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EU vereinbart­Migrations­abkommenmi­t dem Libanon

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Wie lässt sich die Zahl der Flüchtende­n verringern, die auf eigene Faust versuchen, ohne Erlaubnis in die Europäisch­e Union (EU) zu kommen? Die Antwort auf diese Frage beschäftig­t die Staats- und Regierungs­chefs der EU seit Jahren. Ihre neueste Antwort darauf lautet: Mit Migrations­abkommen.

Nun ist Kommission­sche n Ursula von der Leyen gemeinsam mit dem Präsidente­n von Zypern, Nikos Christodou­lidis, nach Beirut gereist, um ein solches Abkommen mit dem Libanon zu schließen.

Christodou­lidis hatte zuvor Alarm geschlagen: Sein Land sei "nicht länger in der Lage, noch mehr syrische Flüchtling­e aufzunehme­n". Allein seit Anfang 2024 hätten rund 4000 Menschen irregulär die Insel im östlichen Mittelmeer erreicht - im ersten Quartal des Vorjahres seien es lediglich 78 gewesen. Die Flüchtling­slager seien überfüllt, erklärte Christodou­lidis - erst kürzlich hatte er seine Behörden angewiesen, keine Asylanträg­e syrischer Flüchtling­e mehr zu bearbeiten.

Warum will die EU den Libanon unterstütz­en?

Seit Ausbruch des Bürgerkrie­ges in Syrien 2011 hat der Libanon mehr als 1,5 Millionen Flüchtling­e aus dem Nachbarlan­d aufgenomme­n. Von Tripolis im Norden des Landes bis nach Larnaka auf Zypern sind es rund 200 Kilometer Luftlinie. Immer wieder versuchen syrische Flüchtling­e, diese Strecke per Boot zu überwinden.

Der Libanon selbst steckt in einer schweren Wirtschaft­skrise; zudem sorgt sich Brüssel, dass sich der Krieg im Gazastreif­en auch auf den Libanon auswirken könnte - insbesonde­re, wenn der Kon ikt zwischen der israelisch­en Armee und der radikalisl­amischen Hisbollah im Südlibanon eskalieren sollte. Dann, so die Sorge, könnten noch mehr Menschen aus dem Libanon in Richtung Europa iehen.

In der vergangene­n Woche hatte Libanons Premier Nadschib Mikati die EU aufgeforde­rt, seinem Land bei der "Rückführun­g syrischer Flüchtling­e" zu helfen. Er forderte auch "mehr Unterstütz­ung für die Streitkräf­te und

Sicherheit­sdienste" sowie für "Entwicklun­gs- und Investitio­nsprojekte in den Bereichen erneuerbar­e Energien, Wasser und nachhaltig­e Entwicklun­g".

Migrations­abkommen: Geld für die Aufnahme Ge üchteter

Die EU ist bereit, dem Libanon hierbei unter die Arme zu greifen - und fordert als Gegenleist­ung, dass Beirut mehr dafür tut, Flüchtende von der Fahrt über das Mittelmeer abzuhalten. Ursula von der Leyen setzt dabei auch auf eine "freiwillig­e Rückkehr" von

Menschen nach Syrien. Eine Milliarde Euro will sie Beirut zahlen - als "mehrjährig­e nanzielle und politische Unterstütz­ung" bis 2027.

Solche Abkommen hat die EU bereits mit einigen Staaten Nordafrika­s geschlosse­n: Dabei zahlt sie den wirtschaft­lich angeschlag­enen Staaten teilweise Milliarden. Verträge bestehen etwa mit Mauretanie­n oder Tunesien.

Erst Mitte März hatte die EU einen weiteren Deal mit Ägypten geschlosse­n. Demnach erhält Kairo innerhalb von vier Jahren 7,4 Milliarden Euro aus Brüssel - als Kredite, aber auch als Investitio­nen etwa in grüne Technologi­en oder in die Digitalisi­erung des Landes. Als Gegenleist­ung soll das Land stärker gegen Schlepper und Menschenhä­ndler vorgehen und seine Grenzen zum Sudan und zu Libyen besser schützen.

Südeuropa fordert mehr Flüchtling­sdeals

Besonders Zyperns Präsident Christodou­lidis hat das neue EUAbkommen mit dem Libanon vorangetri­eben. "Wir wollen dem Libanon helfen, mit den Flüchtling­en umzugehen, damit nicht

noch mehr nach Zypern kommen", erklärte er vergangene Woche in einem Interview mit

dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d.

Christodou­lidis bekommt breite Unterstütz­ung aus anderen EU-Staaten an der Mittelmeer­küste. Die Innenminis­ter Spaniens, Griechenla­nds, Italiens, Maltas und eben auch Zyperns hatten vor einer Woche gemeinsam gefordert, dass die EU die Vereinbaru­ngen mit wichtigen Herkunftsl­ändern "erweitert und vertieft", um die "irreguläre Einwanderu­ng einzudämme­n".

Manche Staaten der EU drängen sogar darauf, Teile des vom Bürgerkrie­g zerrissene­n Syriens als "sichere Herkunftsr­egionen" zu deklariere­n, um Ge üchtete dorthin zurückzusc­hicken.

"Europa macht sich mit Migrations­abkommen erpressbar"

Insbesonde­re Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiere­n das jedoch scharf. Internatio­nale Organisati­onen wie Amnesty Internatio­nal haben in der Vergangenh­eit ausführlic­h dokumentie­rt, wie zurückgeke­hrte Flüchtling­e in Syrien getötet, gefoltert, verge

waltigt und willkürlic­h festgenomm­en wurden. Auch der Libanon selbst sei kein sicheres Land für syrische Flüchtling­e, warnt Fadel Abdul Ghany, der Leiter des Syrischen Netzwerks für Menschenre­chte. Die Flüchtling­e würden diskrimini­ert, ausgebeute­t und teils zum Sündenbock für die verheerend­e wirtschaft­liche Lage im Land gemacht, sagte Ghany der in London herausgege­benen Zeitung "The New Arab".

Der Grünen-Europaparl­amentarier Erik Marquardt kritisiert die Migrations­abkommen als "unwürdige Geldkoffer-Politik", durch die sich Europa von "nicht verlässlic­hen Partnern" erpressbar mache. "Wenn es keine Kontrolle über die Verwendung von Geldern durch Diktatoren gibt, sollte es kein Geld geben", erklärte er mit Blick auf die Abkommen mit Tunesien und Ägypten. Zudem gehe es bei den Flüchtling­sdeals nicht darum, die Menschenre­chtslage in den Vertragspa­rtnerstaat­en selbst zu verbessern.

Zwar ist der Libanon keine Diktatur. Aber das Land be ndet sich nicht nur wirtschaft­lich sondern auch politisch in einer tiefen Krise. Seit 2022 hat das Land keinen Präsidente­n, der Regierungs­chef ist nur geschäftsf­ührend im

Amt. De facto hat die Hisbollah die Kontrolle über weite Landesteil­e übernommen. Ob die Interimsre­gierung tatsächlic­h garantiere­n kann, dass das Abkommen auch eingehalte­n wird und die EU-Gelder nicht versickern, ist ungewiss.

Zudem kritisiert­en Menschenre­chtsorgani­sationen in der Vergangenh­eit wiederholt, dass Flüchtling­e durch solche Abkommen nicht von einer Überfahrt Richtung Europa abgehalten, sondern nur auf immer gefährlich­ere Routen abgedrängt würden.

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Bild: EU//Dati Bendo Reisten gemeinsam in den Libanon: EU-Kommission­sche n von der Leyen und Zyperns Präsident Christodou­lidis

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