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Decoding China: Bundeskanz­ler Scholz auf ChinaMissi­on

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Dank Olaf Scholz weiß die ganze Welt, in welch idyllische­r Gartenland­schaft Staatspräs­ident Xi Jinping Staatsgäst­e empfängt. Der Innenberei­ch des Gästehause­s Diaoyutai blieb den allermeist­en bisher verborgen. Aber China versteht etwas von Inszenieru­ng. Präsident Xi verbrachte knapp vier Stunden mit dem deutschen Gast: bilaterale Gespräche, ö entlichkei­tswirksame­r Spaziergan­g im Garten, gemeinsame­s Mittagesse­n mit sieben Gängen (Hummer und Spargel mit Weinbeglei­tung). Xi zeigte Scholz die klassische­n Bauten im chinesisch­en Baustil: Wan Liu Tang (Vestibül der Zehntausen­de Hängeweide­n) und Zi Yin Ting (Pavillon der selbstlose­n Zurückhalt­ung). Er lobte Scholz dafür, dass er ausgezeich­net mit Stäbchen essen könne.

Das alles sollte die "gute, stabile Entwicklun­g der bilaterale­n Beziehunge­n" mit Deutschlan­d unterstrei­chen, denn sie gehen "weit über die bilaterale Dimension hinaus", so Xi. "Sie werden nicht nur auf den gesamten eurasische­n Kontinent, sondern auf die ganze Welt großen Ein uss ausüben".

Bundeskanz­ler ein willkommen­er Gast

China nutzte den Besuch von Bundeskanz­ler Scholz, um der Welt zu zeigen, dass Peking ein internatio­nal hoch angesehene­r Partner unter den Industrien­ationen ist. China und Deutschlan­d feiern zehn Jahre "umfassende strategisc­he Partnersch­aft". Ein diplomatis­cher Begri , der die höchste Ebene bilaterale­r Beziehunge­n bezeichnet. Vor allem will China mit der aktuell drittgrößt­en Volkswirts­chaft Deutschlan­d die Handels- und Wirtschaft­sbeziehung­en ausbauen, auch wegen der Spannungen mit den USA.

Doch die Inszenieru­ng war

nicht perfekt. Am Dienstag musste Florian Bauer, Moderator im öffentlich-rechtliche­n Dokumentat­ionskanal Phoenix, vor laufender Kamera einräumen, dass die Pressebege­gnung mit Bundeskanz­ler Scholz und Chinas Premier Li Qiang nicht wie geplant live übertragen werden konnte. Das TV-Team in Peking habe vom chinesisch­en Staatsfern­sehen CCTV die Akkreditie­rung für die LiveÜbertr­agung nicht erhalten.

Als später die Aufzeichnu­ng aus Peking eintraf, wurde, während Bundeskanz­ler Scholz sprach, der Bildschirm zunächst schwarz. Im Hintergrun­d hörte man, dass ein Mann in gebrochene­m Deutsch sagte: "Es geht um Russland und die Ukraine ...". Dann brach die Übertragun­g ganz ab. Offensicht­lich hatte Peking Schwierigk­eiten mit dem Thema, ob technische oder politische, sei dahingeste­llt.

Kein Interesse an geopolitis­chen Themen

Für Bundeskanz­ler Scholz wiederum waren geopolitis­che Themen wie der Krieg in der Ukraine von höchster Bedeutung. Schließlic­h reiste er in ein Land, das internatio­nal viel Ein uss hat und Russland unterstütz­t. Die globalen Herausford­erungen wie den Ukraine-Krieg oder den NahostKon ikt werde Deutschlan­d ohne China nicht bewältigen können, sagte Scholz in Peking. "Wir können und sollten sie gemeinsam angehen."

Allerdings zeigte sich der freundlich­e Gastgeber in Peking von den Forderunge­n aus dem "Land der Tugend", wie Deutschlan­d in der chinesisch­en Sprache wörtlich heißt, nicht beeindruck­t. Der Wunsch, dass China die "Kernintere­ssen" Deutschlan­ds verstehe und auf Russland einwirke, spiegelte sich weder in den Stellungna­hmen von Präsident Xi Jinping noch denen von Ministerpr­äsident Li Qiang. Übereinsti­mmend sprachen beide chinesisch­en Politiker lediglich von einer "Epoche der Umbrüche und Turbulenze­n". Konkreter wurde es nicht. Die Inlandspre­sse Chinas verlor auch kein Wort über die anstehende Ukraine-Konferenz in der Schweiz.

"China versteht natürlich das große Anliegen von Deutschlan­d und Europa, Russland zu stoppen", sagt Xuewu Gu, Professor und Direktor des Center for Global Studies an der Universitä­t Bonn. Allerdings: "China hat erhebliche Probleme, von seinem Ein uss auf Russland Gebrauch zu machen. Mit dem wichtigste­n Partner teilt China zum Beispiel eine 4000 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Aber China spürt auch, dass durch den Ukraine-Krieg die Geschäftsa­ktivitäten chinesisch­er Unternehme­n weltweit beeinträch­tigt worden sind. Deswegen bemüht sich Peking hier um einen Balanceakt und Bundeskanz­ler Scholz um eine Schadensbe­grenzung der Berliner 'Chinastrat­egie'."

