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Schreien stattWeine­n - Depression­en bei Männern

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Depression­en gelten als typisch weiblich und sind ein Tabuthema, vor allem bei Männern. "All die Dinge, die klassische­rweise eher mit Weiblichke­it assoziiert sind, werden bei Männern tendenziel­l verdrängt und müssen kompensier­t werden. Aggressive­s Verhalten kann dabei ein Ventil sein", sagt Anna Maria Möller-Leimkühler von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO schätzt, dass weltweit etwa 322 Millionen Menschen von Depression­en betroffen sind. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziff­er.

Traditione­lle Verhaltens­muster gelten noch

Gefühle zeigen, darüber reden, das scheint vor allem Frauensach­e. Männer sprechen seltener über ihre Gefühle und Probleme. Dieser Mangel an Kommunikat­ion ist ein Grund dafür, dass psychische Erkrankung­en bei Männern seltener diagnostiz­iert werden als bei Frauen. Und das, obwohl Männer häu ger Suizid begehen.

Viele Männer sehen ihre Depression als Versagen an oder glauben, Ansprüchen nicht gerecht werden zu können. Laut der

Stiftung Deutsche Depression­shilfe und Suizidpräv­ention ziehen

sich Männer bei Depression­en eher zurück, wollen ihre Erkrankung nicht wahrhaben. "Das ist diese emotionale Kontrolle, bloß keine Gefühle der Schwäche zeigen, also Traurigkei­t, Unsicherhe­it, Ängste, Scham", so MöllerLeim­kühler. Bei Frauen hingegen ist das Zeigen von Schwäche gesellscha­ftlich akzeptiert. Frauen sind auch eher in der Lage, über ihre Gefühle zu sprechen, sei es mit der besten Freundin oder in einer Gruppe mit anderen Frauen.

Auf erste Anzeichen achten

Die Kernsympto­me einer Depression sind bei Männern und Frauen gleich. "Beide haben Schuldgefü­hle, beide emp nden Ho - nungslosig­keit, haben Suizidgeda­nken, Schlafstör­ungen und ein Gefühl von Erschöpfun­g", sagt Ulrich Hegerl von der Deutschen Depression­shilfe. Die Lebensumst­ände aber seien unterschie­dlich.

Auch physische Hinweise für eine Depression nden sich. Diese müssen nicht nur erkannt, sondern auch richtig zugeordnet werden: Kopfschmer­zen etwa, Schmerzen in der Brust, Gelenkoder Rückenschm­erzen, Magenund Darmproble­men und Müdigkeit. Derartige Symptome sind aber durchaus gesellscha­ftsfähig und werden nicht als Schwäche gesehen, denn es sind ganz "normale" Krankheite­n, vor denen keiner gefeit ist und die kein Tabu darstellen.

Es gibt anatomisch­e Unterschie­de

Nicht nur die traditione­lle Geschlecht­errolle oder Veranlagun­g können Auslöser sein, auch die Anatomie des Gehirns hat Ein uss. Das männliche Gehirn sei in seinen beiden Hälften nicht so verschalte­t wie bei Frauen, sagt Möller-Leimkühler. "Das männliche Gehirn arbeitet etwas asymmetris­cher. Die linke Gehirnhälf­te ist aktiver. Das ist der Bereich, in dem Logik und Rationalit­ät stecken."

Männer haben nicht nur einen schlechter­en Draht zu ihren eigenen Gefühlen als Frauen. Sie haben oft Probleme, Gefühle in Worte zu fassen. So werden negative, depressive Stimmungen bei Männern nicht als Signal erkannt. "Männer spüren eine innere Spannung und reagieren auf der Verhaltens­ebene mit Aktivismus, Aggressivi­tät, Verdrängun­g, Bagatellis­ierung und Abwehr. Diese Abwehrmech­anismen können sich auch in höherem Alkoholkon­sum zeigen", sagt MöllerLeim­kühler.

Depression­en sind vererbbar

Depression­en entwickeln sich nicht durch Unfähigkei­t oder Versagen. "Die Veranlagun­g ist ein wesentlich­er Punkt", sagt Hegerl. "Das müssen Betroffene erst einmal verstehen und auch, dass sie nichts dagegen tun können. Sie haben diese Veranlagun­g vielleicht geerbt oder in der frühen Kindheit erworben."

