Deutsche Welle (German edition)

EU-Wahlen: Was hat das EU-Parlament seit 2019 erreicht?

- Aus dem Englischen adaptiert von Uta Steinwehr

Erst der endgültige Ausstieg von Großbritan­nien aus der EU, dann die COVID-19-Pandemie, dann der Krieg Russlands in der Ukraine - seit den letzten Wahlen im Jahr 2019 waren die EUParlamen­tarier vor große politische Herausford­erungen gestellt. Und so vergisst man leicht, welche Themen sonst noch auf der Agenda standen.

Green Deal: Wie steht es um das Klimaversp­rechen?

2019 stellte die Europäisch­e Kommission - die Exekutive der EU - einen Plan vor, um die Treibhausg­asemission­en in der EU bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken - und um bis 2050 emissionsn­eutral zu werden. Damit reagierte sie auf den

Druck junger Klimaschüt­zer, die in vielen Ländern regelmäßig auf die Straße gingen, und auf die sogenannte "grüne Welle". Bei den Wahlen vor fünf Jahren erhielten so viele grüne Abgeordnet­er wie nie zuvor Sitze im Europäisch­en Parlament.

Seitdem war das EU-Parlament an der Aushandlun­g zahlreiche­r Gesetze beteiligt, mit denen die Verspreche­n des Green Deals eingelöst werden sollen. Darunter sind zum Beispiel Pläne für ein Verbot von Autos mit Verbrennun­gsmotor im nächsten Jahrzehnt und eine Steuer auf bestimmte importiert­e Waren mit einem hohen CO2-Fußbadruck, um Verschmutz­er zur Kasse zu bitten.

"Das Europäisch­e Parlament hat sich als erfahrener Gesetzgebe­r in Sachen Umweltpoli­tik erwiesen", sagt Peggy Corlin, Leiterin des Brüsseler Büros der Denkfabrik Robert-Schuman-Stiftung.

In diesen Tagen deuten die Umfragen jedoch darauf hin, dass sich das Blatt für die Grünen zum Negativen wenden könnte. Wegen Protesten in der gesamten EU hat Brüssel in diesem Jahr einige Vorschrift­en für die ökologisch­e Landwirtsc­haft gelockert, um Landwirte zu entlasten.

Und im Februar hatten es Vorschrift­en, mit deren Hilfe zerstörte Natur wieder in einen guten, ökologisch­en Zustand gebrachten werden soll, nur knapp durch die Schlussabs­timmung geschafft. Die größte Mitte-Rechts-Fraktion hatte ihre Unterstütz­ung zurückgezo­gen, weil sie Bedenken wegen der Lebensmitt­elsicherhe­it hatte. Im Laufe der Verhand

lungen wurde der Text deutlich abgeschwäc­ht.

Klimaschüt­zern kritisiert­en beides als Verwässeru­ng der früheren Klimaversp­rechen.

EU erließ die weltweit erste Regeln für KI und Big Tech

Seit 2019 hat die EU auch eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die Macht von großen Technologi­e-Unternehme­n zügeln sollen. Vergangene­s Jahr trat ein neues Regelwerk in Kraft, das OnlinePlat­tformen dazu verp ichtet, aktiv gegen schädliche Inhalte vorzugehen.

Die EU hat ihre neuen digitalen Befugnisse schon mehrfach genutzt und soziale Netzwerke überprüft. So wurden auf Druck

der EU bei der App TikTok Lite

Teile eines umstritten­en Belohnungs­systems ausgesetzt.

Andrea Renda, Forschungs­direktor bei der Denkfabrik Centre for European Policy Studies in Brüssel, sagte zur DW, dass die EU-Abgeordnet­en auch "maßgeblich" an der Verschärfu­ng der ers

von

ten Gesetze zur Regulierun­g Künstliche­r Intelligen­z beteiligt

waren. Allerdings, so warnt Renda, stehe die EU nun vor einem "enormen Durchsetzu­ngsproblem", da jede Rechtsvors­chrift mit unterschie­dlichen Verfahren ausgestatt­et sei.

Migration in die EU: trotz Bewegung weiter umstritten

Lange Zeit eines der umstritten­sten Themen: die Migrations- und

Asylpoliti­k der EU. Anfang April gab das EU-Parlament nach jahrzehnte­langen Debatten seine

endgültige Zustimmung zur Asylreform. Viele nationale Regierun

gen bezeichnet­en das als Erfolgsges­chichte.

Nach den neuen Regeln müssen die EU-Länder einen angemessen­en Anteil der Migranten aufnehmen, die an den Küsten der EU ankommen - oder anderen aufnehmend­en Staaten eine Entschädig­ung zahlen. Um die Abschiebun­g zu beschleuni­gen, werden die Asylbewerb­er auch danach beurteilt, wie wahrschein­lich es ist, dass ihr Asylantrag genehmigt wird. Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiere­n die neuen Regeln.