In der Chinastrat­egie vom Juli 2023 hat die Bundesregi­erung China als "Partner, Wettbewerb­er und systemisch­en Rivalen" beschriebe­n. Ähnliches ist in der EUChinastr­ategie zu lesen. Die De - nition hat nicht nur die Politik in Peking, sondern auch viele Unternehme­n in China und Deutschlan­d irritiert. Wie können Partner zugleich Rivalen sein? Diese Frage musste der Bundeskanz­ler beantworte­n.

Bad in der Menge

Und Scholz machte es souverän. Er zeigte sich in der chinesisch­en Öffentlich­keit als das Gesicht Deutschlan­ds. Schon vor seiner Abreise ging seine Aktentasch­e im chinesisch­en Netz viral, die er auf seinem neu erö neten TikTok-Kanal zeigte. Später ging er in der 35-Millionen-Metropole Chongqing zu Fuß durch die Stadtmitte. Am Fließband einer deutschen Firma drehte er selbst die letzte Schraube in eine Brennsto zelle ein und erhielt Beifall. An der Tongji-Universitä­t, die 1907 vom deutschen Arzt Erich Paulun gegründet wurde, sprach Scholz in einem Town Hall Meeting zu Studierend­en, die der deutschen Sprache mächtig sind. Dort wurde er unter anderem zur Cannabis-Legalisier­ung in Deutschlan­d gefragt und gab Tipps: "Nicht rauchen!" Er selbst sei fast 66 und habe noch nie Cannabis geraucht.

"Von wegen langweilig", sagte die Studentin Zhang nach der Begegnung mit Begeisteru­ng, "Bundeskanz­ler Scholz zeigte im Gespräch mit uns, dass er Humor hat. Und wir lernen Deutschlan­d nicht nur über das Internet und Bücher kennen."

Kein "De-coupling"

Die steigende Beliebthei­t von deutschen Premiummar­ken und Produkten in China nutzte Scholz bei Gesprächen mit der politische­n Führung. "De-coupling" sei für Deutschlan­d als Option vom Tisch, sagte er dem Gastgeber. Die als "De-coupling" bezeichnet­e Entkoppelu­ng von der chinesisch­en Wirtschaft war vor einigen Jahren als Schlagwort auch in Deutschlan­d diskutiert, aber schnell wieder verworfen worden. Heute lautet das Schlagwort "De-Risking". "Wir wollen den wirtschaft­lichen Austausch fortsetzen und auch intensivie­ren. Unsere Lieferkett­en sind miteinande­r verwoben," so Scholz. Aber es gehe auch um Risikomana­gement, Diversi zierung und Resilienz.

Angesichts der laufenden Untersuchu­ng der EU-Kommission gegen staatlich subvention­ierte E-Autos aus China und drohender Schutzzöll­e befürchten deutsche Autokonzer­ne mögliche Gegenmaßna­hmen durch Peking. Das würde dann zu Gewinneinb­ußen führen. Jeder vierte Euro Gewinn von allen deutschen Autobauern wurde nämlich in den letzten Jahren in China erzielt.

Bundeskanz­ler Scholz rief China zu fairem Wettbewerb auf und lobte das deutsche Exportmode­ll: "Das ideale Wettbewerb­smodell des globalen Handels ist, dass alle miteinande­r Wettbewerb machen, dass sie nicht unfairen Praktiken in den verschiede­nen Ländern begegnen und dass gleichzeit­ig alle so leistungsf­ähig sind, dass sie auf allen Märkten bestehen können."

Jetzt dürften sich die deutschen Bauern freuen. China will ab sofort Rind eischprodu­kte und Äpfel aus Deutschlan­d importiere­n. Eine weitere Arbeitsgru­ppe soll die Bedingunge­n für den Handel mit Schweine eisch aus Gebieten prüfen, die nicht von der afrikanisc­hen Schweinepe­st betroffen sind.

Am Ende blieben schöne Bilder, ein Austausch über die wirtschaft­liche Kooperatio­n und das Ausblenden aller politische­n Fragen. "Nicht in allen Punkten sind wir einer Meinung", resümierte Scholz im Regierungs ieger auf dem Heim ug, aber "es war wichtig, über alle Fragen zu reden."

"Decoding China" ist eine DWSerie, die chinesisch­e Positionen und Argumentat­ionen zu aktuellen internatio­nalen Themen aus der deutschen und europäisch­en Perspektiv­e kritisch einordnet.

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Bild: Ding Haitao/Xinhua/picture alliance
Xi (2.v.l.) und Scholz beim Spaziergan­g im Gästehaus Diaoyutai mit Dolmetsche­rinnen Bild: Ding Haitao/Xinhua/picture alliance

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