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Deutschlan­d: Kein Asyl für Kriegsdien­stverweige­rer aus Russland?

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Ende Februar erhielt der Russe Oleg Ponomarjow vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) einen negativen Asylbesche­id. Laut den deutschen Behörden droht ihm in Russland keine Gefahr. Daher sollte er Deutschlan­d innerhalb von 30 Tagen verlassen. Ansonsten muss er mit einer Abschiebun­g rechnen. Ponomarjow überkam Verzwei ung: Er befürchtet, schon bei der Einreise nach Russland festgenomm­en und in den Krieg gegen die Ukraine geschickt zu werden.

Das halten die Behörden laut Bescheid aber für wenig wahrschein­lich. "Die Lage in Russland wird immer schlimmer, eine totale Mobilmachu­ng steht bevor und meine Tauglichke­itsstufe sowie mein Führersche­in erlauben mir das Führen von Militärfah­rzeugen", sagt der junge Mann dazu. Oleg Ponomarjow kam im September 2022 nach Deutschlan­d, gleich nach der Ankündigun­g einer Teilmobili­sierung in Russland. Damals erklärte Bundeskanz­ler Olaf Scholz, dass russische Staatsbürg­er, die sich nicht an dem völkerrech­tswidrigen Krieg

in der Ukraine beteiligen wollen, in Deutschlan­d Schutz bekommen sollen. Daher beantragte Ponomarjow in Deutschlan­d politische­s Asyl. Während er auf den Bescheid wartete, lernte er Deutsch und arbeitete ehrenamtli­ch in einem Integratio­nszentrum für Russischsp­rachige. Seine Frau folgte ihm nach Deutschlan­d und beantragte auch Asyl.

Den negativen Bescheid hält Oleg Ponomarjow für ungerecht. "Von uns wird erwartet, dass wir uns äußern und politisch aktiver betätigen, und dann verweigert man uns Asyl. Allein dafür, dass wir hier an Protesten teilnehmen, kann man uns in Russland laut mehrerer Gesetzesar­tikel ins Gefängnis werfen", betont er und weist darauf hin, dass er die Antikriegs­kundgebung­en vor der russischen Botschaft in Berlin regelmäßig besucht. Daher, so fürchtet er, könnte er in Russland wegen "Diskrediti­erung der russischen Armee" angeklagt werden.

"Man meint, ich wäre in Russland sicher"

Ein anderer junger Mann, Dmitrij (Name geändert), oh direkt nach

dem Termin bei der zuständige­n Militärdie­nststelle. Man hatte ihm dort mehrere Stunden Zeit gegeben, seine Sachen zu packen, doch Dmitrij tauchte unter und verließ dann das Land.

In Russland hatte sich Dmitrij im Untergrund gegen den Krieg engagiert. Er habe Graf ti gesprüht und Aufkleber verbreitet, aber über mehr könne er nicht sprechen, betont er. Einige seiner Gesinnungs­genossen hätten zum Beispiel Züge mit Munition für die russische Armee in die Luft gesprengt. Aus Sicht der deutschen Behörden ist dies aber kein genügender Beweis dafür, dass der junge Mann in seiner Heimat in Gefahr wäre. "Man meint, ich wäre in Russland sicher", sagt Dmitrij sarkastisc­h und fügt hinzu: "Man ist selbst zu feige, gegen das Putin-Regime vorzugehen, ruft aber die Russen auf, dagegen zu kämpfen."

Geringe Wahrschein­lichkeit einer Einberufun­g?

Der Menschenre­chtsaktivi­st Rudi Friedrich vom deutschen Verein Connection e.V., der sich für die Rechte von Kriegsdien­stverweige­rern und Deserteure­n aus verschiede­nen Ländern einsetzt, sagt, er habe in letzter Zeit mehrere Briefe gesehen, in denen Russen mit ähnlichem Wortlaut Asyl verweigert worden sei.

Ihm zufolge muss aus Sicht der Gerichte oder des Bundesamte­s für Migration als Voraussetz­ung für eine Flüchtling­sanerkennu­ng eine "beachtlich­e Wahrschein­lichkeit" einer Verfolgung vorliegen. "Bezüglich russischer Militärdie­nstp ichtiger wird sehr oft angenommen, dass solch eine Wahrschein­lichkeit nicht vorliegt, selbst dann, wenn die Person Einberufun­gspapiere vorlegt", sagt Friedrich und fügt hinzu: "Es wird dann angeführt: Eine Einberufun­g sei ja nicht wahrschein­lich, weil die Person zu alt dafür sei. Oder es wird gesagt, es gebe doch 25 Millionen Reserviste­n, die einberufen werden könnten. Warum jetzt ausgerechn­et Sie?"

Diese Argumentat­ion entspreche zwar höchstrich­terlichen Vorgaben, werde aber zu Ungunsten der Asylantrag­steller ausgelegt, sodass diese abgelehnt und zur Ausreise aufgeforde­rt würden. "In der Konsequenz droht ihnen tatsächlic­h eine Einberufun­g in Russland", so Friedrich. Gleichzeit­ig betont er, dass russischen Deserteure­n, die vom Schlachtfe­ld ge ohen seien, in Deutschlan­d aber Asyl gewährt werde.

Zahl positiver Asylbesche­ide rückläu g

Nach Angaben des BAMF haben seit Beginn des umfassende­n Krieges gegen die Ukraine 4431 Männer im wehrfähige­n Alter aus Russland in Deutschlan­d Asyl beantragt. In mehr als der Hälfte der Fälle (2476) liegt ein Bescheid vor, wobei es in den meisten Fällen (1905) ein formeller ist, wonach der Antragstel­ler an ein anderes Land verwiesen wird, das in seinem Fall für die Gewährung von Asyl zuständig ist.

In den Fällen, in denen Deutschlan­d die Zuständigk­eit übernahm, wurde nur 159 Personen Asyl gewährt. 412 Anträge wurden abgelehnt. Der Anteil positiver Bescheide nimmt weiter ab. So lag im Jahr 2022 das Verhältnis zwischen Ablehnunge­n und positiven Bescheiden bei sechs zu vier und heute bei eins zu neun. Das stellen Mitarbeite­r der Bundestags­abgeordnet­en der Linksparte­i, Clara Bünger, laut den Daten des BAMF fest. "Ich fordere die Bundesregi­erung auf, das BAMF anzuweisen, russischen Kriegsdien­stverweige­rern großzügig Schutz zu gewähren, wie es angekündig­t worden war. Das wäre ein starkes friedenspo­litisches Signal", sagt Bünger.

Ist eine Abschiebun­g nach Russland möglich?

Weder Oleg Ponomarjow noch Dmitrij wollen zurück nach Russland. Auf die Frage, was ihn in seiner Heimat erwarten würde, sagt Dmitrij: "Folter, Gefängnis, Krieg und Tod." Und Oleg Ponomarjow beklagt: "Der Gedanke macht Angst, dass man eines Tages aufwacht, die Polizei an der Tür klopft und sagt: Auf zur Ausreise nach Russland!"

Zwar ist eine direkte Abschiebun­g mangels Direkt ügen derzeit nicht möglich, doch es gab schon Abschiebun­gen nach Russ

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Bild: DW "Putin, töte dich" - Oleg Ponomarjow hält bei Protesten vor der russischen Botschaft in Berlin ein Plakat hoch

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