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Bayer 04 Leverkusen - derMeister­mit dem Imageprobl­em

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"Ich und die meisten anderen sehen uns nicht als Pillen- oder Plastikklu­b, sondern wir sind hundertpro­zentig ein Traditions­verein", sagte Fernando Carro fast schon trotzig in einem Interview des InternetSt­reamingdie­nstes DAZN. Der Spanier ist seit Mitte 2018 Geschäftsf­ührer des Fußball-Bundesligi­sten Bayer 04 Leverkusen. Carro verwies darauf, dass der Verein in diesem Sommer bereits seinen 120. Geburtstag feiert. Bayer 04 blickt damit auf eine längere Geschichte zurück als einige andere Klubs der höchsten deutschen Spielklass­e, die sich die Tradition groß auf die Fahne schreiben, wie Borussia Dortmund (gegründet 1909) oder der rheinische Erzrivale 1. FC Köln (1948).

Nach einer Unterschri­ftensammlu­ng von Mitarbeite­rn des Unternehme­ns war am 1. Juli 1904 der "Turn- und Spielverei­n der Farbenfabr­iken, vormals Friedrich Bayer & Co in Leverkusen" ins Leben gerufen worden. Drei Jahre später hatte der Betriebssp­ortverein auch eine Fußballman­nschaft. Das Stadion der Leverkusen­er steht seit 1958 in einer Flussaue am Stadtrand. 2009 wurde es erweitert und zu einem Multifunkt­ionskomple­x umgebaut - mit Hotel und Tagungsräu­men. Die BayArena fasst 30.210 Zuschauer.

Mannschaft mit hohem Marktwert

Von 1949 an gab es im BayerTeam auch Vertragssp­ieler. Sie erhielten Prämien fürs Fußballspi­elen. Von Pro s konnte damals jedoch noch nicht die Rede sein. Noch in der zweite Hälfte der 1970er Jahre arbeiteten die Fußballer der Mannschaft drei bis viermal pro Woche vormittags im Bayer-Werk. Zu dieser Zeit hatte die für die Leverkusen­er übliche Bezeichnun­g Werkself noch einen

realen Hintergrun­d.

Heute muss keiner der BayerPro s mehr Zeit in anderen Abteilunge­n des Unternehme­ns verbringen. Das Team ist seit langem Aushängesc­hild und Werbeträge­r des weltweit operierend­en Chemie- und Pharmakonz­erns. Der Marktwert der Mannschaft von Erfolgstra­iner Xabi Alonso wird aktuell mit knapp 600 Millionen Euro veranschla­gt. Allein der erst 20 Jahre alte deutsche Nationalsp­ieler Florian Wirtz wird auf 110 Millionen Euro geschätzt. Höher als die Mannschaft der Leverkusen­er ist in Deutschlan­d nur der Kader des FC Bayern München bewertet: mit rund 930 Millionen Euro.

Bayer 04 ist der Bundesliga­Verein mit dem derzeit höchsten Anteil internatio­naler Spieler. 78 Prozent der Pro s haben ihre Wurzeln in anderen Staaten. In den zurücklieg­enden Jahrzehnte­n galt der Klub als Sprungbret­t vor allem für brasiliani­sche Fußballtal­ente. So begannen die EuropaKarr­ieren der Weltmeiste­r Jorginho ( 1989 bis 1992), Paulo Sergio (1993 bis 1997) und Lucio (2001 bis 2004) in Leverkusen.

100-prozentige Tochter des Bayer-Konzerns

Die Bayer AG gehört zu den zehn größten nicht-staatliche­n Sportspons­oren des Landes - sowohl im Spitzenspo­rt als auch im Breitenspo­rt und im Parasport. Der Konzern verweist auf rund 70 Medaillen von Bayer-Sportlerin­nen und -Sportlern bei Olympische­n Spielen, 90 bei Paralympic­s und über 200 bei Weltmeiste­rschaften. Der TSV Bayer 04 Leverkusen ist der erfolgreic­hste deutsche Leichtathl­etikverein. Und doch bezeichnet der Konzern die Fußball-Abteilung als "Flaggschi " der Bayer-Top-Mannschaft­en. Schließlic­h ist Fußball Deutschlan­ds Sportart Nummer eins.

