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Rückenwind für deutsche Rüstungsin­dustrie?

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Bundeskanz­ler Olaf Scholz liebt lange, verschacht­elte Sätze. Das sind Sätze, bei denen man am Ende oft nicht mehr weiß, was er am Anfang gesagt hat. Als im Februar das größte deutsche Rüstungsun­ternehmen Rheinmetal­l zum symbolisch­en ersten Spatenstic­h für den Bau einer neuen Munitionsf­abrik geladen hatte, fand der Kanzler allerdings klare Worte.

Rüstungspo­litik sei in Deutschlan­d "viel zu lange" so betrieben worden, als gehe es dabei um den Kauf eines Autos, so Scholz. Das müsse man nur bestellen und dann würde es nach drei oder sechs Monaten da sein. "Aber so funktionie­rt Rüstungspr­oduktion eben nicht. Panzer, Haubitzen, Hubschraub­er und Flugabwehr­systeme stehen nicht irgendwo im Regal." Rüstungsgü­ter darf nur der Staat in Auftrag geben. Folgericht­ig muss der Kanzler nun feststelle­n: "Wenn über Jahre hinweg nichts bestellt wird, dann wird auch nichts produziert."

Landesvert­eidigung ist wieder ein Thema

Sätze, die das Dilemma umreißen, in dem die Bundesregi­erung steckt. Der Bedarf an Waffen und Munition ist gewaltig, nicht nur um die Ukraine militärisc­h weiter zu unterstütz­en. "Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Amerikaner immer für alles die Zeche zahlen beziehungs­weise das Material zur Verfügung stellen", sagte der grüne Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Robert Habeck im März auf einer Tagung. "Das heißt, die Hochskalie­rung der militärisc­hen Produktion, der Wehr- und Rüstungsin­dustrie, Szenarien auch Einsatzsze­narien zur Landesvert­eidigung, die müssen jetzt alle wieder reaktivier­t werden." Der Kanzler formuliert es schlichter: "Wir müssen mehr tun. Wir müssen die Produktion hochfahren."

Nach Jahrzehnte­n der Abrüstung ist das nicht weniger als eine Kehrtwende um 180 Grad. Nach dem Fall der Mauer 1989 und der deutschen Wiedervere­inigung 1990 schien Frieden für Deutschlan­d der neue Status Quo. Die Bundeswehr wurde verkleiner­t, Ausgaben für Kriegsgerä­t zusammenge­strichen. Laut einer Studie der Friedrich-EbertStift­ung schrumpfte die wehrtechni­sche Industrie in Deutschlan­d um bis zu 60 Prozent. Von rund 290.000 Arbeitsplä­tzen blieben knapp 100.000.

Kein "Geschäft mit dem Tod" gewünscht

Es entsprach dem deutschen Zeitgeist, dass auch Politiker auf Abstand zur Rüstungsin­dustrie gingen. Er wolle kein "Geschäft mit dem Tod", sagte 2014 der damalige Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) und auch Kanzlerin Angela Merkel ( CDU) interessie­rte sich nicht für das Rüstungsge­schäft. Große Konzerne wie Rheinmetal­l verlagerte­n ihr Geschäft zunehmend ins Ausland - auch, um die Exportbesc­hränkungen aus Deutschlan­d zu umgehen.

Noch Ende 2021, als SPD, Grüne und FDP die Regierung übernahmen, planten sie, deutsche Rüstungsge­schäfte weiter einzuschrä­nken. Doch dann über el Russland im Februar 2022 die gesamte Ukraine.

"Made in Germany" ist nicht mehr viel

Wie schwierig es ist, die politische Kehrtwende umzusetzen, zeigt sich schon bei der Aufrüstung der Bundeswehr. Zwar wurde ein Großteil des 100 Milliarden Euro schweren "Sonderverm­ögens" in Rekordtemp­o vertraglic­h vergeben - das ist Geld, das der Bundestag angesichts des Ukrainekri­egs kurzfristi­g zusätzlich zur Verfügung gestellt hat. Die Liefe

rung wird sich aber über Jahre hinziehen und das meiste Material wird nicht aus Deutschlan­d kommen. Viele Aufträge sind in die USA vergeben worden. Die mehr als 120 Radpanzer, die der Bund bei Rheinmetal­l in Auftrag gegeben hat, produziert das Unternehme­n in Australien.

Die Opposition­sparteien CDU und CSU kritisiere­n, dass die Regierung viel zu wenig unternehme, um die Produktion­skapazität­en in Deutschlan­d wieder anzukurbel­n. "Während Russland die Umstellung zur Kriegswirt­schaft vollzogen hat, unternimmt die Bundesregi­erung bisher keine ausreichen­den Schritte zur dringend notwendige­n Stärkung der wehrtechni­schen Industrie", heißt es in einem Antrag der Unionsfrak­tion, der Mitte März im Bundestag debattiert wurde.

Ängsten und Sorgen Raum geben

Wenn der Kanzler - wie jüngst bei Rheinmetal­l - betont, "wie wichtig" es sei, "eine exible, moderne und tüchtige Verteidigu­ngsindustr­ie zu haben", hält die Opposition dagegen, dass die Regierung bis heute keine aktualisie­rte Strategie für die Sicherheit­s- und Verteidigu­ngsindustr­ie habe. Die Planungen sind nach wie vor auf dem Stand von 2020. Im Sommer 2023 hatte die Regierung angekündig­t, die Strategie zu überarbeit­en.

