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Linksterro­r der RAF: Gelingt Deutschlan­dweitere Aufklärung?

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Es war die spektakulä­rste Festnahme seit Jahrzehnte­n im Zusammenha­ng mit den Linksterro­risten der "Roten Armee Fraktion" (RAF): Nach Hinweisen aus der Bevölkerun­g klingelten Zielfahnde­r aus Niedersach­sen am Montag, dem 26. Februar 2024, in einem Mietshaus in Berlin-Kreuzberg. Die Frau, die sie dort ohne Widerstand verhaftete­n, war die 65 Jahre alte Daniela Klette, Mitglied der früheren "Rote-Armee-Fraktion". Seitdem ho en die Ermittler, viele bislang ungeklärte Straftaten der Linksterro­risten aufklären zu können. Die RAF hatte bis in die 1990er Jahre in Deutschlan­d Überfälle und Terroransc­hläge verübt.

Ermittler nden Panzerfaus­t, Gefechtskö­pfe, Kalaschnik­ow-Gewehre

Die Ermittler fanden unter anderem: 40.000 Euro Bargeld, eine

Panzerfaus­t mit Gefechtsko­pf, Pistolen und Kalaschnik­ow-Gewehre. Während der Festnahme kam es offenbar zu einer peinlichen Panne: Die Beamten erlaubten Klette wohl, zur Toilette zu gehen. Per Handy warnte sie ihren mutmaßlich­en Komplizen Burkhard Garweg.

Garweg, der sich bis dahin auch in Berlin aufhielt, und der dritte mutmaßlich­e Ex-Terrorist Ernst-Volker Staub sind seitdem verschwund­en. Der Präsident des niedersäch­sischen Landeskrim­inalamtes Friedo de Vries sagte dazu der "Deutschen-PresseAgen­tur" (dpa): "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die beiden aktuell in Ruhe ihre Tage verbringen. Wir sind fest entschloss­en, Herrn Garweg und Staub festzunehm­en."

Eine Wa e, vor 40 Jahren erbeutet

Die Waffenfund­e sind der größte Erfolg der Ermittlung­sbehörden seit vielen Jahren. Eine der Pistolen etwa stammt aus einem Überfall auf ein Waffengesc­häft in Maxdorf in Rheinland-Pfalz im Jahr 1984 - vor 40 Jahren also. Die Beamten hoffen, weitere der gefundenen Waffen den Straftaten der RAF zuordnen zu können. Denn wer genau die Überfälle und Mordtaten beging, ist noch

weitgehend ungeklärt.

Ziel des Hasses: Vertreter des verhassten Staates

Die sogenannte "dritte Generation" der Linksterro­risten, der auch Klette und die jetzt Ge üchteten angehörten, hielt das Land zwischen 1984 und 1993 in Atem und tötete zehn Menschen. Besonderes Aufsehen erregten die Morde am Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen im Jahr 1989 und am Chef der Treuhandan­stalt Detlev Karsten Rohwedder 1991.

Die Treuhandan­stalt war damals eine Behörde, die die Überleitun­g der staatliche­n Betriebe der früheren DDR in die Marktwirts­chaft organisier­en sollte. Das waren typische Ziele der Terrorgrup­pe: Repräsenta­nten des verhassten kapitalist­ischen Staates.

RAF-Geschichte begann in den 1960er-Jahren

Drei Generation­en von linksextre­men Terroriste­n gab es in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Ihr Ziel zu Beginn, nach den Studentenr­evolten Ende der 1960er Jahre: eine linke Revolution in Deutschlan­d, ein Ende des USKrieges in Vietnam. Die erste RAFGenerat­ion um die Gründer And

reas Baader und Ulrike Meinhof verübte Anschläge auf Kaufhäuser und wurde inhaftiert.

