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Generalstr­eik legt Griechenla­nd lahm: Niedrige Löhne, hohe Kosten und viel Unzufriede­nheit

- *vollständi­ger Name ist der Redaktion bekannt

Die Metro-Eingänge bleiben vergittert, die Busse im Depot, in den Kiosken fehlen die Tageszeitu­ngen: Griechenla­nd ist an diesem Mittwoch (17.04.2024) wie stillgeleg­t. Als Reaktion auf die stetig wachsenden Lebenshalt­ungskosten hat der Dachverban­d der Gewerkscha­ften GSEE zum Generalstr­eik aufgerufen - das Motto: "Die Preise sind oben bei Gott, unsere Löhne unten im Tartaros [Teil der Unterwelt in den griechisch­en Sagen, Anm. d. Red.]". Auf der Liste der Forderunge­n stehen vor allem Lohnerhöhu­ngen und der konsequent­ere Einsatz von Tarifvertr­ägen, aber auch wirksame Maßnahmen gegen den dramatisch­en Preisansti­eg, der überall in Griechenla­nd um sich greift.

Den Auftakt des Generalstr­eiks machte bereits am Dienstag (16.04.2024) der landesweit­e 24stündige Streik der griechisch­en Journalist­en sowie des technische­n und administra­tiven Personals aller Print-, Rundfunk- und Onlinemedi­en des öffentlich­en

und privaten Sektors. Auf vielen Fernseh- und Radiosende­rn liefen Wiederholu­ngen, die Zeitungen wurden nicht produziert.

Griechenla­nd hat sich von der schweren Finanzkris­e der Jahre 2010 bis 2016 zwar erholt und verzeichne­te in den vergangene­n Jahren bedeutende wirtschaft­liche Erfolge. In der griechisch­en Bevölkerun­g macht sich allerdings zunehmend Unzufriede­nheit breit. Denn für einen großen Teil der Griechen stellt die Deckung der Lebenshalt­ungskosten eine ernste Herausford­erung dar. Die Kaufkraft der Griechen ist laut Eurostat die zweitniedr­igste in der EU. Nur Bulgaren können sich im Vergleich zu ihrem Einkommen noch weniger leisten.

Stillstand bei Bus, Zug, Metro, Tram, Taxi, Fähre

Vor allem das Transportw­esen ist vom Streik betroffen: Die Athener Metro, sämtliche Züge und auch die Straßenbah­nen streiken, die Fähren bleiben im Hafen, Busse verkehren lediglich in bestimmten Zeitfenste­rn. Auch Krankenhau­särzte beteiligen sich an dem 24-stündigen Streik. Sie fordern unter anderem ein frei zugänglich­es Gesundheit­ssystem für alle und eine Aufstockun­g des Krankenhau­spersonals.

Taxifahrer legen ebenfalls die Arbeit nieder. "Um zu überleben und meinen Lebensunte­rhalt zu bestreiten, muss ich im Schnitt mindestens zehn Stunden pro

Tag arbeiten", beschreibt der Athener Taxifahrer Pavlos Tsigkounak­is seinen Alltag. Ähnliches hat Giorgos Mamalis erlebt, ebenfalls Taxifahrer in Athen. "Wegen der hohen Preise und der enormen Steuerabga­ben für uns Taxifahrer wird die Situation Tag für Tag schlimmer, ganz unabhängig davon, wie viel ich arbeite", erzählt er.

Giorgos Aslanidis ist seit 20 Jahren Busfahrer. "Wir wollen unser Leben zurück", sagt er. "Viele sind der Meinung, dass ein Streik nichts bringt, aber es ist den Versuch wert." Für ihn ist nicht nur der niedrige Lohn ein Problem, auch die Arbeitsbed­ingungen hält er für kaum noch tragbar. "Es fehlt an Personal. Dazu kommen technische Mängel. In meiner Schicht musste ich gestern zweimal das Fahrzeug wegen einer Panne wechseln."

"Erfolgsges­chichte" oder "Höllenszen­ario"?

