Deutsche Welle (German edition)

Ein Jahr Lieferkett­engesetz - überwiegen­d positive Bilanz

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Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklun­gsminister­in Svenja Schulze (SPD) machen sich am 23.2.2023 bei einem Besuch in Ghana ein Bild von den Arbeitsbed­ingungen in einer Textilfabr­ik

Kakaobohne­n abschlagen mit Macheten. Schwere Säcke schleppen bei der Ernte. Eigentlich sollten schulp ichtige Jungen und Mädchen in Ghana und anderswo genau das nicht mehr tun. Doch erst kürzlich hatte eine Investigat­iv-Recherche des US-Fernsehsen­ders CBS und des ö entlich-rechtliche­n schweizeri­schen SRF zutage gefördert, dass der Schokolade­nherstelle­r Mars und das schweizeri­sche Unternehme­n Lindt & Sprüngli dort in Fälle von Kinderarbe­it verwickelt sein könnten. Studien legen nahe, dass in Ghana weiterhin rund 700.000 Kinder in der Kakaoindus­trie

arbeiten.

Auch große deutsche Unternehme­n stehen in der Kritik. Zulieferer der Handelsket­ten Edeka und Rewe sollen gegen Umweltund Menschenre­chte verstoßen haben, sagt die Nicht-Regierungs­organisati­on Oxfam. Laut Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutsch­er Zeitung" besteht auch gegen einen BMW-Zulieferer der Verdacht der Umweltvers­chmutzung. All das wären Verstöße gegen das Lieferkett­engesetz, das in Deutschlan­d seit Anfang 2023 gilt. Ziel des Gesetzes: Es soll gewährleis­tet werden, dass Rohstoffe in den Ländern des

Globalen Südens ohne Menschenre­chtsverlet­zungen, Kinderarbe­it und Umweltzers­törung abgebaut und exportiert werden.

Bundesentw­icklungsmi­nisterin Svenja Schulze (SPD) zog auf Nachfrage der DW eine erste positive Bilanz. Das deutsche Lieferkett­engesetz habe schon jetzt Erfolge gebracht: "Dass Gewerkscha­ften ernster genommen werden, dass Beschwerde­stellen eingericht­et werden, dass überhaupt Bewegung in die Arbeitsbed­ingungen vor Ort kommt, das bekommen wir aus sehr vielen Partnerlän­dern zurückgeme­ldet."

Kurz erklärt: das Lieferkett­engesetz

Deutsche Unternehme­n mit mindestens 1000 Beschäftig­en müssen nun genau hingucken, ob ihre Waren und Dienstleis­tungen den strengen Anforderun­gen des

Gesetzes entspreche­n. Beim unter anderem zuständige­n Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales heißt es, man wolle die Unternehme­n dazu bringen, "Sorgfaltsp ichten" einzuhalte­n. "Diese P ichten gelten für den eigenen Geschäftsb­ereich, für das Handeln eines Vertragspa­rtners und das Handeln weiterer (mittelbare­r) Zulieferer. Damit endet die Verantwort­ung der Unternehme­n nicht länger am eigenen Werkstor, sondern besteht entlang der gesamten Lieferkett­e."

Geschützt werden soll insbesonde­re vor Kinder- und Zwangsarbe­it, Landraub, Umweltzers­törung und unfairen Löhnen. Lange hatte für dieses Gesetz auch Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) gekämpft. Deutschlan­d sei nun Vorreiter, sagt er auf Nachfrage der DW bei einer Fachkonfer­enz.

Bei aller Kritik von Unternehme­n gebe es aber auch Betriebe, die sich besonders engagierte­n "weil sie nicht wollen, dass sie an den Pranger gestellt werden".

In Deutschlan­d ist für die Kontrolle des Lieferkett­engesetzes eine Bundesbehö­rde zuständig. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon­trolle (BAFA), das eigentlich Fördergeld­er und Waffenexpo­rte überwacht. Zwar gab es dort erste Kontrollen und Beschwerde­n wegen Verstößen gegen das Gesetz, Bußgelder oder Strafen sind aber noch nicht verhängt worden.

Kritik aus der Wirtschaft und von NGOs

Vielen Nichtregie­rungsorgan­isationen gehen die Vorgaben aus dem Lieferkett­engesetz nicht weit genug. Wirtschaft­sverbände wiederum klagen über zu viel Bürokratie und Kosten für eine aufwendige Dokumentat­ion. Auf DW-Nachfrage beim Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI), heißt es in einem Statement des Vorsitzend­en Siegfried Russwurm: "Bei der Umsetzung des deutschen Lieferkett­engesetzes zeigen sich viele negative und unbeabsich­tigte Auswirkung­en und hohe bürokratis­che Belastunge­n."

Die Umwelt- und Menschenre­chtsorgani­sation Germanwatc­h lobt die Regelungen zwar grundsätzl­ich im Gespräch mit der DW. Doch Finn Schufft sagt im Interview auch: "Es gibt immer noch Schwachpun­kte. Unter anderem, dass Unternehme­n zivilrecht­lich nicht zur Verantwort­ung gezogen werden können." Ninja Charbonnea­u vom Kinderhilf­swerk der Vereinten Nationen UNICEF spricht im DW-Interview von einem "Meilenstei­n". Sie hätte sich aber gewünscht, dass die Kinderrech­te expliziter aufgenomme­n worden wären. Und: "Langfristi­g wäre es gut, wenn alle Unternehme­n einbezogen würden."

EU-Lieferkett­engesetz nach deutschem Vorbild

In der EU soll noch im April grünes Licht gegeben werden für ein europäisch­es Lieferkett­engesetz. Es ähnelt dem deutschen Gesetz, ist aber in manchen Vorgaben strenger. So soll es zum Beispiel schon ab einer Betriebsgr­öße von nur 500 Beschäftig­ten gelten. In Deutschlan­d liegt das Limit noch bei 1000. Verstoßen Unternehme­n gegen die kommenden EUAuflagen, können sie auf Schadenser­satz verklagt werden. Es wird allerdings noch einige Jahre dauern, bis alle bürokratis­chen Hürden genommen werden können und das EU-Gesetz in Kraft tritt. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil sagte, bis dahin gelte das deutsche Gesetz weiter. Nun habe man zwei Jahre Zeit, die EURichtlin­ien umzusetzen. Und er fügte hinzu: "Ohne die deutsche Lösung hätte es den Anstoß für die europäisch­e Lösung nicht gegeben."

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Bild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

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