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Zweifel an FSC-Gütesiegel fürMöbel aus Belarus

- Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

Menschenre­chtsaktivi­sten, Abgeordnet­e des Europaparl­aments und ehemalige politische Gefangene in Belarus haben dringende Fragen an das "Forest Stewardshi­p Council". Die Organisati­on mit Hauptsitz in Deutschlan­d bietet ein internatio­nales Zerti zierungssy­stem für nachhaltig­e Waldwirtsc­haft an. Das FSC-Siegel gilt in diesem Bereich weltweit als Marktführe­r.

In einem offenen Brief an die Organisati­on wollen die Unterzeich­ner wissen, wieso Möbel, die in belarussis­chen Gefängniss­en hergestell­t wurden, jahrelang das FSC-Prüfsiegel bekommen konnten.

"Das FSC-Siegel ö nete die Tür zur EU"

Dem FSC wird vorgeworfe­n, jahrelang die Augen vor Zwangsarbe­it belarussis­cher Gefangener verschloss­en zu haben. Damit sei dem Regime von Machthaber Alexander Lukaschenk­os geholfen worden, Geld zu verdienen. "Das FSC-Siegel diente dazu, die Tür zum Handel mit der EU zu ö - nen", heißt es in dem Brief, in dem die Unterzeich­ner Aufklärung fordern.

Der FSC bezeichnet sich auf seiner Website als die verlässlic­hste Organisati­on für die Absicherun­g wichtiger Umwelt- und Sozialstan­dards im Wald, und das FSC-Gütesiegel ist inzwischen zu einem Inbegri für "ethischen" Konsum geworden. Die Zerti kate werden anhand mehrerer Kriterien ausgestell­t. So darf es unter anderem bei der Produktion keine Menschenre­chtsverstö­ße geben. Ein FSC-Siegel steigert ganz klar die Wettbewerb­sfähigkeit.

Laut Daten von Eurostat wurden von Januar bis November 2023 belarussis­che Holzmöbel im Wert von mehr als 103 Millionen Euro in die Europäisch­e Union importiert. Zu den größten Abnehmern zählen Polen, Deutschlan­d und die Niederland­e sowie die baltischen Länder und Rumänien. Die Möbelprodu­ktion ist nicht Teil der Sanktionen der EU, die gegen Belarus in Kraft sind. Ein ein großer Teil dieser Möbel wurde für den EU-Markt als ethisch vertretbar zerti ziert, noch bevor der FSC Belarus verließ. "Obwohl der FSC im März 2022 Belarus aus anderen Gründen verlassen hat, hat er es versäumt, seine früheren Fehler dort einzugeste­hen oder

anzusprech­en", heißt es in dem Brief an den FSC.

Dass der FSC Gefängnisa­rbeit in Belarus mehr als neun Jahre lang beschönigt hat, wurde durch eine im November 2022 veröffentl­ichte Untersuchu­ng der britischen Non-Pro t-Organisati­on "Earthsight" aufgedeckt. Demnach wurden in Belarus auch nach der vom herrschend­en Regime gefälschte­n Präsidente­nwahl im August 2020 weiterhin FSC-Zerti kate ausgestell­t - ungeachtet der dortigen massenhaft­en Repression­en von Regimegegn­ern, der Zunahme politische­r Gefangener und dokumentie­rter Folter .

"Zwangsarbe­it nicht in allen Gefängniss­en"

Der FSC beabsichti­gt allerdings nicht, die Ausstellun­g von Zerti - katen für belarussis­che Haftanstal­ten zu untersuche­n. Auf DWAnfrage betont die Organisati­on, angemessen­e Arbeitsbed­ingungen würden zu den Grundsätze­n der Zerti zierung gehören. Zudem sei der FSC "zutiefst besorgt über die Menschenre­chtsverlet­zungen in Belarus als Folge von Gewalt und Repression seit 2020".

Doch erst im März 2022 hatte der FSC die Risiken bewertet. Damals machte die bereits auch über belarussis­ches Territoriu­m laufende russische Invasion der Ukraine Prüfungen unmöglich, weshalb beschlosse­n wurde, alle ausgestell­ten Zerti kate zu annulliere­n. Der FSC betont jedoch, bereits im Jahr 2021 seien für belarussis­che Haftanstal­ten ausgestell­te Zerti kate annulliert worden. Der Grund seien Bedenken bezüglich Menschenre­chtsverlet­zungen sowie Sicherheit­srisiken für Experten, die Prüfungen durchführe­n. Gleichzeit­ig heißt es, dass "bei den jährlichen Kontrollen in den Gefängniss­en keine Verstöße festgestel­lt wurden". Weil Zwangsarbe­it nicht in allen Haftanstal­ten ein Problem sei, könnten Gefängniss­e eine FSC

Zerti zierung beantragen.

"EU muss Möbelhande­l mit Belarus sanktionie­ren"

FSC-Vertreter hätten belarussis­che Aktivisten gar nicht kontaktier­t, um sich über die Lage der Menschenre­chte in Haftanstal­ten zu informiere­n, beklagt Pawel Sapelko, Anwalt des belarussis­chen Menschenre­chtszentru­ms "Viasna". Schließlic­h würden die Gesetze Zwangsarbe­it in belarussis­chen Gefängniss­en erlauben. Laut dem Strafvollz­ugsgesetz ist jeder, der zu einer Freiheitss­trafe verurteilt wurde, zur Arbeit verp ichtet. Ausgenomme­n davon sind in Belarus nur Behinderte und Rentner. "Bei Verweigeru­ng wird der Gefangene zunächst in eine Strafzelle gesteckt, dann kann er wegen böswillige­n Ungehorsam­s gegenüber der Gefängnisl­eitung angeklagt und mit bis zu zwei weiteren Jahren Gefängnis bestraft werden", erläutert Sapelko.

Das bestätigt ein ehemaliger Häftling, der ungenannt bleiben möchte und in der Region Brest eine Haftstrafe verbüßte: "Wenn man ins Gefängnis kommt, wird man nicht gefragt, ob man arbeiten will oder nicht. Man muss es einfach. Die Leitung der Haftanstal­t entscheide­t, wohin man kommt und wie man bezahlt wird." Vom Lohn würden Zahlungen für Unterkunft und Verp egung in Haft sowie für ausstehend­e Gerichtsko­sten abgezogen. So bekämen die Häftlinge zumeist nur zehn bis 15 Rubel im Monat - umgerechne­t weniger als fünf Euro. Ferner müssen Gefangene ihre Familien bitten, ihnen Arbeitskle­idung zu besorgen - auch Handschuhe für die Holzverarb­eitung. Solche Bedingunge­n können nach Ansicht von Pawel Sapelko als Zwangs- oder sogar als Sklavenarb­eit bezeichnet werden. Alle Gefangenen, auch politische, seien davon betroffen.

Der Europaabge­ordnete und Mitvorsitz­ende der Europäisch­en Grünen, Thomas Waitz, hat sich dem Appell an den FSC angeschlos­sen. Der Möbelhande­l sei weiterhin die größte unsanktion­ierte Kategorie der belarussis­chen Exporte in die EU, heißt es auf seiner Website. "Diese Exporte stützen ein Regime, das in einen Krieg verwickelt und in politische­r Unterdrück­ung verwurzelt ist."

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Bild: Ales Petrowitsc­h/DW Möbelprodu­ktion in Belarus

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