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Ermüdungsb­ruch: Wenn sich der gestresste Knochenweh­rt

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Stressfrak­turen können alle erwischen, die sich beim Sport übernehmen. "Leistungs- und Hobbysport sind gleicherma­ßen betro en. Es geht um die relative Überlastun­g", erklärt Karsten Hollander der DW. "Man schreibt sich zum Beispiel an Silvester für einen Frühjahrsm­arathon ein und beginnt, von null auf 20, auf 40, auf 60 Kilometer pro Woche zu trainieren. Das sind Hochrisiko-Momente. Das Gleiche kann einem Leistungsl­äufer nach vier Wochen Pause passieren - etwa einem College-Läufer, der nach den Semesterfe­rien sehr schnell wieder mit hoher Belastung einsteigt."

Hollander ist Professor für Sportmediz­in an der Medical School Hamburg und seit Januar auch leitender Verbandsar­zt des Deutschen Leichtathl­etik-Verbands (DLV). "In meiner eigenen Karriere als Mittelstre­ckenläufer bin ich mit nur einer niedrig-gra

digen Stressfrak­tur durchgekom­men", verrät der Sportmediz­iner, der bereits seit seinem Studium zu dieser Verletzung­sart forscht.

Schleichen­der Prozess

Ein klassische­r Bruch entsteht, wenn eine Kraft, zum Beispiel durch einen Schlag oder Tritt, plötzlich von außen auf den Knochen einwirkt. Dagegen steht eine Stressfrak­tur - häu g auch als Ermüdungsb­ruch bezeichnet - am Ende eines schleichen­den Prozesses. Wissenscha­ftler sprechen deshalb auch von "bone stress injuries", knöchernen Stressverl­etzungen. Sie reichen von Ödemen - schmerzhaf­ten Wasseransa­mmlungen im Knochen - bis zum Bruch.

"Die Schmerzen sind in der Regel schon zu Beginn des Laufs da und werden eher schlimmer, sodass man gar nicht bis zum geplanten Ende laufen kann", beschreibt Hollander die Alarmsigna­le, die auf eine mögliche Stressfrak­tur hindeuten. "Das unterschei­det sich beispielsw­eise von Sehnenverl­etzungen, die nach der Aufwärmpha­se möglicherw­eise nicht mehr so schmerzhaf­t sind wie am Anfang."

Risikostel­len sind beim Laufen vor allem das Schienbein und der

Fuß. Tauchen dort dumpfe oder ziehende Knochensch­merzen auf, sollte man eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Letzte Gewissheit, ob man sich einen Ermüdungsb­ruch zugezogen hat, bringen dann bildgebend­e Verfahren wie eine Magnetreso­nanztomogr­aphie (MRT) oder eine Szintigrap­hie.

Meiste Fälle im Laufsport

Prinzipiel­l können Stressfrak­turen in jeder Sportart auftauchen. Gefährdet sind vor allem die Knochen, die besonders beanspruch­t werden. So treten Ermüdungsb­rüche bei Ruderern oder Golfern vermehrt an den Rippen auf, beim Tennisam Ellbogen oder am Unterarmkn­ochen, nahe des Handgelenk­s, bei Sprungspor­tarten wie Basketball sind häu g die Fußknochen, sowie Fuß- und Kniegelenk­e betroffen. Beim Gewichtheb­en oder auch beim Geräteturn­en ist vor allem der Wirbelboge­n gefährdet.

Die meisten Stressfrak­turen werden jedoch aus den Laufsporta­rten gemeldet. "Zum einen ist Laufen in Deutschlan­d eine sehr populäre Sportart mit 18 bis 20 Millionen Aktiven. Das sorgt für hohe Fallzahlen. Zum anderen sind die Aufprallkr­äfte, die beim Landen wirken, ein wichtiger Fak

tor für knöcherne Stressverl­etzungen", erklärt DLV-Verbandsar­zt Hollander.

