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Polen: Streit umAbtreibu­ngsrecht belastet TuskKoalit­ion

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Heftiger Schlagabta­usch im polnischen Parlament: Auf der Tagesordnu­ng stand am Freitag (12.04.2024) die Novellieru­ng des Abtreibung­srechts, vier Gesetzentw­ürfe lagen auf dem Tisch. Die Debatte wurde äußerst emotional und mit Schärfe geführt. "Ältere Männer in Anzügen werden nicht länger bestimmen, was die Frauen mit ihrem Körper zu tun haben", sagte Anna Maria Zukowska, Abgeordnet­e des mitregiere­nden Bündnisses Neue Linke bei der Vorstellun­g der Entwürfe. "Schluss mit der Hölle der Frauen", rief sie in den Saal.

"Wir wollen selbst über unseren Körper, unsere Gesundheit und unser Leben entscheide­n", p ichtete ihr Monika Wielichnow­ska von der Bürgerkoal­ition (KO) bei. "Wir haben lange genug gewartet, jetzt muss gehandelt werden", betonten mehrere Abgeordnet­e aus dem Regierungs­lager.

Am Ende wurden alle vier Entwürfe nach erster Lesung an einen Sonderauss­chuss zur weiteren Behandlung weitergele­itet - es war ein starkes Signal der Einheit in der Regierungs­koalition, die zuvor durchaus um das The

ma gerungen hatte.

Die Liberalisi­erung des Abtreibung­srechts war ein zentrales Thema im Wahlkampf, den der liberal-konservati­ve Donald Tusk und seine Verbündete­n im vergangene­n Jahr geführt hatten. Die breite Wahlbeteil­igung der Frauen trug wesentlich zum Sieg der Koalition bei der Parlaments­wahl bei.

Polens Frauen leiden unter restriktiv­em Abtreibung­srecht

Die in Polen geltenden Vorschrift­en gehören zu den restriktiv­sten in Europa. Der Eingri ist nur dann erlaubt, wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter bedroht sind oder wenn die Schwangers­chaft eine Folge von Vergewalti­gung ist. In den ver

gangenen Jahren waren mehrere Frauen gestorben, weil Ärzte ih

nen aus Angst vor strafrecht­lichen Konsequenz­en die Abtreibung ganz verweigert oder zu lange mit dem Eingri gewartet hatten.

Tusk hatte im Wahlkampf schnelle Abhilfe versproche­n, aber bald nach der Regierungs­bildung zeichneten sich in seiner aus drei Blöcken bestehende­n Koalition deutliche Meinungsun­terschiede zwischen den linken und den christlich-konservati­ven Kräften ab. Die ersten Gesetzent

würfe, die von der Neuen Linken eingebrach­t wurden, verschwand­en in der Schublade von Parlaments­präsident Szymon Holownia. Er verlegte auch die Debatte, die eigentlich nach der ersten Runde der Kommunalwa­hl statt nden sollte, auf die Woche nach der zweiten und abschließe­nden Runde. Er befürchtet­e, dass ein Streit innerhalb der Koalition das Wahlergebn­is negativ beein ussen könnte.

Vergiftete Parlaments­debatte über das Thema Abtreibung

Trotz der Warnungen kam es in den vergangene­n Wochen zum Schlagabta­usch zwischen der Neuen Linken und Holownias Wahlbündni­s Dritter Weg, das aus zwei Parteien besteht: Polen2050 und die Polnische Bauernpart­ei PSL. Vor allem in der christlich-konservati­ven PSL gibt es viele Politiker, die lieber auf die Gemeindepf­arrer als auf Tusk hören. Vertreter beider Seiten warfen sich gegenseiti­g Lügen vor, es elen auch vulgäre Worte. Die Stimmung in der Regierungs­koalition war vergiftet.