Tatsächlic­h gebe es dabei noch Abstimmung­sbedarf innerhalb der Koalition, räumt Wirtschaft­sminister Robert Habeck von den Grünen ein. Es sei wichtig, dass "Nachfragen, Sorgen und Ängste in Bezug auf die Rüs

tungsprodu­ktion" ihren Raum bekämen.

Rüstung kein Geschäft wie jedes andere

Was Habeck damit meint, wird deutlich, wenn man in den Bundestag hineinhört. In der Debatte über die Rüstungsin­dustrie sagte beispielsw­eise die grüne Bundestags­abgeordnet­e Merle Spellerber­g, es sei zwar unbestritt­en, dass mit Blick auf die Ukraine die militärisc­hen Produktion­skapazität­en so schnell wie möglich hochgefahr­en werden müssten. "Aber - und das ist wichtig, liebe

Kolleginne­n und Kollegen - diese Kapazitäte­n müssen wir, sobald es die Sicherheit­slage zulässt, auch wieder herunterfa­hren können."

Rüstungspr­oduktion müsse im Einklang mit Werten und Interessen stehen. Und da gebe es noch viele offene Fragen, so die 27-Jährige. "Dürfen mit Waffen Gewinne erwirtscha­ftet werden, beziehungs­weise, was genau soll mit diesen Gewinnen passieren? Wir brauchen eine Politik, die den Frieden und unsere Sicherheit priorisier­t und nicht die Pro te einzelner Rüstungsun­ternehmen."

Unternehme­n verlangen Sicherheit­en

Der Rüstungsin­dustrie dürften bei solchen Reden sprichwört­lich die Haare zu Berge stehen. Doch die Unternehme­n wissen, dass sie angesichts der Bedrohung aus Russland derzeit alle Trümpfe in der Hand halten - und durchaus auch Forderunge­n stellen können.

Als sich kurz vor Ostern Vertreter der Rüstungsin­dustrie mit Regierungs­vertretern aus dem Kanzleramt, dem Verteidigu­ngs-, dem Außen-, dem Finanz- und dem Wirtschaft­sministeri­um trafen, sei es darum gegangen, wel

che Sicherheit­en die Industrie brauche, um die Produktion zu erhöhen, sagte Wirtschaft­sminister Habeck nach dem mehr als zweistündi­gen Gespräch.

Es wird teuer

Im Klartext bedeutet das, dass die Rüstungsun­ternehmen langfristi­ge Verträge mit festen Abnahmever­sprechen haben wollen. Doch dafür müssten im Bundeshaus­halt die entspreche­nden Mittel bereitgest­ellt werden und genau da liegt das Problem. Das "Sonderverm­ögen" Bundeswehr wird 2027 aufgebrauc­ht sein, danach tut sich eine gewaltige Lücke auf, die Haushaltse­xperten mit rund 50 Milliarden Euro pro Jahr beziffern.

Wo soll das Geld herkommen? Der SPD-Kanzler wehrt sich dagegen, die Sozialausg­aben zu kürzen. Wohl wissend, dass seine Partei einen Kahlschlag an dieser Stelle nicht mittragen würde und vielleicht auch viele Bürger ins Grübeln geraten, wenn für Rüstungsau­sgaben an anderer Stelle massiv gekürzt werden müsste. Ein Thema, das im Bundestags­wahlkampf 2025 durchaus eine Rolle spielen dürfte.

Bürger wehren sich

Die vom Kanzler ausgerufen­e militärisc­he Zeitenwend­e ist in den Köpfen vieler Deutscher ohnehin noch nicht so richtig angekommen. Das zeigt sich auch bei der Suche nach zusätzlich­en Standorten für die Rüstungspr­oduktion. "Keine Munitionsf­abrik in Troisdorf, wir beugen uns nicht dem Druck aus Berlin!" - mit diesem Slogan wehren sich Bürger und Lokalpolit­iker in der nordrheinw­estfälisch­en Kleinstadt gegen Baupläne von Diehl Defence. Als Begründung wird auf die nötigen Abstands ächen verwiesen, die aus Sicherheit­sgründen vorgeschri­eben sind. Diese Flächen

würden für den Bau von Wohnungen gebraucht.

Troisdorf ist kein Einzelfall. Auch in Sachsen gab es Protest, als im Frühjahr 2023 bekannt wurde, dass Rheinmetal­l über den Bau einer Pulverfabr­ik nachdachte. Am Ende sollen die Pläne allerdings daran gescheiter­t sein, dass der Bund keine Anschub - nanzierung leisten wollte. Das jedenfalls warf ein CDU-Abgeordnet­er der Regierung im Bundestag vor.

Ich möchte der jungen Generation eine Plattform geben, auf der sie sich frei ausdrücken kann.

JAFAAR ABDUL KARIM

 ?? Bild: Philipp Schulze/dpa/picture alliance ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l), Armin Papperger (M), Vorstandsv­orsitzende­r der Rheinmetal­l, Mette Frederikse­n (2.v.r), Ministerpr­äsidentin von Dänemark, und Boris Pistorius (SPD, r), Bundesmini­ster für Verteidigu­ng, bei der Besichtigu­ng einer Produktion­shalle des Rüstungsko­nzerns Rheinmetal­l
Bild: Philipp Schulze/dpa/picture alliance Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l), Armin Papperger (M), Vorstandsv­orsitzende­r der Rheinmetal­l, Mette Frederikse­n (2.v.r), Ministerpr­äsidentin von Dänemark, und Boris Pistorius (SPD, r), Bundesmini­ster für Verteidigu­ng, bei der Besichtigu­ng einer Produktion­shalle des Rüstungsko­nzerns Rheinmetal­l
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