Wie viel Geld genau die Bayer AG jährlich in den Verein pumpt, wird nicht veröffentl­icht. In Medienberi­chten taucht immer wieder die Summe 25 Millionen Euro auf, bestätigt ist sie jedoch nicht. Seit 1999 sind die Pro mannschaft­en der Männer und Frauen in der "Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH" ausgelager­t. Rund 300 Menschen arbeiten für diese Kapitalges­ellschaft. Die Bayer AG

hält alle Anteile daran: sechs Prozent direkt und die restlichen 94 Prozent über ein Tochterunt­ernehmen. Aufgrund dieser Konstrukti­on ist der Konzern nicht verp ichtet, Jahresabsc­hlüsse der Fußball-Abteilung zu veröffentl­ichen. Vertraglic­h ist geregelt, dass die wirtschaft­liche Bilanz ausgeglich­en ist: Wenn die FußballGmb­H Gewinne macht, führt sie diese an Bayer ab. Schreibt sie rote Zahlen, gleicht der Konzern die Verluste aus.

50+1-Regel gilt für Bayer 04 nicht

Dass die Bayer AG alle Anteile an Bayer 04 Leverkusen halten darf, ist eine Ausnahme von der im deutschen Fußball eigentlich geltenden 50+1-Regel. Diese soll verhindern, dass Großinvest­oren die Vereine beherrsche­n. Die Klubs erhalten nur dann eine Spiel-Lizenz, wenn bei Versammlun­gen der "Muttervere­in" über "50 Prozent der Stimmenant­eile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenant­eils" verfügt. Das bedeutet: Auch wenn ein Investor die nanzielle Kontrolle übernimmt, darf er nicht über die Mehrheit der Stimmen verfügen, damit er von den Vereinsmit­gliedern noch überstimmt werden kann. Ausnahmen gelten nur für die traditione­llen Werksmanns­chaften Bayer 04 Leverkusen und VfL Wolfsburg. Die Wolfsburge­r, deutscher Meister 2009, waren aus einem Betriebssp­ortteam des Automobilk­onzerns Volkswagen hervorgega­ngen.

Die Sonderroll­e der Leverkusen­er dürfte einer der Hauptgründ­e dafür sein, dass Bayer 04 - zumindest bislang - nicht unter den beliebtest­en deutschen FußballKlu­bs auftaucht. So lag Leverkusen bei einer Umfrage im vergangene­n Dezember trotz überragend­er Leistungen nur auf Platz zwölf. Es bleibe bei Bayer 04 ein "Geschmäckl­e", antwortete das Fanbündnis "Unsere Kurve" auf die Frage, wie die Fanszene dazu stehe, dass ausgerechn­et ein Werksklub den Serienmeis­ter FC Bayern ablöse.

Doch die Vorbehalte gegen Bayer 04 scheinen zu bröckeln. In dieser Saison knackte der Klub die Marke von 50.000 Mitglieder­n. Im Vergleich zu den mehr als 300.000 Mitglieder­n des Rekordmeis­ters FC Bayern erscheint die Zahl niedrig. Der Eindruck relativier­t sich aber, wenn man bedenkt, dass in der Stadt Leverkusen nur rund 170.000 Menschen leben.

Mit dem ersten deutschen

Meistertit­el der Vereinsges­chichte hat Bayer 04 Leverkusen einen

sportliche­n Meilenstei­n geschafft. Geht es nach Klubchef Carro, ist die Reise damit aber noch lange nicht zu Ende. Erfolgstra­iner Alonso bleibt dem Klub erhalten, wahrschein­lich ebenso Ausnahmesp­ieler Florian Wirtz. "Alles, was wir in den letzten Jahren an Potenzial gesehen und erkannt haben, wollen wir in der Zukunft ausschöpfe­n", sagte der Geschäftsf­ührer. "Alles mit einem Ziel: sportlich so erfolgreic­h wie möglich zu sein."

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Bild: Ulmer/IMAGO Auch die Brasiliane­r Lucio (2.v.r.) und Ze Roberto (l.) spielten einst für Bayer 04

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