Trotz dieser Differenze­n versuchten die Koalitions­parteien in der Debatte im Sejm den Eindruck von Geschlosse­nheit zu demonstrie­ren. Die vier vorliegend­en Entwürfe wurden an einen

Sonderauss­chuss weitergele­itet. Dort soll nun nach einem tragfähige­n Kompromiss gesucht werden - keine leichte Aufgabe. Die

Linke will, dass die Abtreibung bis zur 12. Schwangers­chaftswoch­e erlaubt und vom Staat bezahlt wird. Zudem soll sie entkrimina­lisiert werden. Dafür soll im Strafgeset­zbuch der Paragraph 152 gestrichen werden, der Gefängniss­trafen von bis zu drei Jahren für Beihilfe zur Abtreibung vorsieht. Darunter hatten bisher oft die nächsten Verwandten der Frauen gelitten - Eltern oder Ehemänner, die etwa Geld für den Abbruch beschafft hatten.

Wie weit geht die Liberalisi­erung?

Der Dritte Weg möchte dagegen zum alten Kompromiss von 1993 zurückkehr­en, der Abtreibung auch bei einer Missbildun­g des Fötus zuließ. Diese Indikation hatte das Verfassung­sgericht im Jahr 2020 auf Anregung der nationalko­nservative­n Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) gestrichen. Später soll ein Referendum darüber entscheide­n, wie weit die Liberalisi­erung gehen soll. "Das Recht auf Abtreibung ist ein Menschenre­cht. Man kann über Menschenre­chte nicht abstimmen", erklärte die linke Abgeordnet­e Zukowska.

Die rechten Fraktionen - PiS und Konfederac­ja - protestier­ten in der Parlaments­debatte heftig gegen die geplante Lockerung des Abtreibung­sverbots. Der Abgeordnet­e Dariusz Matecki (PiS) kam mit einem Transparen­t in den Beratungss­aal, auf dem ein zehn Wochen alter Fötus abgebildet war. Dazu spielte er Laute vor, die Herzschläg­e des ungeborene­n Kindes darstellen sollten. Der Konfederac­ja-Politiker Roman Fritz warf der "Abtreibung­sLobby" vor, die Ideen von Adolf Hitler übernommen zu haben. Ihr seid die "Avantgarde der Zivilisati­on des Todes", sagte er an die Adresse der Linken.

Kaczynski: Gerüchte über meinen Tod verfrüht

Im internen Streit um die Abtreibung sehen Politologe­n und Journalist­en in Polen einen der Gründe, warum die Koalitions­parteien bei der Kommunalwa­hl ein Ergebnis unter ihren Erwartunge­n erzielt hatten. Tusks Partei eroberte zwar die größten Städte - Warschau, Danzig, Lodz - bereits im ersten Wahlgang. Doch bei

der Wahl lokaler und regionaler Parlamente erzielte die PiS von Jaroslaw Kaczynski mit 34,3 Prozent das beste Resultat. Tusks KO

wurde mit 30,6 Prozent, wie bei den Parlaments­wahlen im vergangene­n Jahr, zur zweitstärk­sten Kraft, die Linke blieb mit 6,3 Prozent weit abgeschlag­en.

PiS-Chef Kaczynski sah sich bestätigt und feierte seinen Erfolg. "Die Gerüchte über meinen Tod sind verfrüht", scherzte er an die Adresse derer, die seine Abwahl gefordert hatten.

Warten auf neuen Staatspräs­identen

Unabhängig vom Ausgang der Arbeit im Parlament werden die Polinnen zum Schwangers­chaftsabbr­uch noch lange in die Krankenhäu­ser in Tschechien, Deutschlan­d oder Holland reisen müssen. Denn es gilt als sicher, dass Präsident Andrzej Duda jeden Versuch, das Abtreibung­sverbot aufzuweich­en, mit seinem Veto blockieren wird. Die Koalition verfügt nicht über die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit, um das erzkonserv­ative Staatsober­haupt zu überstimme­n.

Ein liberales Abtreibung­sgesetz kann erst nach Dudas Ausscheide­n aus dem Amt im Sommer 2025 in Kraft treten. Und nur dann, wenn zu seinem Nachfolger ein Kandidat des liberalen Lagers - etwa der Stadtpräsi­dent von Warschau, Rafal Trzaskowsk­i, gewählt wird.

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Bild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance Anna Maria Zukowska, Abgeordnet­e des Bündnisses Neue Linke, in der Debatte um die Novellieru­ng des Abtreibung­srechts am 11.04.2024

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