Deutsche Welle (German edition)
Bericht: Ukrainische Roma-Geflüchtete werden diskriminiert
Mehr als 1,1 Millionen Menschen sind vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland ge üchtet - darunter geschätzt mehrere Tausend Roma, Angehörige der größten Minderheit Europas. Während Ge üchtete aus der Mehrheitsgesellschaft unbürokratisch versorgt und herzlich willkommen geheißen wurden, erlebten die meisten Roma ein ganz anderes Deutschland: sehr bürokratisch und wenig hilfsbereit, misstrauisch, abwertend, rassistisch.
Zu diesem Ergebnis kommt die
Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) in ihrem Monitoringbericht "Antiziganismus gegen ukrainische Roma-Ge üchtete in Deutschland". Antiziganismus ist eine Form des Rassismus, die sich gegen Sinti und Roma richtet oder gegen Menschen, die man dafür hält.
Diskriminierung ukrainischer Roma "vom ersten Tag an"
Roma-Familien, die vor dem Krieg in der Ukraine üchten, haben in Deutschland denselben Anspruch auf Unterstützung wie ihre ukrainischen Landsleute. "Aber diese Willkommenskultur ist nicht für Roma da", sagt MIA-Geschäftsführer Guillermo Ruiz der DW: "Wir haben vom ersten Tag an beobachten können, wie ukrainische Roma in allen Formen diskriminiert worden sind." Rund 220 Meldungen seien dazu bei MIA eingegangen.
Roma erleben demnach systematische Diskriminierung: in
Flüchtlingsunterkünften, von der Polizei, die ihre Herkunft infrage stelle, von Bahn-Mitarbeitern, die
sie aus Wartebereichen, Bahnhöfen oder dem Zug drängten, Schulbehörden, die Roma-Kindern monatelang keinen Unterricht ermöglichen, von Sozialarbeitern oder Ehrenamtlichen, die anderen Ukrainern engagiert helfen. "Das hat uns sehr geschockt", sagt Ruiz. Einige Roma-Familien seien so schlecht behandelt worden, dass sie zurückreisten ins Kriegsgebiet. Es gebe immer noch Hinweise aus ganz Deutschland auf rassistische Diskriminierungen.
"Ukrainische Roma sind Nachkommen von Holocaust-Überlebenden"
Gemeindevertreter in Bayern hätten gesagt: "Wir können weiter gerne ukrainische Ge üchtete aufnehmen, aber keine Roma." Ein Landrat äußerte sinngemäß, dass sie "Ge üchtete aufnähmen, nicht aber Hunde und Roma". Besonders erschreckende Aussagen, betont Ruiz, weil sie von deutschen Behörden ausgingen. "Deutschland hat eine historische Verantwortung für diese Minderheit."
MIA fordert, dass Deutschland dieser Verantwortung nachkommt, wie es der Bundestag am 14.12.2023 beschlossen hat, und betont: "Ge üchtete Roma müssen von der Bundesregierung als besonders schutzwürdige Gruppe anerkannt werden."
In Europa sind bis zu einer halben Million Sinti und Roma dem Völkermord durch das nationalsozialistische Deutschland zum Opfer gefallen. "Die ukrainischen Roma-Ge üchteten sind Nachkommen von Holocaust-Überlebenden", sagt Ruiz. Während der deutschen Besatzung wurde nach Schätzungen fast die Hälfte der
ukrainischen Roma ermordet.
Kränze für die Ermordeten niederzulegen reiche nicht, mahnte Mehmet Daimagüler, An
tiziganismusbeauftragter der Bundesregierung, am Internatio
nalen Roma-Tag am 8. April. Er kritisierte den deutschen Umgang mit der Minderheit: "Wir achten die Toten und verachten ihre Nachkommen."
Passgenaue Hilfe für ge üchtete ukrainische Roma
Renata Conkova ist jeden Tag im Einsatz für die Nachkommen der Verfolgten. Die 44-Jährige unterstützt ge üchtete ukrainische Roma bei Behörden und Ärzten, in der Schule und bei der Wohnungssuche. Als Romni in der Slowakei hat sie selbst Diskriminierung erlebt. Seit drei Jahren arbeitet sie in Thüringen für RomnoKher, eine Interessenvertretung für Menschen mit RomaHintergrund.
RomnoKher bietet Workshops an, in denen ge üchtete Roma erfahren, wie das Leben in Deutschland funktioniert. In einem Monitoring stellt Renata Conkova fest, ob Krankheiten vorliegen, Impfungen fehlen oder wie der Bildungsstand ist. Sie organisiert Alphabetisierungskurse für Kinder und Eltern. Das Interesse an Bildung sei groß.
