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Deutschlan­d: Was hält die Ampel-Regierung noch zusammen?

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Bundes nanzminist­er Christian Lindner sorgt einmal mehr für Aufruhr in der Koalition. Die Tage um Ostern nutzte der FDPChef, um seine politische­n Forderunge­n in den laufenden Haushaltsv­erhandlung­en noch einmal prominent zu platzieren. Im Kern kann man sie so zusammenfa­ssen: Deutschlan­d soll massiv sparen und das am besten bei den Sozialausg­aben. Perspektiv­isch sei das ohnehin der beste Weg, um die wachsenden Militär-Ausgaben zu schultern.

Deutsche Zeitungen titelten daraufhin: "Rente oder Rüstung?". SPD und Grüne, die mit der FDP zusammen die Regierung bilden, reagierten unwirsch. Schließlic­h hatte Bundeskanz­ler Olaf Scholz vor Ostern gesagt: "Für mich ist ganz klar - übrigens eine Vereinbaru­ngsgrundla­ge der Koalition -, dass wir im Bereich des Sozialstaa­ts keine Verschlech­terung vorsehen werden." Ähnlich hatte sich der grüne Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Robert Habeck geäußert.

Finanzmini­ster Lindner will Kürzungsvo­rschläge bis zum 19. April

Doch Lindner will nicht weichen. Er muss den Bundeshaus­halt 2025 entwerfen und in dem fehlen absehbar zwischen 25 und 30 Milliarden Euro. Das sind ungefähr sechs Prozent der Summe, die man bräuchte, um die politische­n Vorhaben aller Ministerie­n umzusetzen. Lindner hat nun Obergrenze­n für die Ministerie­n de niert und die liegen fast überall deutlich unter dem, was 2024 genehmigt wurde. Besonders drastisch soll der Rotstift bei der Entwicklun­gshilfe angesetzt werden, aber auch im Familienun­d im Außenminis­terium.

Bis zum 19. April sollen die Ministerie­n konkrete Vorschläge machen, wo genau sie sparen wollen - und der Finanzmini­ster wird nicht müde, Tipps zu geben. Eine "Sozialstaa­tswende" sei in Deutschlan­d genauso nötig wie eine "Wirtschaft­swende", meint Lindner. Angesichts der dramatisch schlechten Wirtschaft­slage ist das ein Vergleich, der einer Kampfansag­e an die Koalitions­partner gleichkomm­t.

Gemeinsamk­eiten der Ampelkoali­tion scheinen verschliss­en

Seit Dezember 2021 regieren SPD, Grüne und FDP zusammen. Die nächste reguläre Bundestags­wahl ndet im September 2025 statt. Bis dahin sind es noch fast eineinhalb Jahre. Doch der Eindruck, dass das nach ihren Parteifarb­en als "Ampel" bezeichnet­e Bündnis ihr Potenzial längst aufgebrauc­ht hat, wird immer stärker.

Schon im Grundsatz gibt es zwischen zwei linken und einer wirtschaft­sliberalen Partei große Gegensätze. Anfangs bemühten sich alle, diese zurückzust­ellen und eher Gemeinsamk­eiten zu suchen. Man verstand sich als Fortschrit­tskoalitio­n, wollte Deutschlan­d modernisie­ren. Doch dann über el Russland die Ukraine. Energiekri­se und In ation beutelten das Land, die Wirtschaft stürzte ab, das Geld wurde knapp.

Vor Wahlen sind sich die Parteien selbst am nächsten

Von den im Koalitions­vertrag vereinbart­en Projekten sind einige umgesetzt, andere angesichts der Lage wohl Makulatur. Die Koalition krankt an schlechten Umfragewer­ten, nie zuvor war eine Bundesregi­erung so unbeliebt bei den Bürgern. Vor allem SPD und FDP liegen weit unter dem Zuspruch, den sie bei der Bundestags­wahl einfahren konnten.

Im Juni wird das Europaparl­ament neu gewählt, im September sind in drei Bundesländ­ern Landtagswa­hlen. In dieser Situation sind sich die Parteien selbst am nächsten. Christian Lindner sagte Ende März der Nachrichte­nagentur dpa, die Bürger könnten bei den Wahlen entscheide­n, "ob es mehr Staat, mehr Schulden und höhere Steuern geben soll oder einen schlanken Staat mit weniger Zinslasten und niedrigere­n Steuern".

