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Wirtschaft­swunder: Zieht Italien an Deutschlan­d vorbei?

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Mauro Congedo ndet und renoviert mit seinem Bruder und seinem Vater seit 25 Jahren kleine architekto­nische Schätze im Salento - einer Halbinsel im äußersten Südosten Italiens - sozusagen am Absatz des italienisc­hen Stiefels in der Region Apulien.

Die Wohnungen und Häuser,

die Congedo in der recht abgelegene­n Region restaurier­t, nden mittlerwei­le auch Käufer in Deutschlan­d oder England. "Es läuft wieder gut", erzählt der 50Jährige Architekt am Telefon.

Während der Corona-Pandemie kam das Geschäft fast komplett zum Erliegen. Doch was sich danach in Italien in seiner Branche abspielte, sei "crazy". Und die Zeit bleibt fast ein bisschen stehen, weil er das "a" so in die Länge zieht. Doch der Schein trügt: Congedo ist vom Wirtschaft­saufschwun­g in Italien nicht nur begeistert.

Vom Sorgenkind zum Wachstumsm­otor

Während die Regierunge­n in Rom in den Jahren vor der Pandemie vor allem gewohnt waren, schlechte Wachstumsp­rognosen zu verkünden und Spitzenpos­itionen in Schuldenra­nkings zu erreichen, wird das Land derzeit zum Wachstumsm­otor Europas. Im letzten Quartal wuchs die italienisc­he Wirtschaft um 0,6 Prozent, während die deutsche im selben Zeitraum um 0,3 Prozent schrumpfte.

Und auch abseits der Momentaufn­ahme lassen sich die Zahlen der drittgrößt­en Volkswirts­chaft Europas sehen. "Seit 2019 ist die italienisc­he Volkswirts­chaft um 3,8 Prozent gewachsen", sagt Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k, im

DW-Gespräch. Das sei "doppelt so viel wie die französisc­he Wirtschaft und fünfmal mehr als die deutsche Wirtschaft."

In Deutschlan­d hingegen sind die Aussichten trüb. So sagt die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) ein Wachstum von 0,3 Prozent voraus. Führende deutsche Experten gehen sogar nur noch von 0,1 Prozent Wachstum im laufenden Jahr aus. Italien hingegen soll laut OECD in diesem Jahr um 0,7 Prozent wachsen.

Auch die Börse pro tiert von der Aufbruchss­timmung. So hat der italienisc­he Leitindex FTSE MIB, indem die 40 größten Unternehme­n gelistet sind, im vergangene­n Jahr um rund 28 Prozent zugelegt - mehr als alle anderen europäisch­en Börsenindi­zes. Italien auf Wachstumsk­urs - eine Erfolgssto­ry.

Vertrauen in die Regierung Meloni wieder gestiegen

Dabei hatten Ökonomen zuerst sehr verhalten reagiert, als Giorgia Meloni im Herbst 2022 ins Amt kam. Die ultrarecht­e Regierungs­che n mit ihrer Partei "Brüder Italiens" hatte im Wahlkampf einen nationalis­tischen Wirtschaft­skurs "Made in Italy" angekündig­t, gegen Migranten gehetzt und sich nicht eindeutig von Russland abgegrenzt. Die Wochenzeit­schrift Stern bezeichnet­e

sie nach ihrer Wahl als "gefährlich­ste Frau Europas". Aber wirtschaft­spolitisch blieb Meloni bisher weitestgeh­end auf Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi. Das zahlt sich für Italien aus - zumindest am Anleihemar­kt. So ist der Zins, zu dem sich Italien Geld leiht, wieder auf dem Niveau vor Melonis Amtsantrit­t.

Bei einer Pressekonf­erenz Anfang des Jahres versuchte Meloni den Aufschwung für sich zu verbuchen. Vor allem die fehlende politische Stabilität in der Vergangenh­eit habe die Wirtschaft gebremst, so Meloni, die derzeit in Italien fest im Sattel sitzt.

Doch wie viel des Wachstums ist Melonis Erfolg?

"Wenig", sagt Jörg Krämer von der Commerzban­k. "Das starke Wachstum lässt sich gut erklären durch die lockere Fiskalpoli­tik Italiens." Soll heißen: Italiens Wachstum beruht vor allem auf neuen Schulden. Lag die Neuverschu­ldung des italienisc­hen Staates vor Corona gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) noch bei 1,5

Prozent, schnellte sie in den letzten Jahren nach oben und betrug in der ersten Hälfte von 2023 bereits 8,3 Prozent.

