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Russland-Spionage: "Volksrepublik Donezk" eine Terrorvereinigung?
Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft zwei Männern mit doppelter russischer und deutscher Staatsbürgerschaft vor, an der "Terrorvereinigung Volksrepublik Donezk" beteiligt zu sein. Was bedeutet das aus rechtlicher Sicht?
Im Zuge eines Spionagevorfalls , der im Zusammenhang mit Russland steht, hat die Polizei der Stadt Bayreuth in Bayern zwei Männer festgenommen. Dieter S. und sein Helfer Alexander J. stehen im Verdacht, im Auftrag der russischen Geheimdienste Sabotageakte in Deutschland vorbereitet zu haben. Den deutschen Staatsbürgern russischer Herkunft wird auch vorgeworfen, Spionage gegen Militärstützpunkte der USA betrieben und Attacken auf militärisch genutzte Transportwege geplant zu haben.
Dieter S. sei "Mitglied der ausländischen Terrorvereinigung 'Volksrepublik Donezk'" gewesen, meldet die deutsche Generalbundesanwaltschaft. Damit stuft sie die selbsternannte Volksrepublik faktisch als terroristische Organisation ein: Es handele sich um eine "pro-russische Vereinigung, die ab Frühjahr 2014 die Kontrolle über den ukrainischen Verwaltungsbezirk Donezk mit dem Ziel der Loslösung von der Ukraine beanspruchte und sich intensive Auseinandersetzungen mit den ukrainischen Streitkräften lieferte". Auch habe die Vereinigung immer wieder Gewalt gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt.
Nach derzeitigem Ermittlungsstand hatte Dieter S. seit Oktober 2023 Kontakt zu einer Person, die an einen russischen Geheimdienst angebunden ist. Als Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung soll er zudem eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet haben. Die Generalbundesanwaltschaft fügt hinzu: "Nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt besteht der dringende Verdacht, dass Dieter S. zwischen Dezember 2014 und September 2016 in der Ostukraine als Kämpfer einer bewa neten Einheit der 'Volksrepublik Donezk' tätig war und in diesem Zusammenhang über eine Schusswaffe verfügte."
Im Zuge der prowestlichen oppositionellen Proteste und des Machtwechsels in Kiew im Frühjahr 2014 wurden im Osten der Ukraine die sogenannten "Volksrepubliken Donezk und Luhansk" ausgerufen. Im Februar 2022, nur drei Tage vor Russlands großangelegtem Überfall auf die Ukraine, erkannte Staatschef Wladimir
Putin die beiden Separatisten-Gebiete schließlich als unabhängig an. Im September desselben Jahres annektierte Russland die ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk.
Wie man auf die Liste ausländischer Terrororganisationen kommt
"Wir sind davon überzeugt, dass es ständig russische Spionageaktivitäten gegen deutsche Interessen gibt", sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang im DW-Interview. "Deutschland ist ein wichtiger Player in vielen Politikbereichen, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht."
Bislang hatten die deutschen Behörden die "Volksrepublik Donezk" nicht als terroristische Vereinigung eingestuft, was also hat sich geändert? In Deutschland gebe es zwei Möglichkeiten, eine bestimmte Struktur auf die Terroristenliste zu setzen: auf behördlichem und auf strafrechtlichem Wege, erläutert der Jurist Dr. Matthias Hartwig von der Heidelberger Universität im Gespräch mit der DW. Er führt das Beispiel der radikal-islamistischen Bewegung Hamas an, die auf der Ebene der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft ist, aber auch durch Gerichtsurteile als solche eingeordnet wird.
Das bedeute noch nicht, so Hartwig, dass die "Volksrepublik Donezk" jetzt auch vom deutschen Staat als terroristisch angesehen werde. Aber aus Sicht der Generalbundesanwaltschaft sei sie es. Es bleibe jedoch unklar, ob damit die gesamte von den separatistischen und russischen Behörden geschaffene quasi-staatliche Struktur gemeint sei - oder nur ihr paramilitärischer Teil. Hartwig vermutet, die Bundesanwaltschaft betrachte alle Strukturen dort als illegal. Und das aus guten Gründen, weil die ukrainische Seite zum Schluss gekommen sei, dass diese Strukturen "Mord und Tod betreiben". Es sei nun Sache der Gerichte zu entscheiden, ob diese Strukturen als terroristisch anzusehen seien, so der Jurist.
Auch die ARD bewertet den Schritt der Generalbundesanwaltschaft als ein "Novum". "Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat eine entsprechende Verfolgungsermächtigung erteilt. Ein Schritt mit hoher Symbolkraft, der diplomatische Folgen haben dürfte", schreiben die ARD-Terrorismusexperten Michael Götschenberg und Holger Schmidt zur Inhaftierung von Dieter S. und Alexander J.
Als einzige diplomatische Folge bislang ist der russische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt worden. Doch Völkerrechtler Hartwig schließt nicht aus, dass der Spionageskandal die Spannungen zwischen Deutschland und Russland weiter verschärfen könnte: "Deutschland ist völkerrechtlich nicht gebunden und ist frei zu sagen: das ist ein annektiertes Gebiet und die Strukturen, die dort Macht ausüben, stufen wir als terroristisch ein. Deutschland verletzt dadurch nicht das internationale Recht."
ren am weiteren Ausbau des Staates nach europäischem Vorbild maßgeblich beteiligt".
