Deutsche Welle (German edition)
Europawahl: Das sind die Pläne der deutschen Parteien
Die deutschen Parteien stellen sich für die Wahl zum Europaparlament am 9. Juni 2024 auf. Viele Gemeinsamkeiten gibt es, aber auch krasse Unterschiede. Und wer welche Positionen im Wahlprogramm mit wem teilt, das ist manchmal durchaus überraschend.
Grüne: Statt Staatenbund ein Bundesstaat
Keine deutsche Partei geht beim Fernziel der EU so weit wie die Grünen. Sie wollen die Europäische Union zu einem "föderalen europäischen Bundesstaat" weiterentwickeln. So steht es dank der Grünen auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus
SPD, Grünen und FDP. Deutsche Interessen sind den Grünen zufolge europäische Interessen, sie sehen da keinerlei Gegensätze.
"Strategisch souverän" soll die EU werden, also außen- und militärpolitisch unabhängig agieren können. Die Ukraine wollen sie noch stärker unterstützen. Die Grünen sehen die Ukraine als künftiges EU-Mitglied, mit dem möglichst bald Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden sollen. Alle anderen Parteien sind weit vorsichtiger.
Ein grünes Markenzeichen bleibt die Klimapolitik, in die massiv investiert werden soll, auch wenn das neue Schulden bedeutet. Und an einer liberalen Asylpolitik wollen die Grünen festhalten, wenngleich das von der
Mehrheit der Deutschen inzwischen kritisch gesehen wird.
SPD: Ausbau europäischer Arbeitnehmerrechte
Solidarität und soziale Absiche
rung sind Schlüsselbegriffe im sozialdemokratischen Programm. Gleiche Mindeststandards bei den sozialen Sicherungssystemen der EU und ein europaweiter Mindestlohn gehören für sie dazu. Dafür ist viel Geld notwendig, das die SPD über neue Schulden, aber auch durch höhere Steuern einnehmen will.
Der Satz "Wir werden Europa bis spätestens 2050 zum ersten
nachhaltigen und treibhausgasneutralen Kontinent machen" könnte genau so im Grünenprogramm stehen. Konsequente Klimapolitik, hohe Standards beim
Asylrecht, massive öffentliche Investitionen - das alles klingt sehr ähnlich wie bei den Grünen.
Aber in einem Punkt hebt sich die SPD ab: "Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben." Hier sieht sich die SPD "als die Friedenspartei in Deutschland", die trotz des eklatanten Bruchs des Völkerrechts durch Russland eine "neue europäische Ostpolitik" fordert.
FDP: Selbstverantwortung und Sparen
Die dritte Partei in der Bundesregierung, die FDP, setzt deutlich andere Akzente und verteilt kräftig Seitenhiebe.
"Die Vorhaben von EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) - wie eine bürokratische EU-Lieferkettenrichtlinie oder ein EU-Heizungsverbot - drohen, die Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich zu belasten", heißt es bei der FDP. Statt "immer tiefgreifenderen Regulierungen und Vorga
ben" setze man u.a. auf Technologieoffenheit. Gemeint ist neben dem Heizen auch die Antriebsart beim Auto, bei dem sich die FDP nicht auf das Elektroauto festlegen würde.
Die FDP möchte die Ukraine noch stärker unterstützen, aber Finanzmittel, egal wofür, müssten erst erwirtschaftet werden, bevor man sie verteilt. Statt neuer Schulden fordern sie Einsparungen, auch bei der EU: Die Zahl der Kommissare solle von 28 auf 18 verkleinert werden, und das Parlament sollte nicht mehr an zwei Standorten abwechselnd tagen (Straßburg und Brüssel), sondern nur noch an einem.
CDU: Ausgleich der Interessen und starke Verteidigung
Die CDU ( zusammen mit ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU) versteht sich als letzte Volkspartei in Deutschland, die für breite Bevölkerungsgruppen wählbar sein soll. Das Programm ist dadurch ein Sowohl-als-Auch: Klimaschutz ja, aber ohne Zwang, Marktwirtschaft ja, aber mit sozialer Absicherung, europäische
Solidarität ja, aber mit solider Haushaltspolitik.