Ausgrenzung in der Ukraine und in Deutschland
In der Ukraine seien viele Roma an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden, lebten in extremer Armut am Rand der Städte, teils ohne Strom- und Sanitärversorgung. Viele berichteten, dass sie am Schulbesuch gehindert worden seien, sagt Conkova, das habe zu Analphabetismus über Generationen gesorgt. Der MIABericht verweist auf Ausgrenzung bis hin zu antiziganistischer Ge
walt in den 2010er Jahren.
Auch in Deutschland ist Rassismus für Roma-Ge üchtete Alltag, beobachtet Conkova: Einer Familie sagt man im Restaurant, da sei kein Platz für sie - alle Tische sind frei, keiner reserviert. Eine Frau muss in einem Textildiscounter ihre Handtasche ö nen: "Euer Volk klaut so gern." Als man nichts ndet, entschuldigt sich keiner bei ihr. Ukrainische Roma erlebten, dass bei Behörden eingereichte Unterlagen mehrfach verloren gehen und sie ohne - nanzielle Unterstützung dastehen.
"Was machen die Roma, wo ist das Problem?" - "Sie sind einfach da."
Bis heute seien uralte antiziganistischer Vorurteile gegen die Minderheit verbreitet, sagt Guillermo Ruiz, da sei die Rede von Kriminalität, Kinderraub oder Handel mit Kindern und Frauen. "Antiziganismus ist leider immer noch Normalität in Deutschland." Im MIABericht nden sich Beispiele falscher Beschuldigungen. In einem Ort wurde behauptet, die Minderheit sei beteiligt an Schlägereien. Der Polizeichef wies die Aussage als falsch zurück.
Verbreitet würden Vorurteile durch Medienberichte, aber auch bei Versammlungen "besorgter Bürger" aus dem rechten bis rechtsextremen Spektrum, die teils durch die AfD organisiert werden, sagt MIA-Geschäftsführer Ruiz. Man bespreche das sogenannte "Roma-Problem". Er habe einen Bürgermeister gefragt, warum seine Bürger sich Sorgen machten: "Was machen die Roma, wo ist das Problem?" Der Bürgermeister sagte: "Sie sind einfach da."
Antiziganismus der ukrainischen Mehrheitsgesellschaft
Mehrfach erlebt Renata Conkova, wie ukrainische Dolmetscherinnen rassistisch über Ge üchtete sprechen: "Das sind nur Zigeuner, die können nichts." Unter der abwertenden Fremdbezeichnung wurden Sinti und Roma von den Nazis verfolgt und ermordet,
das Z wurde ihnen in Auschwitz in die Haut tätowiert.
Andere ukrainische Ge üchtete weigern sich, mit Roma an einem Tisch zu sitzen. Kein Einzelfall, hat MIA festgestellt: In Köln demonstrierten ge üchtete Ukrainer für ihre Unterbringung getrennt von ukrainischen Roma, ähnliche Berichte kommen aus vielen Bundesländern. In einem Fall seien Roma-Familien so eingeschüchtert worden, dass sie sich nicht mehr aus ihrem Zimmer trauten.
Aufklärung siegt über Antiziganismus gegen Nachbarn
Wo vermittelt wird, geschehen manchmal kleine Wunder, wie Renata Conkova berichtet: Die Kinder einer Roma-Familie schauen aus dem 3. Stock neugierig zum gegenüberliegenden Haus, wo Kinder in einem Swimmingpool plantschen. Das haben sie noch nie gesehen. Der Vater aus dem Nachbarhaus aber bedroht die Roma-Familie mit einer Waffe.
Als eine Integrationshelferin und Renata Conkova den Mann ansprechen, stellt sich heraus, dass er aus lauter Angst vor Pädophilen verhindern wollte, dass irgendjemand seine Kinder beobachtet. Über Roma hat er nur Schlechtes gehört.
Als er von den Problemen der Familie gegenüber erfährt, fragt er: "Warum hat mir das niemand erklärt?" Die Kinder dürfen mit seinen Kindern spielen. Er erklärt den Nachbarn die komplizierte Mülltrennung in Deutschland und zeigt der Mutter, wo sie günstig einkaufen kann. Viele Menschen wüssten nichts über die Minderheit, sagt Conkova. "Es ist nicht jeder Rassist."
"Stellen Sie sich an die Seite von Sinti und Roma"
Die Meldestelle MIA fordert Fortbildungen und Sensibilisierung für Antiziganismus bei Behörden und Helfern, ebenso wie das Ende der Benachteiligung von ukrainischen Roma in allen Lebensbereichen.
Am Internationalen Roma-Tag hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus Hetze gegen die Minderheit klar verurteilt: "Jeder Fall ist einer zuviel." Sie rief dazu auf, antiziganistische Vorfälle zu melden: "Stellen Sie sich an die Seite von Sinti und Roma!"