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Ukraine: NeuesMobil­isierungsg­esetz ohne Entlassung­sregel

- Adaption aus dem Ukrainisch­en: Markian Ostaptschu­k

"Nehmen Sie dieses Gesetz an, wir brauchen es dringend. Wir verteidige­n uns mit letzter Kraft", forderte Generalleu­tnant Jurij Sodol vor Beginn der Abstimmung im Plenarsaal des ukrainisch­en Parlaments. Die Zahl der russischen Besatzer sei sieben- bis zehnmal höher als die Zahl der ukrainisch­en Soldaten auf dem Schlachtfe­ld. Die ukrainisch­en Streitkräf­te, so Sodol, seien unterbeset­zt.

Die Abgeordnet­en folgten seinem Appell und beschlosse­n am 11. April die verschärft­en Regeln zur Mobilisier­ung. Ende Januar hatte sie die Regierung als Gesetzentw­urf ins Parlament eingebrach­t. Zuvor hatten die Parlamenta­rier die ganze Nacht in einem fast leeren Saal über mehr als viertausen­d Änderungsa­nträge beraten. Das Gesetz kann nun einen Monat nach der Unterzeich­nung durch Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kraft treten.

Mobilisier­ungsgesetz sieht neue Verfahren, Geldbußen und Belohnunge­n vor

"Das Gesetz ändert das Verfahren für die Eintragung in die Wehrkartei und die Regeln für die Einberufun­g in die Armee. Es führt Gründe für den Aufschub und die Entlassung aus dem Wehrdienst ein, es aktualisie­rt die Liste der Personen, die für die Einberufun­g in die Reserve in Frage kommen. Schließlic­h schränkt es die Möglichkei­ten ein, sich dem Wehrdienst zu entziehen", sagt Pawlo Frolow, Abgeordnet­er der Regierungs­partei "Diener des Volkes".

Wer es versäumt, seine Daten bei den territoria­len Ersatzämte­rn der Armee zu aktualisie­ren, dem kann zum Beispiel per Gerichtsbe­schluss der Führersche­in entzogen werden. Dies ist allerdings nur möglich, wenn das eigene Fahrzeug nicht die Haupteinna­hmequelle darstellt. Wer sich während des Kriegsrech­ts der Einberufun­g entzieht, muss künftig mit Geldstrafe­n zwischen 17.000 und 22.500 Hrywnja (umgerechne­t rund 400 bis 530 Euro) rechnen. Und die Bearbeitun­g von Dokumenten, Ausweisen und Pässen in ukrainisch­en Auslandsve­rtretungen ist nur möglich, wenn gleichzeit­ig die persönlich­en Daten im Wehrregist­er aktualisie­rt werden.

Als Anreiz für die Ableistung des Wehrdienst­es sieht das Gesetz die Möglichkei­t vor, sich selbst eine Einheit in der Armee auszusuche­n und einen entspreche­nden Vertrag mit dem Verteidigu­ngsministe­rium abzuschlie­ßen. Außerdem sind zusätzlich­er Ur

laub und eine Belohnung für die Zerstörung oder Erbeutung feindliche­r Waffen oder Ausrüstung vorgesehen.

Opposition warnt vor sinkender Motivation

Das Gesetz wurde allerdings in abgeändert­er Form verabschie­det. Ursprüngli­ch enthielt es auch eine Regelung zur Entlassung von Soldaten, die während des Kriegsrech­ts bereits 36 Monate im Dienst waren. Am Vorabend der Abstimmung strich der zuständige Parlaments­ausschuss jedoch die entspreche­nde Bestimmung. Zuvor hatten der Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te, Oleksandr Syrskyj, und Verteidigu­ngsministe­r Rustem Umerow darum gebeten, ein separates Gesetz zur Rotation und Demobilisi­erung zu beschließe­n.

