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Kehrtwende in der polnischen Außenpolit­ik

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Die polnische Mitte-Links-Regierung unter dem liberalen Premier Donald Tusk hat gleich nach der Regierungs­übernahme am 13. Dezember 2023 mit der Neujustier­ung der Außenpolit­ik begonnen. Die vordringli­chen Aufgaben: ein Neustart im Verhältnis zur Europäisch­en Union, die Wiederbele­bung des Weimarer Dreiecks und die Verbesseru­ng der angespannt­en Beziehunge­n zu Deutschlan­d wurden von Tusks Regierung bereits in den ersten Monaten dieses Jahres in Angri genommen.

Am Donnerstag (25.04.2024) bestätigte der polnische Außenminis­ter Radoslaw Sikorski in seiner ersten Grundsatzr­ede vor den Abgeordnet­en im polnischen Parlament, dem Sejm, den Wandel in der Außenpolit­ik. Dabei rechnete er mit der Vorgängerr­egierung der national-konservati­ven Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski hart ab.

"In den vergangene­n acht Jahren gab es eine Reihe von verfehlten ideologisc­hen Prinzipien, von schlechten Ideen sowie falschen Entscheidu­ngen und Unterlassu­ngen", sagte Sikorski.

Er nannte als Beispiele den "chronische­n Kon ikt" mit den EU-Institutio­nen wegen der Politisier­ung der polnischen Gerichte, der Verschlech­terung der Beziehunge­n zu Polens Nachbarn

Deutschlan­d, Frankreich und Tschechien sowie der "verfehlten Ho nung auf ein Bündnis mit Amerika gegen die EU". Auch ein "ideologisc­hes Bündnis mit ProPutin-Populisten" und die Abneigung gegen den angeblich "verfaulten Westen" erwähnte der Politiker, der bereits in den Jahren 2007-2014 das polnischen Außenamt geleitet hatte.

Mythen und Hirngespin­ste der PiS

Sikorski warf der PiS vor, sich in der Außenpolit­ik von "schädliche­n Mythen und Hirngespin­sten" leiten zu lassen. In jeder Mythologie sei ein "schwarzer Charakter" notwendig, um negative Emotionen abzuleiten. Diese Rolle hätten die National-Konservati­ven den Deutschen zugewiesen. "Deutschlan­d ist unser demokratis­cher Nachbar, wichtigste­r Handelspar­tner, wichtiger europäisch­er Player und Schlüsselv­erbündeter in der NATO", hielt Sikorski dagegen.

"Warschau und Berlin brauchen sich gegenseiti­g", unterstric­h der polnische Chefdiplom­at. Er zitierte dabei auch aus der Rede des 2015 verstorben­en Vorreiters der polnisch-deutschen

Versöhnung, Wladyslaw Bartoszews­ki vor dem Deutschen Bundestag. Er hatte in dieser viel beachteten Rede im Jahr 1995 gesagt: "Das Gedenken und die historisch­e Re exion müssen unsere Beziehunge­n begleiten. Sie sollten dafür jedoch nicht Hauptmotiv­ation sein, sondern den Weg bereiten für die gegenwärti­gen und in die Zukunft gerichtete­n Motivation­en."

Reparation­en bleiben auf der Agenda

Sikorski sprach auch das Thema der Reparation­en für die polnischen NS-Opfer an, wobei er das Wort Reparation­en vermied und stattdesse­n von Entschädig­ungszahlun­gen sprach. Er appelliert­e an die deutsche Seite, in dieser Frage "Sensibilit­ät und Empathie" zu zeigen. "Wir erwarten von Berlin Vorschläge zur Wiedergutm­achung", sagte er. An Ideen mangele es nicht - von einer Unterstütz­ung für die noch lebenden Opfer über den Wiederaufb­au polnischer Denkmäler, Investitio­nen in die polnische Sicherheit bis zum polnischen Sprachunte­rricht und der Vermittlun­g polnischer Geschichte.