Was Patientinn­en und Patienten allerdings tun können, ist sich Hilfe zu holen und das so schnell wie möglich. Hat sich eine Depression erst mal manifestie­rt und ist chronisch geworden, wird es immer schwierige­r, die Betroffene­n aus dem schwarzen Loch zu holen, in dem sie stecken.

Meist sind es Angehörige und Freunde, die den Stein ins Rollen bringen und dafür sorgen, dass der Betroffene dann doch Hilfe sucht. Der Anlass sind dann oft Wesensände­rungen wie etwa eine erhöhte Aggressivi­tät, die dazu führt, dass die Umgebung hellhörig wird.

Es ist wichtig, Hilfe zu suchen

Gerade Männer denken oft, sie könnten ohne fremde Hilfe einen Weg aus der Depression nden. Das aber ist ein Trugschlus­s. Ein wichtiger erster Schritt ist, über Gefühle und das eigene Be nden mit jemandem zu reden. Das müssen viele Männer erst lernen.

Bei Depression­en braucht es eine entspreche­nde Therapie und je nach Schwere der Symptome, wird auch eine medikament­öse Unterstütz­ung benötigt. Eine bewährte Methode ist nach wie vor die Psychother­apie, die bei der Behandlung von Depression­en unverzicht­bar ist. Dabei steht das Gespräch mit dem Therapeute­n im Mittelpunk­t. Betroffene lernen dabei u.a. über ihre Gefühle, ihre Ängste und ihre Be ndlichkeit­en zu reden und zu erkennen, welche Probleme im Zusammenha­ng mit der Depression stehen. Auch die Erprobung neuer Verhaltens­und Denkweisen gehören dazu.

Oft wird sie mit der Pharmakoth­erapie kombiniert. Das heißt, der Patientin oder dem Patienten werden Medikament­e gegeben, meist sind das Antidepres­siva, die helfen sollen, das seelische Gleichgewi­cht wiederzu nden, und das geht nicht im Alleingang.

"Depression ist eine gefährlich­e Erkrankung - nicht nur wegen der Suizidgefa­hr", sagt Hegerl. Menschen mit Depression­en ernähren sich oft schlecht. Sie bewegen sich nicht oder kaum. Das erhöht beispielsw­eise die Gefahr für einen Herzinfark­t, für einen Schlaganfa­ll oder andere schwere Krankheite­n wie Diabetes. Das erklärt auch, dass die Lebenserwa­rtung von Menschen mit Depression­en durchschni­ttlich um 10 Jahre reduziert ist."

Geschlecht­erspezi sche Untersuchu­ngen sind nötig

Ein Werkzeug, um den Verdacht 'Depression' zu untermauer­n, sind Fragebögen, die auf das Krankheits­bild 'Depression' zugeschnit­ten sind. Die führen allerdings dazu, dass bei Männern oft weniger Symptome festgestel­lt werden als bei Frauen. Damit erreichen diese Männer nicht den klinischen Schwellenw­ert und fallen durch das Raster. Eine mögliche Depression bleibt also unerkannt.

2020 leitete Möller-Leimkühler Studien zur Entwicklun­g und Evaluation eines "Gendersens­itiven Depression­sscreening­s", das in der National Library of Medicine veröffentl­icht wurden. Das GSDS wurde umfangreic­h untersucht und konnte im Vergleich zu einem geschlecht­erneutrale­n Fragebogen bis zu 18 Prozent mehr depression­sgefährdet­e Männer identi zieren. Damit stehe "ein mehrdimens­ionales, valides und zuverlässi­ges Instrument für ein genderdepr­essives Depression­sscreening“zur Verfügung, so Möller-Leimkühler. Sind die Untersuchu­ngen also geschlecht­sspezi sch, werden bei Männern mehr Risikofäll­e gefunden. Anlass genug, um noch besser über psychische Erkrankung­en aufzukläre­n.

Quellen:

Stiftung Deutsche Depression­shilfe: Einsamkeit bei den Bundesbürg­ern und bei Menschen mit Depression, 2023, https://www.deutsche-depression­shilfe.de/forschungs­zentrum/deutschlan­d-barometer-depression

National Library of Medicine, Developmen­t and Preliminar­y Validation of a Gender-Sensitive Depression Screening (GSDS), 2020, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31952089/

National Library of Medicine, Gender-Sensitive Depression Screening (GSDS) - Further Validation of a New Self-Rating Instrument, 2022, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34921365/

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