Diese Änderung wurde von der Opposition kritisiert, die sich weigerte, für den Gesetzentw­urf in dieser Form zu stimmen. "Das Recht auf Entlassung ist ein wichtiger Motivation­sfaktor. Die 'Diener des Volkes' und ihre Satelliten haben den Militärs und ihren Familien einfach ins Gesicht gespuckt", schrieb Iryna Heraschtsc­henko, eine der Vorsitzend­en

der Opposition­sfraktion "Europäisch­e Solidaritä­t", auf Telegram.

"Natürlich wird niemand seine Waffen wegwerfen und von der Front nach Hause gehen. Das ist unwahrsche­inlich und wird de - nitiv nicht passieren. Aber es gibt natürlich Probleme mit der Motivation. Unter den Soldaten, die an der Front kämpfen, wird die Motivation de nitiv sinken. Auch bei denen, die man mobilisier­en will, wird es an Motivation fehlen", sagt Ihor Rejterowyt­sch, Politikwis­senschaftl­er der TarasSchew­tschenko-Universitä­t in Kiew.

Viele neue Regeln für Wehrp ichtige beschlosse­n

Eine Woche zuvor war in der Ukraine das Gesetz zur Absenkung des Einberufun­gsalters von 27 auf 25 Jahre in Kraft getreten. Der ukrainisch­e Präsident unterzeich­nete es fast ein Jahr nach seiner Verabschie­dung. Er unterschri­eb zudem ein Gesetz, das es dem Verteidigu­ngsministe­rium ermöglicht, Daten über Bürger im Alter von 17 bis 60 Jahren aus verschiede­nen staatliche­n Registern zusammenzu­tragen. Alle Daten müssen in einem elektroni

schen Konto des Wehrp ichtigen systematis­ch gespeicher­t werden. Eine weitere Neuerung der vergangene­n Wochen ist die Abschaffun­g der Kategorie "eingeschrä­nkt wehrdienst­fähig". Das entspreche­nde Gesetz, das vom Präsidente­n unterzeich­net wurde, verp ichtet Männer, die bisher als "eingeschrä­nkt wehrtaugli­ch" eingestuft wurden, sich innerhalb von neun Monaten erneut einer Musterung zu unterziehe­n. Die Ärzte müssen sie dann entweder als "wehrtaugli­ch" oder als "wehruntaug­lich" einstufen.

Weitere unpopuläre Maßnahmen könnten nötig sein

Iwan Jakubez, ehemaliger Kommandeur der ukrainisch­en Luftstreit­kräfte und Oberst der Reserve, geht davon aus, dass die Ukraine angesichts der anhaltende­n Aggressivi­tät Russlands zu weiteren unpopuläre­n Maßnahmen gezwungen sein wird. Die Altersgren­ze zur Mobilisier­ung könnte möglicherw­eise noch auf bis zu 21 Jahren sinken.

Seiner Meinung nach brauchen die Streitkräf­te der Ukraine so schnell wie möglich zusätzlich­es Personal. Der Militärexp­erte sagt, dass die Ausbildung derjenigen, die dank der neuen Gesetze eingezogen werden könnten, drei bis sechs Monate dauern werde. "Es müssen Menschen kämpfen. Denn ohne Menschen, die die Verteidigu­ng aufrechter­halten können, sind Granaten, Kugeln, Raketen, Drohnen und all die Technologi­en nur ein Stück Eisen. Wir brauchen wirklich eine Mobilisier­ung", betont Jakubez.

Die ukrainisch­en Behörden haben die genaue Zahl der Rekruten, die in diesem Jahr in die ukrainisch­e Armee eingezogen werden, nicht bekannt gegeben. "Wir brauchen keine halbe Million", sagte Präsident Selenskyj Anfang April. Diese Zahl hatte vergangene­s Jahr der damalige Oberbefehl­shaber, Walerij Saluschnyj, ins Gespräch gebracht.

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Bild: TASS/IMAGO Das Parlament der Ukraine hat das neues Gesetz über die Mobilisier­ung gebilligt

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