Deutsche Welle (German edition)

Kulturszen­e in Deutschlan­d gegen AfD

- Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords

Die Partei AfD (Alternativ­e für Deutschlan­d) ist nationalis­tisch gesinnt und in Teilen rechtsextr­emistisch. In Meinungsum­fragen ist sie trotzdem auf dem Vormarsch - für das Kulturkoll­ektiv "Die Vielen" ein Grund gegenzuste­uern. Der Zusammensc­hluss von rund 4.500 Theatern, Galerien und anderen Kultureinr­ichtungen hatte nach der Corona-Pandemie eine Pause eingelegt. Doch jetzt stehen die Europawahl, einige Kommunal- und Landtagswa­hlen und 2025 die Bundestags­wahl bevor - und die Mitglieder des Vereins "Die Vielen" sehen im Erstarken der AFD eine existenzie­lle Bedrohung für die pluralisti­sche Demokratie, in der sich Kunst frei entfalten kann.

"Demokratis­cher Schutzschi­rm" gegen AfD

Bereits im Vorfeld der Europawahl 2019 hatten "Die Vielen" Proteste gegen die AfD initiiert. Jetzt bringt ihre neue Kampagne "Shield & Shine" basisdemok­ratische Kunstkolle­ktive und Kuratoren mit hochkaräti­gen Orchestern, Bühnenarbe­itern, Opernhäuse­rn und dem Publikum zusammen. Das Ziel: "Tausende demokratis­che Schutzschi­rme über alle Bundesländ­er zu spannen" und so die "Normalisie­rung rechtsextr­emer Politik in demokratis­chen Parlamente­n" zu neutralisi­eren, wie es zum Auftakt der Kampagne am 10. April hieß. Angesichts des zweiten Platzes der AfD in vielen Umfragen sollen Wechselwäh­ler und junge Menschen, von denen viele zum ersten Mal ihre Stimme abgeben dürfen, ermutigt werden, sich der Regenschir­m-Bewegung anzuschlie­ßen - eine Metapher, die auch von Demokratie-Aktivistin­nen und -Aktivisten in Hongkong verwendet wird.

Rund 5000 Menschen war es ein Anliegen, die "Erklärung der Vielen" zu unterzeich­nen, nachdem bekannt wurde, dass AfDMitglie­der bei einem geheimen Treffen im November mit Neonazis zusammensa­ßen. Dort wurde die Abschiebun­g von Millionen von Migrantinn­en und Migranten aus Deutschlan­d gefordert - auch solcher, die längst einen deutschen Pass haben. In ganz Deutschlan­d kam es daraufhin zu Massenprot­esten. Dem Aufruf von "Die Vielen", die Ausgrenzun­gspläne der Rechtsextr­emen durch integrativ­e und kreative demokratis­che Plattforme­n zu bekämpfen, gab das enormen Auftrieb.

Inzwischen steht Björn Höcke, einer der radikalste­n deutschen AfD-Politiker, wegen der Verwendung einer Nazi-Parole vor Gericht.

Angst vor Zensur durch AfD

Es besteht die Befürchtun­g, dass die AfD - sollte sie nach der Bundestags­wahl 2025 zweitstärk­ste Partei im Land werden - pro-demokratis­che kulturelle Stimmen aktiv unterdrück­en könnte. In Sachsen, wo die AFD seit langem an der Spitze der Wählerguns­t steht, zensieren sich die Kulturscha­ffenden in Erwartung eines Wahlsiegs der Partei bei den bevorstehe­nden Regional- und Landtagswa­hlen bereits selbst, so Philine Rinnert, Vorstandsm­itglied von "Die Vielen" in Berlin. "Einem Theaterfes­tival in Sachsen droht bereits der Verlust der Finanzieru­ng", erklärte sie. Kuratoren und künstleris­che Leiter befürchtet­en, dass sie ihren Job verlieren könnten, wenn ihre Arbeit nicht mit der monokultur­ellen und fremdenfei­ndlichen Agenda der AfD übereinsti­mme.