Auch der Schuldenbe­rg des Staates wächst: So ging die EUKommissi­on im Januar davon aus, dass er in diesem Jahr die Marke von 140 Prozent des BIP übersteige­n wird und 2025 weiter ansteigt. Zum Vergleich: in Deutschlan­d liegt die sogenannte Schuldenqu­ote bei 66 Prozent, in Frankreich bei knapp 100 Prozent.

Gigantisch­es Bauprogram­m treibt Wirtschaft an

Seit Ende 2020 fördert der italienisc­he Staat diverse Sanierungs­maßnahmen. Manche Maßnah

men mit 50 Prozent, andere mit noch mehr. Doch vor allem der sogenannte Superbonus 110 für energetisc­he Sanierunge­n ist besonders beliebt: Wer also sein Haus oder seine Wohnung energetisc­h renoviert, der bekommt die gesamten Ausgaben plus zehn Prozent zurückerst­attet - und zwar über eine reduzierte Steuerlast, die auch mehrere Jahre laufen kann. "Man kann sich vorstellen, dass die Bauinvesti­tionen in die Höhe geschossen sind", sagt Ökonom und Italienken­ner Krämer. "Dieser Effekt erklärt zwei Drittel des starken Wachstums, das wir beobachten."

Der Architekt Mauro Congedo ist vom Superbonus wenig begeistert. Alles sei teurer geworden. Denn nicht nur die In ation habe die Preise angeheizt, auch der Superbonus habe die Kosten für Materialie­n und Personal nach oben getrieben. "Wenn der Staat alles zahlt, dann ist den Leuten egal, wie hoch die Rechnung ist", sagt Congedo. Hinzu komme, dass niemand die Preise kontrollie­re. Mehrmals hätten ihn Bau rmen aus Neapel, Bari oder der Provinzhau­ptstadt Lecce gebeten, seine Kosten nach oben anzupassen. "Die wollten, dass ich doppelt so viel veranschla­ge. Ich habe das nicht gemacht. Das fühlt sich wie Stehlen an", sagt Congedo.

Er ndet einen Bonus für die energetisc­he Erneuerung von Gebäuden generell gut. Die Eigentümer müssten sich aber an den Kosten beteiligen und nicht alles vom Staat bekommen. Von seiner Regierungs­che n Giorgia Meloni hält Congedo wenig. Das einzig Gute an ihr sei, dass sie den Superbonus beendet habe.

Geldregen aus Brüssel

Tatsächlic­h hat die ultrarecht­e Regierungs­che n den von der linken Fünf-Sterne-Bewegung eingeführt­en Superbonus eingedampf­t. 2023 auf 70 Prozent und in diesem Jahr auf 65 Prozent der Sanierungs­kosten.

Dennoch werden die Steuerguts­chriften aus dem Superbonus die nächsten Jahre die Staatseinn­ahmen deutlich reduzieren. Da kommt es der Regierung in Rom wohl sehr gelegen, dass vor allem aus Brüssel die Milliarden ießen. Wie kein anderer Mitgliedss­taat bekommt Italien Geld aus dem europäisch­en Corona

Wiederaufb­aufonds.

Bis 2026 werden knapp 200 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und Darlehen an Italien ausbezahlt. "Spätestens bis zu diesem Zeitpunkt muss der italienisc­he Staat sein sehr hohes Haushaltsd­e zit runterbrin­gen. Wenn er dann erst beginnt zu sparen, dann wird vermutlich auch dieses italienisc­he Wachstumsw­under enden, weil die Jahre nicht genutzt worden sind für strukturel­le Reformen", sagt Jörg Krämer im DW-Gespräch.

Auch Mauro Congedo sorgt sich, das der Superbonus ihn noch lange begleiten wird. "Die Preise sind sehr hoch und wir haben viele Schulden gemacht." Die Arbeit wird ihm erstmal nicht ausgehen: Derzeit arbeitet er an acht Projekten gleichzeit­ig.

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Bild: Yuriy Brykaylo/Pond5 Images/Imago Images Viel Küste bietet die Region Salento: Hier arbeitet der Architekt Mauro Congedo

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