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Rassismus bei der Polizei: Was tut Deutschlan­d dagegen?

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Seine Amtsbezeic­hnung klingt bürokratis­ch: Polizeibea­uftragter des Bundes. Uli Grötsch heißt der Mann, der im März 2024 vom Parlament in das frisch gescha ene Amt gewählt worden ist. Sein Mandat als Abgeordnet­er des Deutschen Bundestags hat der Sozialdemo­krat niedergele­gt, denn er soll und will seinen neuen Job unabhängig ausüben. Das bedeutet: Er ist weder in polizeilic­he Strukturen eingebunde­n noch in die des Innenminis­teriums, das für die Sicherheit in Deutschlan­d zuständig ist.

Grötsch war selbst 21 Jahre lang Polizist. Nun ist er Anlaufund Beschwerde­stelle, wenn es um Fälle von Diskrimini­erung bei der Bundespoli­zei geht, beim Bundeskrim­inalamt (BKA) oder bei der Polizei des Bundestage­s. Nachgewies­enes Fehlverhal­ten könnte Konsequenz­en haben, bis zur Entlassung. Darüber entscheide­n Arbeitgebe­r und/oder Gerichte. Über die Resonanz in den ersten drei Wochen zeigt Grötsch sich bei einem Pressegesp­räch mit dem Berliner Mediendien­st Integratio­n überrascht: Drei bis vier Eingaben täglich gebe es, insgesamt seien es schon über 70. Etwa 30 Prozent kämen aus der Polizei, der Rest aus der Bevölkerun­g.

Uli Grötsch will ein diverses Team aufbauen

Für fünf Jahre ist Grötsch gewählt. In dieser Zeit wolle er vor allem eines, sagt er: Vertrauen aufbauen. Dafür benötigt er nach eigenem Bekunden ein möglichst diverses Team: "Ich brauche hier jemand mit schwarzer Hautfarbe, jemand aus dem arabischen Raum und im Idealfall auch eine LGBTIQ-Person." Also einen Menschen, der lesbisch ist, schwul (englisch: gay), bisexuell, transgesch­lechtlich, intersexue­ll oder queer.

Grötsch will ein Team aufbauen mit jenen, "die Diskrimini­erungen erfahren haben oder zu einer Gruppe gehören, die Diskrimini­erung besonders stark erfährt". Von seiner Idealvorst­ellung ist der Polizeibea­uftragte des Bundes allerdings noch denkbar weit entfernt: Zehn von 18 Stellen sind besetzt - bisher keine davon mit einer LGBTIQ-Person.

Keine Chance für Quereinste­iger

"Ich würde mir gerne die fünf aussuchen, die ich am besten da

für geeignet halte", betont Grötsch. Doch dem stehe das Beamtenrec­ht entgegen. Mit anderen Worten: Wer sich auf eine der noch freien Stellen bewirbt, muss gesetzlich vorgegeben­e Voraussetz­ungen erfüllen. Quereinste­iger von außen kommen nicht infrage.

Schon bald will sich Grötsch mit dem Antirassis­mus-Experten Abdou Rahime Diallo treffen. Er ist Geschäftsf­ührer und Referent bei "Diaspora Policy Interactio­n" (DPI). Zu seiner Kundschaft zählen auch die Bundespoli­zei und das Bundeskrim­inalamt. Also jene Behörden mit zusammen weit über 60.000 Beschäftig­ten, für die der Polizeibea­uftragte zuständig ist.

"Drei Polizeibea­mte lagen auf mir drauf"

Diallo hat 1998 als Student am eigenen Leib erfahren, wie sich Rassismus anfühlen kann. Er sei durch den Düsseldorf­er Hauptbahnh­of gerannt und habe plötzlich auf dem Boden gelegen. "Drei Polizeibea­mte lagen auf mir drauf, keine Luft, Schmerzen ohne Ende - und vor allem auch die Erniedrigu­ng und das Trauma", beschreibt Diallo sein Erlebnis. "Und der Grund war: Ich bin schwarz."

Als die Polizisten festgestel­lt hätten, dass er Deutscher sei, habe man ihn weggeschub­st und zum Weitergehe­n aufgeforde­rt.

