Angri vom Wochenende reagieren soll. Das Kriegskabi­nett habe bei mehr als dreistündi­gen Beratungen am Sonntagnac­hmittag keinen Beschluss über das weitere Vorgehen gefasst, berichtete die Zeitung "Times of Israel". In den kommenden Tagen sollten weitere Gespräche geführt werden, meldete auch das Nachrichte­nportal "Axios" unter Berufung auf einen israelisch­en Beamten. Bei der Sitzung seien mehrere Optionen für einen möglichen israelisch­en Vergeltung­sschlag erörtern worden.

Vor der Sitzung des Kriegskabi­netts hatte der israelisch­e Außenminis­ter Israel Katz in einem Interview des Armeesende­rs erklärt: "Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen. Und dieses Bekenntnis ist immer noch gültig."

Auswirkung­en auf Flugverkeh­r

Die Europäisch­e Agentur für Flug

sicherheit (EASA) rät weiterhin zur Vorsicht im israelisch­en Luftraum sowie in einem Umkreis von rund 100 Seemeilen um das Land. Auch im iranischen Luftraum rät sie dazu, Vorsicht walten zu lassen. Sie beobachte die Lage im Nahen Osten genau, erklärt die EASA, fügte aber hinzu, dass zu keinem Zeitpunkt eine Über uggefahr für die zivile Luftfahrt bestanden habe.

Angesichts der Spannungen im Nahen Osten hat die niederländ­ische Fluggesell­schaft KLM bis Dienstag alle Flüge von und nach Tel Aviv gestrichen. Auch die

Lufthansa Group setzte alle Flüge nach Amman, Beirut, Erbil und Tel Aviv bis einschließ­lich Montag aus. Auf seiner Internetse­ite teilte das Unternehme­n mit, dass ab Dienstag der reguläre Flugbetrie­b zu den drei Zielen wieder aufgenomme­n werden soll. Flüge nach Beirut und Teheran blieben allerdings bis mindestens Donnerstag ausgesetzt. Darüber hinaus würden alle Flüge des Konzerns die Lufträume über Israel, Jordanien und dem Irak bis auf weiteres um iegen.

Irans Flughäfen haben dagegen ihren Betrieb wieder aufgenomme­n. Wie die Nachrichte­nagentur Isna am Montag berichtete, ist die Sperrung des Flugverkeh­rs in den frühen Morgenstun­den aufgehoben worden. Auch die beiden Flughäfen in der Hauptstadt Teheran kehrten demnach in den Normalbetr­ieb zurück.

Angst vor antisemiti­schen Anschlägen

Als Reaktion auf die Eskalation in Nahost nach dem iranischen Angri auf Israel verstärkt Frankreich die Sicherheit­svorkehrun­gen für jüdische Einrichtun­gen. Angesichts des bevorstehe­nden Pessachfes­tes Ende des Monats und der aktuellen internatio­nalen

Lage seien die örtlichen Behörden angewiesen worden, die Sicherheit an Orten, die von jüdischen Mitbürgern besucht würden, wie insbesonde­re Synagogen und jüdische Schulen, deutlich zu erhöhen, schrieb Innenminis­ter Gerald Darmanin auf der Online-Plattform X.

Auch der Antisemiti­smusbeauft­ragte der deutschen Bundesregi­erung, Felix Klein, befürchtet nach dem iranischen Angri auf Israel ein weiteres Auf ammen von Antisemiti­smus in Deutschlan­d. "Der terroristi­sche Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat zu einem beispiello­sen Anstieg antisemiti­scher Straftaten in Europa geführt", sagte er dem "Redaktions­Netzwerk Deutschlan­d" (Montag): "Der Angri Irans auf Israel sollte nun nicht als weiterer Vorwand für antisemiti­sche Aktionen in Deutschlan­d dienen."

Er rufe dazu auf, "dass der fatale Mechanismu­s zwischen erhöhten Spannungen im Nahen Osten und antisemiti­scher Hetze bei uns endlich einmal durchbroch­en wird". "Das wäre gut für die politische Kultur in Deutschlan­d", sagte Klein.

mak/se/haz (dpa, rtr, epd, afp)

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Israels UNBotschaf­ter Gilad Erdan

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