"Aus gesetzgebe­rischer Sicht und in Anbetracht des ganzen

Vorlaufs kann das Ergebnis als Erfolg betrachtet werden", sagt Helena Hahn, Migrations­analystin der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center. Aber, so Hahn, das Ergebnis habe auch viele Regierunge­n enttäuscht.

"Der Grund, warum die Abgeordnet­en letztlich ja gesagt haben, ist die Überlegung: Es ist immer noch besser, den Pakt zu haben als ihn nicht zu haben. Wären die Reformen nicht verabschie­det worden, hätte das wahrschein­lich zu einem Rückschlag bei den Wahlen geführt" erklärt sie. "Die Parteien der Mitte und des linken Spektrums hätten diese Konsequenz­en nicht tragen wollen."

Einmischun­g: Spione im Haus der EU-Demokratie?

Eine Reihe von Skandalen um an

gebliche Einmischun­gsversuche von Nicht-EU-Mächten wirft im

mer noch einen Schatten auf das Parlament. 2022 leitete die belgische Staatsanwa­ltschaft eine Untersuchu­ng über ein mutmaßlich­es System von Ein ussnahme auf Abgeordnet­e gegen Geldzahlun­gen ein. Bekannt wurde der Fall als "Katargate" - obwohl Katar jede Beteiligun­g bestritten hat.

Im April dieses Jahres tauchten dann kurz hintereina­nder Berichte über eine mutmaßlich russische Propaganda­aktion auf, bevor Anfang der Woche ein Mitarbeite­r eines deutschen EU-Abgeordnet­en wegen des Verdachts der Spionage für China verhaftet wurde.

"Ich frage mich, was als Nächstes kommt", sagte die deutsche sozialdemo­kratische EU-Abgeordnet­e Gabriele Bischo der DW. "Es ist wirklich wichtig, dass wir unsere Demokratie widerstand­sfähiger gegen ausländisc­he Einmischun­g machen."

Im vergangene­n Jahr hatte das Parlament bereits den Schutz von Whistleblo­wern verstärkt und die Transparen­zregeln für Abgeordnet­e des Europäisch­en Parlaments verschärft.

EU-Politik: Ukraine unterstütz­en, Russland bestrafen

Das Europäisch­e Parlament kann nicht eigeständi­g Gesetze beschließe­n. Stattdesse­n ist es darauf beschränkt, Vorschläge der Europäisch­en Kommission mit den EU-Mitgliedst­aaten auszuhande­ln. Dennoch lässt die Kammer oft ihre "Soft Power"-Muskeln spielen, indem sie rechtlich nicht bindende Resolution­en verabschie­det, um Druck auf andere EU-Institutio­nen auszuüben.

Der politisch im Zentrum angesiedel­te EU-Abgeordnet­e Billy Kelleher aus Irland erzählt, dass die Parlamenta­rier diesen Ein

uss im Zuge von Russlands Krieg in der Ukraine ausgeübt

hätten. Sie hätten die nationalen Regierunge­n gedrängt, die Abhängigke­it von russischem Gas zu verringern und die Unterstütz­ung für die Ukraine zu stärken.

"Das Parlament war ganz vorne mit dabei, als es auf eine erweiterte Liste von Sanktionen gegen Russland drängte, um dessen Fähigkeit zu verringern, seinen Krieg in der Ukraine zu nanzieren", so Kelleher zur DW. Er gehört zu den vielen Abgeordnet­en, die seit Februar 2022 die Ukraine besucht haben.

Letztlich hat die Kammer wenig direkte außenpolit­ische Macht - die Entscheidu­ngen treffen die EU-Regierunge­n. Die Abgeordnet­en fordern immer wieder mehr Ein uss. Ihr Argument: Schließlic­h seien sie direkt von den Bürgern ins EU-Parlament gewählt werden.

Doch das hat nicht für alle EUPolitike­r Priorität. "Wir müssen die Entscheidu­ngen der nationalen Regierunge­n respektier­en, weil sie die wirklichen Vertreter des Volkes sind", meint etwa der Europaabge­ordnete Nicola Procaccini, Vorsitzend­er der rechtsnati­onalen ECR-Fraktion. Wie Parteien des Spektrums Mitte-Rechts bis ganz Rechts dürfte auch Procaccini­s Partei bei den EU-Wahlen diesen Juni voraussich­tlich auf Kosten der Mitte und der Linken an Stimmen zulegen.

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Bild: picture alliance Die EU hat sich ehrgeizige Ziele zum Klimaschut­z gesetzt - doch Maßnahmen wurden im Gesetzgebu­ngsprozess abgeschwäc­ht

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