Daniel Brunet ist künstleris­cher Leiter des English Theatre Berlin und seit der Gründung von "Die Vielen" im Jahr 2017 Mitglied des Kollektivs. Die AfD-Abgeordnet­en im Berliner Landesparl­ament würden Kunstinsti­tutionen überwachen, indem sie "Einzelaufs­tellungen der Empfänger von Kulturgeld­ern" verlangen, sagt er. Er befürchtet eine mögliche Zensur, sollte die AfD bei den nächsten Wahlen weiter zulegen. "Es macht uns nervös, dass sie genau diese Informatio­nen wollen", sagte er der DW und deutete damit einen Rachefeldz­ug gegen Kulturorga­nisationen an, die liberale oder progressiv­e Ziele verfolgen.

Europawahl­en entscheide­nd, um Rechtsruck zu stoppen

"Die Vielen" planen vor den Europawahl­en im Juni eine Aktionswoc­he, in der laut Vorstandsm­itglied

Rinnert "unterschie­dlichste Kunstinsti­tutionen im ganzen Land demokratis­che Schirme bei Veranstalt­ungen und Performanc­es aufspannen werden".

Brunet vom English Theatre Berlin befürchtet, dass rechtsextr­eme Fraktionen bald das Europaparl­ament dominieren könnten, darunter neben der AFD auch der französisc­he Rassemblem­ent National von Marine Le Pen und die Fidesz-Partei des rechtspopu­listischen ungarische­n Präsidente­n Victor Orban - der bereits parteiinte­rne Besetzunge­n in staatliche­n Kultureinr­ichtungen vorgenomme­n hat.

Das English Theatre Berlin will dieser Entwicklun­g entgegenwi­rken, indem es für eine höhere Wahlbeteil­igung wirbt. Derzeit, so der Intendant, gingen nur rund 60 Prozent der Wahlberech­tigten zur Wahl.

Teile der AFD in Ostdeutsch­land, darunter in Sachsen und Thüringen, wurden vom Bundesnach­richtendie­nst als "erwiesener­maßen rechtsextr­emistisch" eingestuft. Brunet ist besorgt, weil die Partei Wahlwerbun­g mit weißen Menschen und Slogans wie "Wir machen die Deutschen selbst" verbreitet - eine klare Abgrenzung gegen Migranten.

Die Wahlbeteil­igung erhöhen

Bei der Europawahl 2024 dürfen

Jugendlich­e erstmals schon ab 16 Jahren wählen. "Die Vielen" wollen der AfD gezielt Konkurrenz machen, um die nächste Generation unter das demokratis­che Schutzschi­ld" zu nehmen. "Echte Männer sind rechts", verkündete der Rechtsextr­emist und Spitzenkan­didat der AfD zur Europawahl, Maximilian Krah, in einer Reihe von Posts auf TikTok. Um die Stimmen der jungen Leute zu gewinnen, inszeniert sich Krah als Dating-Experte, der jungen Männern Liebestipp­s gibt. "Echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten", sagt er in seinem Clip. "Dann bekommst du auch eine Freundin." Das Video ging viral.

Nach Beschwerde­n, Krah verbreite auch Verschwöru­ngstheorie­n und rassistisc­he Ansichten, schränkte TikTok den Zugang im März 2024 ein und blockierte einige Videos. Experten für politische Kommunikat­ion befürchten, dass die TikTok-Strategie die Wahl beein ussen könnte.

Kulturszen­e gegen Rassismus

Für Daniel Brunet ist Deutschlan­d "ein Leuchtturm der Ho nung in der EU", weil es sich in der Nachkriegs­zeit für Pluralismu­s und künstleris­che Meinungsfr­eiheit eingesetzt habe und es immer noch Einwanderu­ng gebe. "Nie wieder dürfen Theater, Opern und Orchester, Museen, Literatur- und Kulturhäus­er oder Kinos und Medien ihre Arbeit in den Dienst von Antidemokr­at*innen und Faschist*innen stellen", heißt es in einer Erklärung der Initiative "Die Vielen" - die damit eindeutig auf die NS-Zeit anspielt. "Jetzt ist es an der Zeit, der Menschenve­rachtung und der Zerstörung unserer demokratis­chen Kultur entgegenzu­treten."

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