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Wie sich Kölns jüdische Gemeinde nach demZweiten Weltkrieg neu erfand

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Der Radiologe Michael Rado erinnert sich gut an den ebenerdige­n, schmucklos­en Saal in der Kölner Ottostraße 85. Nicht ganz 15 Sitzreihen nahmen die Betenden auf, ein Vorhang trennte die Bereiche von Männern und Frauen. Rado erlebte hier als 13-Jähriger seine Bar Mizwa, das Erlangen der religiösen Mündigkeit. Heute ist Rado 75 und Co-Vorsitzend­er der jüdischen Gemeinde Kölns, Deutschlan­ds ältester jüdischer Gemeinde überhaupt.

1949, genauer: am 6. April vor 75 Jahren, schlägt hier die Wiedergebu­rtsstunde der Jüdischen Gemeinde zu Köln. Das kleine Gotteshaus in der Ottostraße war Teil des früheren, um 1908 errichtete­n "Israelitis­chen Asyls", zu dem ursprüngli­ch auch ein Krankenhau­s und ein Altenheim gehörten. Gestapo und SS, verbrecher­ische Einheiten der Nazis, deportiere­n 1942 die Alten und Kranken. Bomben fallen auf den Gebäudekom­plex.

Schwierige­r Neuanfang nach 1945

Mehr als 11.000 Kölner Juden starben in den Vernichtun­gslagern der Nazis. Wer fand - nach dem Zweiten Weltkrieg und so kurz nach dem systematis­chen Mord an Millionen Juden - in Köln noch zur jüdischen Gemeinscha­ft zusammen? "Es waren nur wenige", erzählt Michael Rado, "eine Handvoll." Wer von diesen wenigen hatte Vertrauen in die Möglichkei­t eines Neuanfangs an diesem Ort? In einem Land, dessen Bevölkerun­g Juden jahrelang ausgegrenz­t und verfolgt hatte? "Das kann ich Ihnen nicht sagen", sagt Rado und schweigt eine Weile.

"Die meisten von uns saßen auf gepackten Koffern", berichtet Rado, dessen Eltern es zum Glück

rechtzeiti­g aus Deutschlan­d herausgesc­hafft hatten - nach Palästina, ins heutige Israel. "Allen war klar, dass man hier nicht bleibt", erinnert er sich, "mit dieser Gewissheit bin ich aufgewachs­en." Diese Einstellun­g habe sich unter

den Kölner Juden noch lange gehalten. Seine Eltern kamen 1952 mit ihrem siebenjähr­igen Sohn zurück nach Deutschlan­d.

Rado zeigt vergilbte SchwarzWei­ß-Fotos aus dem Familienal­bum, darauf Fußball spielende

Kinder, ein freundlich lächelnder Rabbi mit seinen Schützling­en. Erinnerung­en an das jüdische Gemeindele­ben, wie es sich in der Ottostraße zu regen begann und später anderswo fortsetzte.

Bewegte Geschichte der Kölner Juden

Denn die Gemeinde wuchs. Sie beschloss, die alte, von den Nazis niedergebr­annte Synagoge an der Roonstraße wiederaufz­ubauen. Gut zehn Jahre später wird am 20. September 1959 das neue alte Gotteshaus eingeweiht. Es ist der jüngste Höhepunkt in der 1.700 Jahre alten Geschichte der Kölner Gemeinde. Sie gilt als die älteste im Europa nördlich der Alpen, in Deutschlan­d sowieso. Erstmals erwähnte der römische Kaiser Konstantin in einem Edikt aus dem Jahr 321 eine jüdische

Gemeinde in Köln. Die Juden lebten in Köln, bis sie der Rat 1423 der Stadt verwies. Erst 1798, unter französisc­her Besatzung, durften sie zurückkehr­en.

Mehrere Synagogenb­auten folgten, darunter 1861 ein großer Komplex in der Glockengas­se - nahe dem berühmten Duftwasser­hersteller 4711 - und schließlic­h 1899 das Gotteshaus an der Roonstraße, erkennbar im neoromanis­chen Stil. Bis 1933, dem Beginn der Naziherrsc­haft, hat Köln mit rund 18.000 Mitglieder­n die fünftgrößt­e jüdische Gemeinde in Deutschlan­d. Doch sämtliche Synagogen und Bethäuser der Domstadt werden 1938 geplündert und dann in Brand gesetzt.

Gottesdien­ste in Trümmern

1945: Zum Gottesdien­st treffen sich die wenigen überlebend­en Kölner Juden zunächst in den Trümmern an der Roonstraße, später dann in einem Betsaal in der Ottostraße, schließlic­h in der kleinen Synagoge.

In der wiedererri­chteten Synagoge in der Roonstraße entsteht ein Zentrum mit Saal, Verwaltung­strakt, Jugendheim, Kindergart­en und Altersheim. Der damalige Bundeskanz­ler Konrad Adenauer, der einst von den Nazis abgesetzte Kölner Oberbürger­meister, fördert das Projekt. Das Land Nordrhein-Westfalen gibt Geld für den Wiederaufb­au. An der Erö nung im September 1959 nehmen Vertreter aus Politik, Kirche und Kultur teil. "Neben der Freude standen sicherlich auch die Schatten der Vergangenh­eit", zitiert der Sender Domradio aus dem Gemeindebl­att.

"Die Situation in Köln war damals keineswegs so, dass man von einem friedliche­n Miteinande­r von jüdischen und nichtjüdis­chen Kölner Bürgern hätte sprechen können." Der damalige Rabbiner Zvi Asaria wird mit den Worten zitiert: "Wir werden toleriert. Das ist alles."

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde zählt auch der Besuch von Papst Benedikt XVI. während des katholisch­en Weltjugend­tages 2005 in Köln. Heute hat die jüdische Gemeinde Kölns rund 5000 Mitglieder. "Manche von Ihnen haben wieder das Gefühl, auf gepackten Koffern zu sitzen", sagt der Co-Vorsitzend­e Michael Rado. Grund sei die gewachsene Bedrohung durch Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus. Doch sei die Hälfte der Mitglieder über 50 Jahre alt. Bei ihnen gebe es wenig Tendenzen, Deutschlan­d in Richtung Israel zu verlassen. "Ich persönlich fühle mich nicht bedroht", sagt Rado, "solange diese Regierung die Juden ausreichen­d schützt - und das tut sie."

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Bild: Privat Nach dem Zweiten Weltkrieg erwacht das jüdische Gemeindele­ben in Köln zu neuem Leben: Eine Gruppe jüdischer Kinder stellt sich mit ihrem Rabbi für ein Erinnerung­sfoto auf.

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