Nicht immer gelingt dieser Spagat. So fällt die CDU ihrer eigenen Parteifreundin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in den Rücken, die sich für das Aus des Verbrennungsmotors ab 2035 stark gemacht hat; das will die CDU rückgängig machen. Beim Klimaschutz und beim Thema Migration schlägt die CDU inzwischen deutlich restriktivere Töne an als zu Zeiten von CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bis 2021 regierte.
Wenn es ein Alleinstellungsmerkmal der CDU in der Europapolitik in diesem Wahlkampf gibt, dann ist es bei Sicherheit und Verteidigung seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Die CDU will eine massive Aufrüstung der Europäischen Union einschließlich Flugzeugträger und eigenem Raketenschirm.
AfD: Weg mit der EU!
Nicht nur in der Europapolitik bildet die Alternative für Deutschland den Gegenpol zu den Grünen. Als einzige Partei im Deutschen Bundestag will die AfD die EU abschaffen, jedenfalls in ihrer gegenwärtigen Form. "Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt", heißt es in der Präambel des Wahlprogramms. Man strebe daher einen "Bund europäischer Nationen" an, eine neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft, in der die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt sei. Den EU-Binnenmarkt würde die AfD erhalten.
In der Migrationspolitik fordert die AfD eine "Festung Europa", wobei die EU die Mitgliedstaaten beim Außengrenzschutz und bei Abschiebungen unterstützen solle.
Klimaschutz ist in den Augen der AfD komplett über üssig, weil sich das Klima schon immer gewandelt habe. Daher lehnt die Partei auch sämtliche Maßnahmen zur Verringerung des CO2Ausstoßes etwa im Verkehr oder beim Heizen ab.
Radikal andere Wege geht die AfD auch beim Umgang mit Russland. Sie fordert ein Ende der Wirtschaftssanktionen und eine Wiederannäherung an Moskau.
Die Linke: Neustart durch Umverteilung
Die Partei Die Linke stellt die EU zwar nicht grundsätzlich infrage, ist aber für drastische Reformen. "Wer Europa will, muss es den Reichen nehmen" steht im Wahlprogramm.
Durch eine deutlich höhere Besteuerung vor allem von Konzernen will die Linke die Sozialpolitik radikal ausweiten. Sie plädiert zum Beispiel in Deutschland für eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich, einen Mindestlohn von 15 Euro (derzeit 12,41 Euro) sowie eine europäische Kindergrundsicherung.
Die Asyl- und Flüchtlingspolitik soll in keiner Weise eingeschränkt werden, dafür steht schon die frühere Seenotretterin Carola Rackete im linken Spitzenduo für die Europawahl.
In einem einzigen Punkt gibt es Parallelen zur AfD: Auch die Linkspartei strebt eine Wiederannäherung an Russland an und ist gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.
BSW: Zwitter aus Linkspartei und AfD
Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht hat die Linkspartei verlassen und zieht mit dem neugegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht in den Wahlkampf.
Das BSW verbindet programmatisch einiges ihrer alten politischen Heimat mit manchen Forderungen der AfD.
So tritt das BSW, wie die Linkspartei, für mehr Umverteilung von oben nach unten und für massive öffentliche Investitionen ein. Ebenso will es eine Wiederannäherung an Russland.
Mit der AfD verbindet das BSW andererseits die Forderung einer restriktiven Migrationspolitik, wenn auch weniger scharf formuliert. Deutschland sieht die Partei durch die hohe Zahl der Migranten überfordert; den Preis, etwa durch einen angespannten Wohnungsmarkt, würden die Armen zahlen.
Auch beim Klimaschutz zeigt sich das BSW zwar nicht so radikal wie die AfD, beklagt aber "blinden Aktionismus und undurchdachte Maßnahmen", die "helfen dem Klima nicht, aber sie gefährden unsere wirtschaftliche Substanz, verteuern das Leben der Menschen und untergraben die öffentliche Akzeptanz von sinnvollen Klimaschutzmaßnahmen".
vizepräsidentin Katrin GöringEckart ein und hinderten diese an der Weiterfahrt.