Türkische Migranten in Deutschland
Wohl keine Entscheidung hat die Beziehungen bis heute so nachhaltig geprägt wie der Abschluss eines Anwerbeabkommens für türkische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland 1961. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes kamen in der Folge etwa 876.000 Menschen aus der Türkei. Sie arbeiteten zum Beispiel im Bergbau, in der Autoindustrie, erö neten Geschäfte. Viele holten ihre Familien nach und blieben für immer. Heute leben in Deutschland rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat ihre Leistung gleich zu Beginn seines TürkeiBesuchs gewürdigt, und zwar an einem historischen Ort: Am Istanbuler Bahnhof Sirkeci bestiegen viele der angeworbenen Türken die Züge Richtung Deutschland. "Sie haben unser Land mit aufgebaut, sie haben es stark gemacht und sie gehören ins Herz unserer Gesellschaft", sagte Steinmeier.
Verschlechterung der Beziehungen unter Erdogan
Seitdem Recep Tayyip Erdogan Präsident der Türkei ist, haben sich die Beziehungen zunehmend verschlechtert. Vor allem nach einem Putschversuch 2016 ging Erdogan hart gegen politische Gegner vor. Die Bundesregierung hat die Menschenrechtslage in der Türkei wiederholt angeprangert; immer wieder wurde der deutsche Botschafter einbestellt. Es ist ein Zeichen für die Spannungen, dass vor dem jetzigen Besuch zehn Jahre lang kein deutscher Bundespräsident mehr in der Türkei war.
Erdogan verwandelt das Land auch außenpolitisch - und trifft damit nach Meinung von Rasim Marz einen Nerv bei seinen Landsleuten: "Die Türkei unter Präsident Erdogan strebt seit zwei Jahrzehnten danach, das Land unter die führenden Nationen der Welt zu führen. Sowohl in der akademischen wie politischen
Elite des Landes, unter Militärs oder Wirtschaftsmagnaten, ob aus dem Regierungslager oder der Opposition - die Vision einer politischen wie militärischen Großmacht Türkei im 21. Jahrhundert hat sich in der Gesellschaft verfestigt."
Für Erdogan ist die Hamas eine Befreiungsorganisation
Besonders brisant für die deutsche Politik ist Erdogans Haltung zur islamistischen Hamas im Gazastreifen. Erdogan hat das Massaker der Hamas vom 7. Oktober an Israelis verteidigt, bezeichnet die Hamas als Befreiungsorganisation. Dagegen ist die Sicherheit Israels - bei aller deutscher Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen - of zielle deutsche "Staatsräson". Wie zur Bekräftigung der Gegensätze traf sich Erdogan kurz vor Steinmeiers Ankunft mit Hamas-Auslandschef Ismail Hanija.
Auch während seines Besuchs in Istanbul sah sich der Bundespräsident mit Demonstranten konfrontiert, die gegen die deutsche Israel-Politik protestierten.
Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind eingefroren
Die deutsch-türkischen Beziehungen sind längst eingebettet in die Beziehungen der Türkei zu gesamten EU. Zwar ist die Türkei seit 2005 EU-Beitrittskandidat, unterstützt zuvor vom SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Doch faktisch liegen die Beitrittsverhandlungen längst auf Eis, auch das eine Folge von Erdogans hartem innen- und außenpolitischem Kurs.
Bundeskanzlerin Angela Merkel war gegenüber der Türkei relativ vorsichtig aufgetreten, auch weil sie Ankara in der Flüchtlingskrise 2015/16 dringend brauchte. Die Politiker der amtierenden SPD-geführten Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz nennen die Probleme deutlicher beim Namen, nicht zuletzt die grüne Au
ßenministerin Annalena Baerbock.
Das komme bei der türkischen Führung nicht gut an, meint Rasim Marz: "Deutschland hat nach der Ära Angela Merkel erheblichen Ein uss in Ankara verloren. Die Dissonanzen zwischen den beiden Ländern, die während des letzten Besuchs von Außenministerin Annalena Baerbock (im Juli 2022) offen zu Tage traten, sind auf unterschiedlichen Themengebieten tiefgehend." Auch eine Neubelebung der EU-Beitrittsverhandlungen "ist aktuell nicht absehbar", glaubt der Historiker und Türkei-Experte Rasim Marz.
Ein neuer Anfang?
Die Ho nung der Bundesregierung liegt auf der türkischen Zivilgesellschaft und der türkischen Opposition. Bei den Kommunalwahlen vor wenigen Wochen erlitt Erdogans Partei AKP eine Schlappe. Stattdessen triumphierte landesweit die größte Oppositionspartei CHP. Deren großer Ho nungsträger, auch als möglicher künftiger Staatspräsident, ist der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu.
Der Bundespräsident hat ihn bei seinem Besuch noch vor Erdogan getroffen. Ein Zeichen, dass man in Berlin auf einen politischen Wandel und weiteren Neuanfang in den türkisch-deutschen Beziehungen hofft.