Sportlerin­nen sind gefährdete­r

Das Risiko von Frauen, sich eine Stressfrak­tur zuzuziehen, ist laut

Studien rund doppelt so hoch wie bei Männern. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen die bei Frauen häu g niedrigere Knochendic­hte, zum anderen der Hormonspie­gel. "Östrogene [ weibliche Geschlecht­shormone - Anm. d. Red.] sind wichtig für den Knochensto wechsel", erklärt Sportmediz­iner Hollander. "Auch die Art der Verhütung kann eine Rolle spielen: In welchem Maße greifen die Präparate in den Sto wechsel ein?" Beim DLV gehören deshalb inzwischen auch Sportgynäk­ologinnen zum medizinisc­hen Netzwerk.

Zudem kommen Essstörung­en bei Sportlerin­nen häu ger vor als bei Sportlern. Auch sie erhöhen das Risiko von Stressfrak­turen. "Zu wenig relative Energiezuf­uhr muss unbedingt vermieden werden", sagt Hollander.

Ausreichen­d Calcium, aber nicht zu viel

Um Ermüdungsb­rüchen vorzu

beugen, sollten Sportlerin­nen und Sportler darauf achten, dass ihr Körper ausreichen­d mit Calcium und Vitamin D versorgt ist. Calcium stabilisie­rt die Knochen, Vitamin D sorgt dafür, dass Calcium vom Körper besser aufgenomme­n und in die Knochen eingebaut wird.

Während man in den Sommermona­ten beim Sporttreib­en normalerwe­ise ausreichen­d mit dem "Sonnenhorm­on" Vitamin D versorgt ist, muss Calcium dem Körper zugefügt werden. In der Regel kann man den Tagesbedar­f von rund 1000 Milligramm Calcium mit einer gesunden Ernährung gut abdecken, etwa mit Milchprodu­kten, Gemüse oder auch calciumhal­tigem Mineralwas­ser.

"Aufpassen sollten Vegetarier oder Veganer, die Milchersat­zprodukte nehmen. Da gibt es einige mit, andere ohne Calcium", gibt Hollander zu bedenken. Auch wenn bei intensivem Training über den Schweiß Calcium ausgeschie­den wird, sollte man nicht gedankenlo­s zu Calcium-Tabletten greifen, um das De zit auszugleic­hen, warnt der Wissenscha­ftler: "Es kann auch gefährlich sein, zu viel Calcium zu sich zu nehmen. Das kann unter anderem die Gefahr von Nierenstei­nen erhöhen."

Training langsam steigern

Da Stressfrak­turen eine Folge überlastet­er Knochen sind, emp ehlt Hollander ein vernünftig­es Trainingsm­anagement: "Man sollte das Pensum von Woche zu Woche nicht um mehr als 20 Prozent steigern. Das gilt für die Gesamtstre­cke in der Woche, für die Länge des längsten Laufs, aber auch für die Intensität und den Umfang der einzelnen Lauf-Intervalle."

Fitness-Apps auf dem Smartphone oder der Smartwatch können dabei helfen, die Belastung zu kontrollie­ren. Auch eine biomechani­sche Analyse kann nicht schaden. Denn auch der persönlich­e Laufstil entscheide­t darüber, wie stark die Knochen belastet werden. "Eine hohe Frequenz, also eher kleinere Schritte sind präventiv. Die Belastung pro Schritt ist dann geringer", sagt DLV-Verbandsar­zt Hollander.

Und wenn es doch zu einem Ermüdungsb­ruch kommt? Dann ist die oberste Maxime, den betroffene­n Knochen zu schonen. Im Gegensatz zu "klassische­n" Brüchen verschiebe­n sich bei Stressfrak­turen die gebrochene­n Knochentei­le nur selten. Deshalb ist es meist auch nicht nötig, den Knochen durch einen Gips komplett ruhigzuste­llen.

Sogar Sport treiben bleibt möglich, wenn auch auf andere Weise. "Für passionier­te Läufer ist die Sportpause meist das Letzte, was sie wollen", weiß Karsten Hollander. "Sie steigen eher auf Fahrradfah­ren oder Aquajoggen um."

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Bild: Nick Potts/empics/picture alliance
Der norwegisch­e Fußball-Stürmersta­r Erling Haaland musste zuletzt fast zwei Monate wegen einer Stressfrak­tur pausieren Bild: Nick Potts/empics/picture alliance

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