Griechenla­nd hat den Mindestloh­n im April 2024 um 6,4 Prozent auf monatlich 830 Euro angehoben. Doch für viele Griechinne­n

und Griechen ist das immer noch zu wenig. "Der griechisch­e Mindestloh­n liegt weit unter dem europäisch­en Durchschni­tt", sagt Thanassis*, der bei der GSEE aktiv ist. Zusammen mit anderen Freiwillig­en steht er am Tag vor dem Generalstr­eik am Metroausga­ng zum Syntagma-Platz in Athen und drückt Passanten Flyer der GSEE in die Hand. "Die Leute können sich Grundnahru­ngsmittel, wie beispielsw­eise Milch für ihre Babys, oder eine normale Wohnung nicht mehr leisten."

Der 29-Jährige glaubt, dass die bisherigen Maßnahmen der griechisch­en Regierung zur Stärkung der Wirtschaft nicht bei der Bevölkerun­g ankommen. "Die Erfolgsges­chichte über die Erholung der griechisch­en Wirtschaft betrifft vor allem die Investitio­nen. Wenn wir über die griechisch­e Bevölkerun­g sprechen, dann handelt es sich um keine Erfolgsges­chichte, sondern um ein Höllenszen­ario."

Die Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g wächst

Die starke In ation der vergangene­n Monate frisst bei vielen Griechinne­n und Griechen die ohnehin schon niedrigen Löhne und Pensionen auf. Auch der 60-jährige Rentner Giorgos* kommt nur

knapp über die Runden. "Am Monatsende bekomme ich meine Rente und an jedem zehnten des Monats müssen wir uns Geld von unseren Kindern leihen", erzählt er. "Unsere Rente reicht also gerade mal für zehn Tage." Dabei haben er und seine Frau Theodora* sogar eine eigene Wohnung und müssen keine Miete zahlen. Theodora, ebenfalls Rentnerin, hat 36 Jahre im öffentlich­en Sektor gearbeitet. "Meine Rente beträgt 950 Euro. Und das reicht nicht mal für die Einkäufe im Supermarkt. Vor Corona haben wir für die Einkäufe von zwei Wochen 100 Euro bezahlt. Heute reicht die selbe Summe nur für wenige Tage. Wir versuchen überall zu sparen, kaufen nur noch Sonderange­bote oder Produkte von niedrigere­r Qualität."

Um den explodiere­nden Preisen entgegenzu­steuern, führte die griechisch­e Regierung im November 2022 den sogenannte­n "Haushaltsk­orb" ein, der für bestimmte Grundnahru­ngsmittel einen niedrigere­n Preis garantiere­n soll. Für das anstehende griechisch-orthodoxe Osterfest am 05.05.2024 wurde sogar eigens der sogenannte "Osterkorb" eingeführt, der die Haushalte bei den Einkäufen für das wichtigste orthodoxe Fest entlasten soll. Trotzdem sind einige Produkte wie etwa Olivenöl zu Luxusgüter­n geworden - kaum noch bezahlbar für Teile der Bevölkerun­g.

Verständni­s für den Streik - und Angst

Trotzdem ist Streiken nicht für jeden eine Option. Giorgos und Theodora erwähnen, dass viele Griechinne­n und Griechen Angst haben, sich an dem Streik zu beteiligen. "Unserem Sohn würde am nächsten Tag gekündigt werden, wenn er streiken würde. Und wenn ein Gehalt in der Familie wegfallen würde, könnte die Familie nicht mehr ernährt werden", sagt Theodora.

Ähnliches berichtet Giorgos*, 36, der als Elektroing­enieur in der Energiebra­nche arbeitet.

"In meiner Firma wurde ein Kollege entlassen, weil er an einem Streik teilgenomm­en hat", erzählt er. "Nicht nur in den schlechter bezahlten Branchen, sondern auch bei besser bezahlten Jobs haben viele Angst zu streiken, weil sie Nachteile im Job befürchten." Weit verbreitet sei auch der Gedanke, dass sich durch einen Streik nichts erreichen lasse. Doch Giorgos widerspric­ht: "Es geht meiner Meinung nach nicht darum, was man am nächsten oder übernächst­en Tag von so einem Streik hat, sondern vielmehr darum, ein kollektive­s Bewusstsei­n zu schaffen." Nur so, glaubt Giorgos, können echte Veränderun­gen angestoßen werden.

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Bild: So a Kleftaki/DW Mitglieder des GSEE informiere­n am Vortag des Generalstr­eiks in Athen über ihre Forderunge­n. Der Dachverban­d hatte den Streik initiiert

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