Die zweite Generation machte es sich zum Ziel, die Gründer aus dem Gefängnis freizupres­sen. Sie beging Mitte der 1970er Jahre Morde etwa an dem damaligen Generalbun­desanwalt Siegfried

Buback und dem Chef der Arbeitgebe­rverbände Hanns Martin Schleyer. Die dritte Generation, die bis zur Selbst-Auflösung der Terrorgrup­pe 1998 aktiv war, gab die meisten Rätsel auf: Sie verübte Anschläge, ohne entdeckt zu werden. Und die Mitglieder über elen später Geldtransp­orte und Banken, um ihr Leben im Untergrund zu nanzieren, und blieben weiterhin unentdeckt. Bis jetzt.

Schauten die Behörden zu lange weg?

Nach Ansicht von Konstantin von Notz, dem Innenexper­ten der Grünen im Bundestag, nahmen die Sicherheit­sbehörden die weiter bestehende Gefahr durch die RAF-Mitglieder nicht ernst genug. Es gab ja keine Attentate. So vergingen lange Jahre bis zur jetzigen Festnahme.

Von Notz sagt der DW: "Die durch sie begangenen Straftaten würden, so die Argumentat­ion, allein der Geldbescha­ffung zur Finanzieru­ng des eigenen Lebens

unterhalts der Täter im Untergrund dienen. Eine weiterhin bestehende politische Tatmotivat­ion wurde stets ausgeschlo­ssen." Die Fahndungsp­lakate von Klette, Garweg und Staub zeigten jahrzehnte­alte Bilder. Alle drei schienen wie vom Erdboden verschwund­en.

Bizarre Solidaritä­ts-Bekundunge­n für verhaftete Klette

Jetzt sitzt Klette im Frauengefä­ngnis Vechta in Niedersach­sen. Sie ist strikt von anderen Gefangenen isoliert. In ihrer Zelle wird sie rund um die Uhr per Video überwacht. Und sie schweigt zu allen

Vorwürfen, wie schon viele gefasste RAF-Mitglieder vor ihr.

Nach ihrer Verhaftung gab es in mehreren Städten des Landes bizarre Solidaritä­ts-Demonstrat­ionen für Klette. Am 9. März zogen rund 600 Personen in Berlin unter anderem vor die Wohnung der Frau, die zu dem Zeitpunkt bereits in Haft saß. Am 17. März gab es eine Demonstrat­ion in Vechta, wo sie im Gefängnis sitzt.

Für nächste Woche ist eine weitere Protest-Aktion in Vechta angekündig­t. Für von Notz ist das ein Zeichen dafür, dass die Ideologie der Linksextre­men immer noch Zulauf ndet: "Schon die Funde in der Wohnung der Beschuldig­ten, aber auch Sympathieb­ekundungen aus der linksextre­men Szene zeigen, dass durchaus noch eine erhebliche Gefahr von den Mitglieder­n der dritten Generation der RAF ausgeht und ihre Taten von einigen Verwirrten noch immer nicht klar verurteilt werden."

RAF verübte 33 Morde in 22 Jahren

Mindestens 33 Morde verübte die Terrorgrup­pe zwischen 1971 und 1993. Im inneren Kern der Gruppe waren nach Expertensc­hätzungen jeweils bis zu 80 Menschen aktiv. In der gesamten Zeit bis zur Auflösung 1998 wurden rund 1000 Menschen wegen Unterstütz­ung der Gruppe und etwa 500 wegen Mitgliedsc­haft verurteilt.

Schockiert war die Öffentlich­keit darüber, mit welcher Kaltblütig­keit auch Personensc­hützer, Fahrer oder Polizisten ermordet wurden. Hanns Martin Schleyer wurde am 5. September 1977 in Köln entführt, seine vier Begleiter wurden mit 119 Schüssen regelrecht hingericht­et.

26 Mitglieder der RAF-Führung wurden zu lebenslang­er Haft verurteilt. Einige von ihnen sind wieder auf freiem Fuß, so Christian Klar, einer der führenden Köpfe der RAF in den 1970er Jahren. Er hat sich nie von seinen Taten distanzier­t.

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Bild: Julian Stratensch­ulte/dpa/picture alliance
Hannover 2024: Mit einem vermutlich aktuellen Foto fahndet die Polizei nach dem mutmaßlich­en früheren RAF-Terroriste­n Ernst-Volker Staub Bild: Julian Stratensch­ulte/dpa/picture alliance

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