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Notre-Dame: Pariser Kathedrale putzt sich heraus
Großes hatte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron noch in der Brandnacht vom 15. auf den 16. April 2019 versprochen, wohl um die geschockte Nation zu beruhigen: Er erklärte Renovierung und Wiederaufbau binnen fünf Jahren zum nationalen Projekt. Seither laufen die Arbeiten an der gotischen Bischofskirche "Notre-Dame de Paris" auf Hochtouren - und liegen zeitlich o enbar im Plan.
Nach Einschätzung des neuen Bauleiters Philippe Jost hat jetzt "die vielleicht emblematischste
Operation der Baustelle begonnen, da sie den Wiederaufbau der Kathedrale nach außen hin sichtbar macht". Schon sein Vorgänger, der bei einer Bergwanderung tödlich verunglückte Ex-General Jean-Louis Georgelin, hatte sich zufrieden mit den Baufortschritten gezeigt. Für Gottesdienste und die Öffentlichkeit werde die Pariser Kathedrale im Dezember 2024 wieder geö net sein, versprach Georgelin im Interview der Zei tungsgruppe "Ou
est-France".
Untersuchungen der Bausubstanz ergaben, dass die Mauern der Kathedrale trotz des Großbrandes stabil geblieben sind, ebenso die meisten Gewölbe. Inzwischen wurden die nördlichen und südlichen Querschiffe sowie die Joche des Langhauses von ihren Gerüsten befreit. Die Buntglasfenster und die große Orgel, die vom Brand verschont blieben, wurden gründlich gereinigt. Nach der Sicherungsphase begann die Restaurierung im Inneren.
Kurzschluss oder Zigarette?
Genau fünf Jahre liegt die Brandkatastrophe jetzt zurück. Das historische Bauwerk im Herzen von Paris wurde dabei teilweise zerstört. Die Pariser Feuerwehr kämpfte vier Stunden, bis sie den Brand auf den hölzernen Dachstuhl eingrenzen konnte. Die Westfassade mit den Haupttürmen, die Wände des Mittelschiffs, das Strebewerk sowie große Teile des Deckengewölbes, auch die Seitenschiffe und Chorumgänge blieben stabil. Hitze, Rauch, Ruß und Löschwasser setzten der Kirchenausstattung zwar zu, doch auch hier blieben größere Schäden aus. Ob ein Kurzschluss den Brand auslöste oder die Zigarette eines Bauarbeiters, ist bis heute offen.
Das Ausmaß der Zerstörung war nicht so groß wie zunächst befürchtet. "Gott sei Dank sind nicht alle Gewölbe eingestürzt," bilanzierte seinerzeit im DW-Interview die deutsche Kathedralen-Expertin Barbara Schock-Werner. Lediglich drei kamen herunter. Im Chor kla te ein Loch. Die gotische Madonna blieb indessen unversehrt, obwohl neben ihr der Vierungsturm herunterbrach. "Das ist das Wunder von Notre Dame", so Schock-Werner.
Fenster-Restaurierung in Köln
Bilder der brennenden Kathedrale gingen um die Welt. Sie lösten weltweite Bestürzung aus - und eine Welle der Hilfsbereitschaft. Präsident Macron versprach die Wiederherstellung binnen fünf Jahren. Allein französische Spender sagten 850 Millionen Euro zu. Doch Geld und Expertise kamen auch aus Deutschland. Kölns ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner übernahm die Koordination der deutschen Hilfen.
So restaurierte die Kölner Dombauhütte vier Kirchenfenster, die Flammen und Hitze schwer beschädigt hatten. Die vier Obergadenfenster mit abstrakten Formen sind ein Werk des französischen Glasmalers Jacques Le Chevalier (1896-1987), gefertigt in den 1960er-Jahren. In der Glaswerkstatt der Kölner Dombauhütte wurden sie zunächst in einer - eigens eingerichteten - Dekontaminationskammer von giftigem Bleistaub befreit. Danach reinigten die Restauratorinnen die Fensterscheiben, klebten Sprünge im Glas, löteten Brüche im Bleinetz, erneuerten die Randbleie und verkitteten die Außenseiten der Fensterpanele neu. Die wiederhergestellten "Kölner” Fenster kehrten im Sommer 2023 zurück nach Paris.
