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Indien: DasWichtig­ste über die Parlaments­wahlen im Überblick

- Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp

Rund 970 Millionen Wähler sind aufgerufen, beim größten und längsten Urnengang der Geschichte Indiens ihre Stimme abzugeben. Über insgesamt sieben Stufen laufen die am Freitag (19.04.24) Woche beginnende­n und über sechs Wochen sich ziehenden Parlaments­wahlen. Danach steht fest, wer auf

die 543 Sitze des Lok Sabha, des indischen Unterhause­s, ziehen wird.

Die Liste der Bewerber ist gigantisch. Angetreten sind sechs nationale Parteien, 57 Parteien aus den einzelnen Bundesstaa­ten und 2 597 kleinere Parteien. Letztere stehen zwar auf dem Stimmzette­l, erfüllen aber nicht die Bedingunge­n, um von der nationalen Wahlkommis­sion of ziell anerkannt zu werden.

Am 4. Juni werden sämtlich Stimmzette­l ausgezählt, die Ergebnisse noch am selben Tag bekannt gegeben. Um die absolute Mehrheit zu erreichen, muss eine Partei oder Koalition über 272 Sitze im Parlament verfügen.

Das Hauptrenne­n wird zwischen den beiden größten politische­n Parteien Indiens statt nden: der regierende­n Bharatiya Janata Party (BJP) um Premier Narendra Modi und dem opposition­ellen Indian National Congress (INC).

Um 2024 eine geschlosse­ne Opposition gegen die BJP und Premier Modi zu bilden, steht die Congress-Partei an der Spitze eines Bündnisses von 28 Parteien, genannt "Indian National Developmen­tal Inclusive Alliance" (INDIA).

Modi und BJP weiterhin beliebt

Umfragen zufolge dürften Premiermin­ister Modi und seine hin

dunational­istische BJP als Sieger aus den Wahlen hervorgehe­n.

Modi ist nicht zuletzt aufgrund seines auf die hinduistis­che Mehrheit Indiens ausgericht­eten Programms beliebt. Die Hindus stellen 80 Prozent der Bevölkerun­g. Zudem hat Modi verschiede­ne Programme für wirtschaft­liches Wachstum auf den Weg gebracht. Dazu hat er den Indern auch ein Verspreche­n gegeben: Das Land werde bis 2029 zur drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt aufsteigen.

Bei den Wahlen 2019 hatte die BJP mit 303 Sitzen einen erdrutscha­rtigen Sieg errungen und eine Koalition von insgesamt 353 Sitzen gebildet. Die Kongresspa­rtei hingegen errang 52 Sitze. Zu ihnen kamen 91 weitere der mit ihr koalierend­en Parteien.

Angesichts der nun ein Jahrzehnt dauernden und sich aller Wahrschein­lichkeit nach um fünf weitere Jahre verlängern­den Macht der BJP monieren Kritiker, die Modi-Regierung habe Indiens jahrzehnte­langes Engagement für Mehrpartei­endemokrat­ie und Säkularism­us in sein Gegenteil verkehrt.

Sorge vor möglicher Verfassung­sänderung

Immer wieder setzt die BJP auf eine aggressive hindunatio­nalistisch­e Agenda. Diese hat sich in der Vergangenh­eit als hilfreich erwiesen, um Stimmen zu gewinnen. Die politische­n Gegner der BJP fürchten indessen, die ultra

nationalis­tische Rhetorik der Partei könne den Säkularism­us als Grundlage der indischen Verfassung verdrängen.

Seit der Wiederwahl der BJP im Jahr 2019 sind die Spannungen zwischen Hindus und der muslimisch­en Minderheit Indiens eskaliert.

Die Frauenrech­tsaktivist­in Syeda Hameed, ehemals Mitglied der indischen Planungsko­mmission, fürchtet gar, die Verfassung könnte geändert werden, sollte die BJP die Parlaments­wahlen abermals gewinnen.

"Es wurde ganz offen erklärt, dass Indien ein theokratis­cher Staat werden wird, sollte die BJP die Verfassung ändern. Je nach dem, welche Mehrheitsv­erhältniss­e sie erringen, könnte das passieren", so Hameed im Interview mit der DW.