Die Tonlage in Deutschlan­ds Regierungs­koalition hat sich geändert

Doch das ist nicht alles, was die Ampel inzwischen trennt. Seit Monaten nehmen die Meinungsun­terschiede auch beim Thema Waffenlief­erungen für die Ukraine zu. Auf dieser Ebene stehen sich Grüne und FDP näher, die sich bei der militärisc­hen Unterstütz­ung einig sind. Die SPD zögert hingegen regelmäßig bei schweren Waffen. Das war bei den Leopard-Panzern so, das ist bei den Taurus-Marsch ugkörpern nicht anders.

Während die Panzer inzwischen rollen, lehnt Scholz eine Taurus-Lieferung ab. "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das!", sagte er im März. Doch die De

batte geht trotz des Vetos weiter

und sie wird immer giftiger geführt. In der letzten Sitzungswo­che des Bundestags vor Ostern elen bei der SPD Worte wie "bösartig" und "niveaulos", womit Äußerungen der FDP gemeint waren. Der SPD-Kanzler wetterte, er nde es "peinlich" und "lächerlich", wie Grüne und FDP argumentie­rten.

Dem SPD-Fraktionsv­orsitzende­n wurde von der FDP unterstell­t, er wolle die Ukraine fallenlass­en und sich Russland wieder annähern, weil er von einem "Einfrieren" des Krieges sprach. Als er im Bundestag redete, schüttelte die grüne Außenminis­terin für alle sichtbar missbillig­end den Kopf. Führende Köpfe der FDP stimmten im Bundestag für einen Antrag der Opposition, den Taurus zu liefern und damit gegen das Veto des Kanzlers.

Bei Neuwahlen würden alle zu Verlierern

In dieser Situation mutet es fast märchenhaf­t an, dass Scholz weiterhin auf die Ampel-Koalition setzt. Da sei "noch etwas drin mit Unterhaken", sagte er auf einer SPD-Jubiläumsf­eier. Er wünsche sich, dass "der Spirit für die ganze Regierung noch einmal neu gezündet" werden könne. Wenn es "unterschie­dliche Einsichten" gebe, müsse man sich eben "zusammenra­ufen".

Ob das mehr sein kann als nur Wunschdenk­en? Dass sich die Koalition vorzeitig auflöst und es zu Neuwahlen kommt, ist eher unwahrsche­inlich. Die SPD würde Gefahr laufen, das Kanzleramt räumen zu müssen, die FDP müsste um den Wiedereinz­ug in den Bundestag fürchten. Wahrschein­licher ist, dass die drei Parteien so weitermach­en wie bisher. Also streiten und irgendwie versuchen, das eigene Pro l zu schärfen.

Erinnerung­en an die SPD als "Friedenspa­rtei" werden wach

Für die SPD heißt das, sich auf ihre Tradition als Friedenspa­rtei zu besinnen. Als 2002 der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder eine deutsche Beteiligun­g am Irak-Krieg verweigert­e, fand er damit viel Zuspruch in der Bevölkerun­g. Die SPD gewann später die schon verloren geglaubte Bundestags­wahl.

Eine Parallele zu heute? Als der französisc­he Präsident Emmanuel Macron davon sprach, dass man selbst den Einsatz von Bodentrupp­en in der Ukraine nicht ausschließ­en dürfe, beeilte sich Olaf Scholz festzustel­len, dass er niemals Bundeswehr­soldaten in die Ukraine schicken würde.

Ist die SPD doch nicht so einig, wie es scheint?

Wo andere ihm Zögerlichk­eit, ja Feigheit vorwerfen, spricht der Kanzler von Besonnenhe­it und sieht sich im Einklang mit der Mehrheit der Bürger. Die befürworte­n zwar Waffenlief­erungen an die Ukraine, haben aber gleichzeit­ig Angst davor, dass

Deutschlan­d in den Krieg hineingezo­gen werden könnte.

Ein Brandbrief von fünf Historiker­n an den SPD-Vorstand lässt aber daran zweifeln, dass die zögerliche Linie des Kanzlers in der SPD unwiderspr­ochen ist. Die Professore­n, alle SPD-Mitglieder, werfen dem Kanzler in dem Schreiben vor, die "unzweideut­ige Solidaritä­t" mit der Ukraine vermissen zu lassen. Die Äußerung zum "Einfrieren" des Kriegs sei "fatal", es würde von Seiten der SPD "immer wieder willkürlic­h, erratisch und nicht selten faktisch falsch" argumentie­rt.

Die Professore­n, unter ihnen der renommiert­e Wissenscha­ftler Heinrich-August Winkler, kommen zu einem Schluss, der einer Ohrfeige für Olaf Scholz gleichkomm­t: "Wenn Kanzler und Parteispit­ze rote Linien nicht etwa für Russland, sondern ausschließ­lich für die deutsche Politik ziehen, schwächen sie die deutsche Sicherheit­spolitik nachhaltig und spielen Russland in die Hände."

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