Und in Gotha in Thüringen zündeten im Februar Unbekannte das Haus eines SPD-Politikers an, der eine Demonstration gegen Rechtsextremismus organisiert hatte.
Gewalt gegen Politiker ist keine neue Erscheinung: So wurde die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker 2015 Opfer eines Attentates, welches sie knapp überlebte. 2019 war der hessische Regierungspräsident und CDU- Politiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten ermordet worden.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder macht die in Teilen rechtsextreme AfD für die jüngste Gewalt gegen Politiker verantwortlich. Aber auch deren Politiker werden Opfer von Attacken.
Max Reschke will weitermachen, fordert aber, dass Lokalpolitiker vom Staat und von der Polizei mehr Sicherheit bekommen müssten. "Das ist in letzter Zeit einfach viel zu wenig gewesen. Es darf nicht sein, dass erst etwas passieren muss, damit man aktiv wird. Und die gesamte Gesellschaft muss sich die Frage stellen, in welche Richtung wir gehen wollen. Ich glaube nicht, dass mehr Gewalt und mehr Angst da sinnvoll sein kann."
Hass auf den Staat
Eine aktuelle repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa im Auftrag der Körber-Stiftung bei den mehr als 6.400 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Deutschland kommt zu einem ähnlich besorgniserregenden Ergebnis: 40 Prozent der Befragten gaben an, dass sie oder Personen aus ihrem Umfeld schon einmal wegen ihrer Tätigkeit beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen wurden.
Einige unter ihnen spielten deswegen auch mit dem Gedanken, die Lokalpolitik an den Nagel zu hängen. Dies sei aber kein rein deutsches Phänomen, sondern ein Trend in ganz Europa und auch den USA, sagt Sven Tetzla , Leiter vom Bereich Demokratie und Zusammenhalt bei der Körber Stiftung gegenüber der DW.
Die Ursachen: "Die Sprache ist roher geworden, und es hat natürlich etwas mit den sozialen Medien zu tun. Da pushen sich die Leute gegenseitig hoch in ihrem Hass auf den Staat, auf das System, auf die Politik, auf 'die da oben'. Und wir wissen auch, dass die Hemmschwellen, dann auch physisch anzugreifen, deutlich sinken, wenn sich die Sprache immer weiter in diese Richtung entwickelt."
Am Ende auch Demokratie unter Beschuss
Ein zweiter Punkt ist nach Einschätzung von Tetzla , das Phänomen, dass immer mehr Menschen auf ihre eigenen Interessen pochten. Sie wähnten sich im Recht darauf zu bestehen, dass nur noch ihre eigenen Vorstellungen umgesetzt würden.
Die Bereitschaft, einen Kompromiss oder einen Interessenausgleich zu nden, sinke dagegen. "Und das bedeutet dann, dass Menschen sagen, ja, wenn meine Interessen nicht umgesetzt werden, dann lehne ich das System ab, dann beleidige ich den Politiker, der meine Interessen nicht umsetzt", so Tetzla .
Immerhin gibt es seit 2021 eine zentrale Anlaufstelle für alle kommunalen Amts- und Mandatsträger hierzulande: "Stark im Amt" heißt das Online-Portal für Kommunalpolitik gegen Hass und Gewalt, dass die Körber-Stiftung zusammen mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund initiiert hat. An die 3.000 Lokalpolitiker klicken monatlich auf die Seite, um sich über Strategien zur Prävention und gegen Bedrohung und Online-Hetze zu informieren.
Falls sich Lokalpolitiker nach der Attacke auf Matthias Ecke aus Angst um ihre Sicherheit zurückziehen, befürchtet Sven Tetzla ein bedrohliches Szenario: "Wenn sich auf der ersten Ebene der Demokratie, in den mehr als 11.000 Kommunen in Deutschland, die Leute nicht mehr engagieren, nicht mehr das kommunalpolitische Ehrenamt ausüben, dann sehen die Menschen in der Provinz, in den Landstrichen, in den Städten und in den Dörfern, dass die Demokratie nicht mehr funktioniert. Und wenn wir vor Ort kein Vertrauen mehr haben, dass dieser demokratische Staat weiterhin funktioniert, haben wir in Deutschland wirklich ein massives Problem."