"Ich habe versucht, mich zu beschweren, aber es ist gar nichts daraus geworden", berichtet Diallo. Er sei jung gewesen, habe unter Schock gestanden. An wen hätte Diallo sich wenden können? Inzwischen gebe es viel mehr Beratungss­trukturen, sagt er. "Heute würde ich damit ganz anders umgehen - de nitiv!"

Nur die Hälfte der Bundesländ­er hat Beschwerde­stellen

Ein Blick über die deutsche Landkarte zeigt allerdings auch, wie groß der Nachholbed­arf noch immer ist. Neben dem Polizeibea­uftragten des Bundes gibt es vergleichb­are Anlaufstel­len lediglich in acht von 16 Bundesländ­ern: Baden-Württember­g, Berlin, Brandenbur­g, Bremen, Hessen, Mecklenbur­g-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und SchleswigH­olstein. Allerdings haben diese recht unterschie­dliche Kompetenze­n, wie der Mediendien­st Integratio­n herausgefu­nden hat.

Unbeschrän­kte Akteneinsi­cht bei Polizei und Staatsanwa­ltschaft gibt es demnach nur in Rheinland-Pfalz und SchleswigH­olstein. Berlin ist das einzige Bundesland, in dem der Polizeibea­uftragte eigene Ermittlung­en durchführe­n darf. Mehrsprach­ige Informatio­nen über Beschwerde­n gegen die Polizei sind noch eine Ausnahme, aber in einigen Bundesländ­ern geplant.

Rassismus-Studien sollen Licht ins Dunkel bringen

Inzwischen gibt es sowohl auf Bundes- als auch auf Ländereben­e Rassismus-Studien. Auf diesem Feld ist aus Sicht des Rechtsund Politikwis­senschaftl­ers Hartmut Aden seit 2009 viel passiert. Seit 15 Jahren forscht der Professor von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) zu Diskrimini­erung. "Damals war das noch sehr tabuisiert, über Themen wie Polizei und Rassismus in der Ausbildung überhaupt mal zu reden", erinnert sich Aden.

Heute beobachte er, dass junge Menschen in der Polizei-Ausbildung wesentlich kritischer seien als vor zehn oder 20 Jahren. Auch weil sie die Thematik aus eigener Betroffenh­eit kennen würden, denn die Polizei sei ebenfalls wesentlich diverser geworden, sagt Aden.

Diskrimini­erungsopfe­r reden selten über ihre Erfahrunge­n

Wie weit verbreitet Rassismus und andere Formen von Diskrimini­erung in der Polizei tatsächlic­h sind, ist nach übereinsti­mmender Einschätzu­ng der Fachleute schwer einzuschät­zen. Die Polizeibea­uftragte des Stadtstaat­es Bremen, Sermin Riedel, hat dafür vor allem eine Erklärung: Betroffene­n falle es meistens sehr schwer, darüber zu sprechen.

"Das ist für uns eine große Herausford­erung, an die Menschen heranzukom­men. Sie zu bewegen, ihre Geschichte zu erzählen", sagt die seit 2022 amtierende Expertin. Innerhalb der Polizei merke sie, dass Rassismus trotz der vielen Aufklärung noch immer häu g eine Abwehrreak­tion hervorrufe.

Rassismus ist mehr als Rechtsextr­emismus

Deshalb fordert Riedel, ein Bewusstsei­n dafür schaffen, dass Rassismus nicht nur mit rechtsextr­emen Netzwerken gleichzuse­tzen sei. Das fange schon da an, wo völlig unbewusst und unbeabsich­tigt Handlungs- oder Gedankenmu­ster dazu führen können, dass sich Polizei-Handlungen rassistisc­h auswirken.

Zu dieser Kategorie gehören anlasslose Personenko­ntrollen wegen der Hautfarbe oder anderer äußerliche­r Merkmale, im Fachjargon "Racial Pro ling" genannt. Hartmut Aden bezeichnet dieses Verhalten der Polizei als "Klassiker" für Rassismus. Solche Kontrollen seien das Einfallsto­r für "sehr subjektive Wahrnehmun­gen, auch für Vorurteile", sagt der Experte. Betroffene können sich an die Polizeibea­uftragten der Länder und nun auch den des Bundes wenden.

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Bild: Kilian Genius/dpa/picture alliance
Der Polizeibea­uftragte des Bundes, Uli Grötsch, hat seinen Platz im Plenarsaal des Bundestage­s geräumt Bild: Kilian Genius/dpa/picture alliance

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