Sensationsfund nach dem Brand
So dramatisch der Brand - so sensationell war diese Entdeckung französischer Forscher an der Brandstelle: Eisenklammern halten die Steine des Bauwerks zusammen. Datierungen und metallurgische Analysen enthüllten, dass diese Eisenarmierungen schon aus der ersten Bauphase der Kirche im 12. Jahrhundert stammen. Damit dürfte NotreDame der weltweit älteste Kirchenbau mit einer solchen Eisenverstärkung sein. Aber wichtiger
noch: Gelüftet ist auch das Rätsel, warum das Kirchenschi überhaupt diese Höhe erreichen konnte.
Als ihr Bau im Jahr 1163 begann, war Notre-Dame mit ihrem mehr als 32 Meter hohen Kirchenschi bald das höchste Gebäude der damaligen Zeit - dank der Kombination architektonischer Finessen: Der fünfschif ge Grundriss, das Kreuzrippengewölbe mit dünnen Verstrebungen und die offenen, ebenfalls relativ dünnen Strebebögen an der Außenseite des Hochschiffs, die die Last des Bauwerks von den Wänden ableiten, machten die enorme Höhe möglich. Spätere Kathedralen erhielten zusätzlich zu Stein und Holzkonstruktionen auch Eisenarmierungen. So gewannen sie Stabilität.
Wiederaufbau im alten Stil
Für den Wiederaufbau des mittelalterlichen Dachstuhls mussten 2000 Eichen gefällt werden. Um die Stämme zu Balken zu bearbeiten, erhielten die Handwerker spezielle Äxte, auf deren Blatt die Fassade der Kathedrale eingraviert ist. Dies kann man unter anderem in einer Sonderausstellung im Pariser Architekturmuseumbe wundern. Die Schau zeigt auch, welch mühsame Puzzlearbeit dahinter steckt, all die Steine und Holzstücke wieder an ihren ursprünglichen Platz zu setzen, das Gebäude so originalgetreu wie möglich wiederherzustellen.
Die Prachtstücke der Schau aber sind die Statuen der zwölf Apostel und vier Evangelisten, die der Architekt Eugène Viollet-leDuc im 19. Jahrhundert um den von ihm entworfenen Dachreiter gruppierte. Sie überstanden den Brand unbeschadet, weil man sie - Glück im Unglück - kurz zuvor zwecks Restaurierung vom Dach abmontiert hatte.
Sogar eine Architekturdebatte hat der Wiederaufbau von NotreDame ausgelöst. Zankapfel war der abgebrannte Spitzturm, der die Kreuzung von Quer- und Langschi markiert. Die Befürworter einer modernen Version - etwa in Stahl und Glas und von innen beleuchtet - konnten sich nicht durchsetzen. Auch andere Ideen hatten keine Chance, wie Chefarchitekt Philippe Villeneuve dem "Spiegel" erklärte. Er habe jedoch die Diskussion über "all diese idiotischen Ideen" nie gebremst, sagte er. "Ich wusste, je irrer die Entwürfe, desto größer sind die Chancen für eine originalgetreue Rekonstruktion."
Eine nationale Fachkommission entschied sich schließlich einstimmig für einen historischen Wiederaufbau. Und so erstrahlt der Spitzturm seit Februar 2024 samt goldenem Hahn und Kreuz in altem Glanz. Auch der Dachstuhl ist fertiggestellt, und sukzessive wird das Gerüst abgebaut.
Im Inneren geht es in den kommenden Monaten vor allem um die Elektrizität, den Brandschutz, ein Heizsystem und schließlich das Mobiliar. Die Franzosen ebern nun dem 8. Dezember 2024 entgegen, dem Tag, an dem "Unsere liebe Frau von Paris” wieder ihre Türen ö net - für alle, egal, ob gläubig oder nicht.