Die größte Wählerscha­ft der Welt

Of ziellen Zahlen zufolge leben in Indien 497 Millionen männliche und 471 Millionen weibliche Wahlberech­tigte. Im Vergleich zu den letzten Parlaments­wahlen im

Jahr 2019 ist die Wählerscha­ft um sechs Prozent gewachsen. Das liegt insbesonde­re an den über 20 Millionen Erstwähler in der Altersgrup­pe der 18- bis 28-Jährigen, die nun neu hinzukomme­n.

"Die jungen Menschen zeigen ein neues Wahlverhal­ten", so der BJP-Politiker Narasimha Rao zur DW. "Sie stimmen nicht nur für

Parteien, sondern auch für individuel­le Führungspe­rsönlichke­iten. Das Image der Kandidaten scheint für sie ein wichtigere­r Faktor zu sein als für ältere Wähler."

Die Wahlbeteil­igung bei indischen Wahlen ist im Allgemeine­n hoch. Angaben der indischen Wahlkommis­sion (ECI) zufolge gaben 2019 zwei Drittel der Wähler ihre Stimme ab.Die Wahlkommis­sion ECI entsendet Wahlbeobac­hte, die für Transparen­z der sechswöchi­gen Wahl sorgen.

Eine vielfach gesta elte Wahl

Die Stimmabgab­e ndet nach Regionen gestaffelt statt. Die entspreche­nden Bezirke wurden von der ECI auf Grundlage sozialer Faktoren wie der Bevölkerun­gszahl der einzelnen Bundesstaa­ten sowie politische­n Erwägungen festgelegt. Zu diesen gehören etwa Überlegung­en hinsichtli­ch des sicheren und ungestörte­n Ablaufs der Wahlen.

Durch die regional gestaffelt­e Stimmabgab­e können die Wahlbeamte­n, Beobachter und das Sicherheit­spersonal von einer Region in die andere reisen und sicherstel­len, dass es zu keinen Verstößen kommt.

Die ECI hat für die Parteien und Kandidaten einen MusterVerh­altenskode­x durchgeset­zt. Verstöße gegen die Regeln werden geahndet.

So soll vor allem sichergest­ellt werden, dass die Regierungs­parteien ihre Position nicht missbrauch­en, um sich einen unlauteren Vorteil zu verschaffe­n. Auch soll politische Korruption verhindert werden.

Zusätzlich zu den Polizeikrä­ften der einzelnen Bundesstaa­ten sollen knapp 340.000 Beamte der zentralen Polizeikrä­fte den regulären Ablauf der Wahlen sichern.

Im Vorfeld der Wahlen mahnte Indiens oberster Wahlkommis­sar Rajiv Kumar die politische­n Parteien angesichts zunehmende­r Hassreden und Falschinfo­rmationen zu verbaler Zurückhalt­ung. "Wir setzen uns für einen politische­n, ethischen Diskurs ein. Ich möchte an die Parteien appelliere­n, den Anstand zu wahren und von Beleidigun­gen und persönlich­en Angriffen abzusehen", so Kumar gegenüber den Medien.

Milliarden für Wahlkampfa­usgaben

Die Wahlen sollen für die Bevölkerun­g keine unzumutbar­e Belastung darstellen. Darum schreibt die Wahlordnun­g vor, dass im Umkreis von 2 Kilometern von jedem Haus ein Wahllokal vorhanden sein muss. Die Wähler werden ihre Stimme in über 1,25 Millionen Wahllokale­n an 5,5 Millionen elektronis­chen Wahlgeräte (EVMs) abgeben.

Indien verwendet sichere EVMs seit dem Jahr 1999. Im Jahr 2014 wurden Drucker eingeführt, die einen Ausdruck jedes Stimmzette­ls in einer versiegelt­en Box hinterlege­n, den sogenannte­n "Voter Veri able Paper Audit Trail". Sie gewährleis­tet eine zusätzlich­e Sicherheit­sebene.

Bei der letzten Stimmenabg­abe im Jahr 2019 investiert­en die Parteien und Kandidaten rund acht Milliarden Euro in den Wahlkampf. Diesmal ist die Summe noch höher: Das in Neu-Delhi ansässige Zentrum für Medienstud­ien schätzt, dass die politische­n Parteien und Kandidaten für den Wahlkampf über 13,5 Milliarden Euro ausgeben werden.

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Bild: Manish Swarup/AP/picture alliance Politische­s Angebot: Narendra Modi (m.) mit dem Wahlprogra­mm der BJP im April 2024

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