Als besonders wichtig bezeichnet­e er "deutsche Investitio­nen in die Sicherheit der Region". Sie seien "Ausdruck der Anerkennun­g vergangene­r Fehler". Die Vorgängerr­egierung hatte die polnischen Kriegsverl­uste auf 6,2 Billionen Zloty (1,3 Billionen Euro) beziffert und die Bundesregi­erung im Oktober 2022 aufgeforde­rt, Gespräche über eine Wiedergutm­achung aufzunehme­n.

Heiße Karto el: Reform der EU-Verträge

Sikorski scheute sich auch nicht, die in Polen äußerst heikle Frage der Änderung der EU-Verträge anzusprech­en. "Polen wird eine realistisc­he Reform der EU, die zur Wettbewerb­sfähigkeit und Stärke der Gemeinscha­ft beiträgt, unterstütz­en", versichert­e er. Er sei nicht überzeugt, dass dafür eine Änderung der Verträge notwendig sei. "Wir können aber nicht ausschließ­en, dass ein Teil der Mitgliedss­taaten davon die Zustimmung zur Vollendung der Erweiterun­g abhängig macht."

Laut Sikorski ist die Regierung "offen für Argumente". Der Minister sprach sich für Mehrheitse­ntscheidun­gen etwa beim Beschließe­n von Sanktionen aus, um Blockaden, wie jetzt von Ungarn, zu vermeiden. Die Aufnahme neuer Mitglieder sollte dagegen einstimmig erfolgen. "Unterbreit­en wir kluge polnische Vorschläge", sagte Sikorski und appelliert­e an die Opposition, die Befürworte­r der Mehrheitse­ntscheidun­gen nicht als Landesverr­äter zu diffamiere­n. Opposition­sführer Kaczynski hatte die EU-Pläne als einen Versuch kritisiert, den polnischen Nationalst­aat zu liquidiere­n.

Präsident Duda empört über Sikorski

Der polnische Präsident Andrzej Duda, der die Rede Sikorskis aus seiner Loge im Parlament verfolgte, reagierte empört auf die Kritik an der PiS-Regierung. Das konservati­ve Staatsober­haupt, das dem national-konservati­ven Lager um Kaczynski nahe steht, warf dem Außenminis­ter vor, einen Angri auf die Politik der Vorgängerr­egierung gestartet zu haben.

"Dieser Angri ist total unbegründe­t und enthält viele Lügen, Manipulati­onen und Unwahrheit­en, die die Polen spalten und einen unnötigen Kon ikt heraufbesc­hwören", sagte Duda. Er warf der EU-Kommission "ungeheure Heuchelei" in der Frage der Rechtsstaa­tlichkeit vor. Sikorski beschuldig­te er, vor 2015, als Deutschlan­d und Russland gemeinsam die Gaspipelin­e Nord Stream 1 und 2 gebaut hätten, Berlin zur Übernahme der Führung in Europa ermuntert zu haben. Bei seinem Besuch in Berlin im November 2011 hatte Sikorski gesagt: "Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkei­t."

Die polnischen National-Konservati­ven betrachten Deutschlan­d als die größte Gefahr für Polens Souveränit­ät. Kaczynski bezeichnet den heutigen Regierungs­chef Tusk seit langem öffentlich als deutschen Agenten und seine Partei Bürgerplat­tform als von außen gesteuerte Kraft.

Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Verbesseru­ng der deutsch-polnischen Beziehunge­n werden Anfang Juli die Regierungs­konsultati­onen sein. Das letzte Treffen fand im November 2018 statt, noch mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Der deutschpol­nische Nachbarsch­aftsvertra­g sieht eigentlich jährliche Konsultati­onen vor.

 ?? ?? Tre  en der Außenminis­ter des "Weimarer Dreiecks" im April 2024 (v.l.n.r.): Stephane Sejourne (Frankreich), Annalena Baerbock (Deutschlan­d) und Radoslaw Sikorski (Polen) in La Celle Saint-Cloud
Bild: Sarah Meyssonnie­r/AP/dpa/picture alliance
Tre en der Außenminis­ter des "Weimarer Dreiecks" im April 2024 (v.l.n.r.): Stephane Sejourne (Frankreich), Annalena Baerbock (Deutschlan­d) und Radoslaw Sikorski (Polen) in La Celle Saint-Cloud Bild: Sarah Meyssonnie­r/AP/dpa/picture alliance

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